# taz.de -- Hamburgs Flüchtlingskoordinator über Notunterkünfte: „Es ist e… | |
> Die Baumarkt-Hallen als Unterkünfte wieder aufzulösen, ist keine Sache | |
> von wenigen Monaten, sagt Hamburgs Flüchtlingskoordinator Anselm | |
> Sprandel. | |
Bild: „Manche Vermieter versuchen, unsere Zwangslage auszunutzen“: Anselm S… | |
taz: Herr Sprandel, Sie sind seit drei Monaten Flüchtlingskoodinator. Wie | |
viele Menschen leben in Zelten und Baumarkthallen? | |
Anselm Sprandel: Wir haben noch rund 750 Menschen, die in beheizbaren und | |
größtenteils winterfesten Zelten leben. Und wir haben neun Gewerbehallen, | |
in denen rund 6.500 Menschen leben. | |
Leben die dort längere Zeit? | |
Ein paar Tage sind es nicht. Aber wir versuchen dafür zu sorgen, dass die | |
Asylsuchenden bald in bessere Containerunterkünfte kommen. Es soll nicht so | |
sein, dass sie dort sechs Monate oder länger bleiben. | |
Haben Sie die Hallen besichtigt? | |
Ich habe mir einige Einrichtungen angesehen, auch eine Halle. | |
Wie leben die Menschen dort? | |
Es ist eine große Halle, die in Kompartimente unterteilt ist. Das sind | |
sozusagen Waben, mit Leichtbau-Wänden, die nach oben offen sind. Dort | |
stehen acht Doppelstockbetten und Spinde. Tische und Stühle will der | |
Betreiber auch noch hinein stellen. Die Spinde stehen so, dass mehr | |
Privatheit entsteht. | |
Aber die Geräusche hören alle, selbst wenn nachts einer hustet. | |
Ja. Es gibt ein Grundrauschen im Raum. Es ist natürlich keine | |
abgeschlossene Wohnung. | |
Und das Licht? Wir hörten, in einigen Hallen brennt es nachts. | |
Dort geht es um 21 Uhr aus. | |
Es gibt Konflikte. Ein Soziologe sagte, will man Menschen aggressiv machen, | |
muss man sie in Hallen unterbringen. | |
Je enger eine Halle belegt ist, je länger die Menschen dort sind, desto | |
mehr steigt das Konfliktpotential. Aber dass dies ein Automatismus ist, | |
würde ich nicht sagen. | |
Finden Sie es menschenwürdig? | |
Ja. Aber es ist ein Provisorium. Wir wollen Hallen nicht als | |
Unterbringungsform etablieren. Wie Sie wissen, hatten wir einen sehr, sehr | |
hohen Zugang im Herbst. Aus der Situation heraus waren wir dazu gezwungen. | |
Die Alternative sehen Sie in Berlin. Da mussten Menschen zum Teildraußen | |
schlafen. | |
Aber Sie planen eine weitere Halle am Hellmesberger Weg. | |
Genau. Aber dort setzen die Planer das um, was sie gelernt haben. Was | |
Sozialräume angeht oder die Einrichtung von Familienkompartimenten. | |
Bei den Hallen bestand anfangs das Problem, dass es diese Unterteilungen | |
nicht gab. Nun werden diese Hallen nach und nach ertüchtigt, damit dort | |
richtige Zimmerwände sind. Wenn solche Abtrennungen fehlen, dann entstehen | |
leichter Rangeleien und Probleme. | |
Haben sie den Plan, diese Hallen wieder aufzulösen? | |
Ja, auf jeden Fall. Aber das ist keine Sache von wenigen Monaten. Wenn der | |
Zugang so weiter geht, müssen wir uns sehr anstrengen, auch die Menschen, | |
die noch kommen, vernünftig unter zu bringen. Dann ist noch nicht daran zu | |
denken, die Hallen zu ersetzen. Nur die Halle Hörgensweg geben wir im März | |
auf, weil der Vertrag ausläuft. | |
Brauchen Sie weitere Hallen? | |
Das will ich nicht ausschließen. Bei den großen Baumärkte ist das Angebot | |
schon sehr überschaubar. | |
Warum beschlagnahmen Sie nicht Büroräume? | |
Wir nutzen am Albert Einstein Ring, am Friesenweg und weiteren Standorten | |
Büros. Und es werden weitere geprüft. Dort müssen aber auch ausreichend | |
Sanitär- und Sozialräume vorhandensein. Dazu kommt, dass manche Vermieter | |
versuchen, unsere Zwangslage auszunutzen. | |
Schleswig-Holstein bietet jetzt Platz für Hamburg in seinen | |
Erstunterkünften an. Könnte man so nicht schneller auf Gewerbehallen | |
verzichten? | |
Wir sind mit den Nachbarländern im Gespräch, auch mit Schleswig-Holstein. | |
Aber es gibt derzeit noch keine konkreten, fertig verhandelten | |
Vereinbarungen. | |
Sind auch Kinder in den Hallen? Ja. Wir waren schon froh, dass wir die | |
Kinder aus den Zelten an der Schnackenburgsallee heraus bekamen. Die | |
Zeltstadt ist jetzt leer, aber sie war eine reine Männerunterkunft | |
geworden. So können und wollen wir in der Regel nicht vorgehen. Man kann | |
die Familien nicht auseinander reißen. | |
Gibt es in Hallen Kinderbetreuung. | |
Ja, aber es konnte noch nicht überall realisiert werden. Im November hatten | |
wir in 17 der rund 30 ZEAs eine niedrigschwellige Kinderbetreuung. | |
Warum ist das nicht Standard? | |
Weil wir die Erstaufnahmekapazitäten sehr schnell von 4.000 auf über 20.000 | |
Plätze aufbauen mussten. Außerdem hatten wir am Anfang die Hoffnung, z.B. | |
schnell wieder aus den Hallen heraus zu kommen. | |
Gibt es Standrads an Beschäftigungsangeboten? | |
Es gibt Deutschkurse von Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und | |
Angebote der Jobcenter. Das allerdings nicht für alle, sondern für | |
Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive. Dann gibt esSprachkurse, die von | |
der Stadt finanziert werden. Und zum Glück gibt es ein breites Angebot von | |
ehrenamtlicher Unterstützung. | |
Initiativen berichten, sie kämen nicht in die Hallen. | |
Die Klagen sind uns bekannt. Die Betreiber können aber nicht einfach die | |
Tür aufmachen. Wir müssen z.B. darauf achten, dass dort keine Salafisten | |
oder Rechtsradikale hinein kommen. Und dass es Menschen sind, die | |
verantwortlich handeln. Helfer müssen einen Fragebogen ausfüllen, ein | |
Führungszeugnis beibringen und eine Vereinbarung unterschreiben. Trotzdem | |
ist es eine Sache des Fingerspitzengefühls, den Zugang so zu organisieren, | |
dass sich Ehrenamtliche nicht behindert oder abgewiesen fühlen. Ich habe | |
vor, hierüber mit fördern wohnen zu sprechen ... | |
Sind sie Ansprechpartner für Ehrenamtliche? Die Fühlen die sich | |
mittlerweile ausgenutzt. | |
Hier sieht man sehr schön die Fähigkeit der Zivilgesellschaft, sich selbst | |
zu organisieren. Wenn wir irgendwo eine neue Unterkunft eröffneten, waren | |
die Initiativen meist schon da: Hier sind wir, wo können wir helfen? Das | |
finde ich ganz toll. Natürlich gibt es immer etwas kritisch zu | |
hinterfragen. Aber warum sollten Ehrenamtliche sich ausgenutzt fühlen? Mir | |
gegenüber haben sie sich bisher nicht darüber beklagt. | |
Ehrenamtliche machen die Arbeit des Senats. Viele leisten seit Monaten | |
einen Vollzeitjob, den Ihnen keiner bezahlt. Zum Beispiel bei der Hilfe für | |
Transitflüchtlinge am Hauptbahnhof. | |
Ich sehe es nicht so, dass die Ehrenamtlichen die Arbeit des Senates | |
machen. Es gibt bestimmte gesetzliche und humanitäre Verpflichtungen. Die | |
muss der Staat erfüllen und das tut er auch – wo nicht, müssen wir | |
nachbessern. Darüber hinaus gibt es ganz viel Engagement von | |
Ehrenamtlichen, die Dinge leisten, die der Staat nicht leisten muss, die | |
aber unsere Gesellschaft menschlicher machen. Das ergänzt sich, ist | |
komplementär. | |
Wie ist das mit Kleiderkammern? Kleidung gehört zur Grundversorgung. | |
Das ist richtig. In den Erstaufnahmeeinrichtungen müssen die Flüchtlinge - | |
soweit ihnen etwas fehlt - vom Staat mit Kleidung versorgt werden. Bei uns | |
wird das zum Teil durch ehrenamtlich organisierte Initiativen abgedeckt, | |
die ein riesig großes Aufkommen an privaten Kleiderspenden weitergeben. Ich | |
hielte es nicht für wünschenswert, diese Spenden nicht zu nutzen und statt | |
dessen die Flüchtlinge z.B. mit Einkaufsgutscheinen auszustatten und selbst | |
loszuschicken. | |
Mitte Februar wollen Sie eine eine Art Super-ZEA mit drei Hallen in | |
Meiendorf eröffnen. | |
Wir wollen, dass die Flüchtlinge, die neu zu uns kommen, innerhalb weniger | |
Tage registriert undärztlich untersucht werden, ihren Asylantrag stellen | |
und die gesetzlichen Sozialleistungen beantragen können. Es sollen dort | |
alle verwaltungstechnischen Schritte an einem Ort erledigt werden. | |
Hoffen Sie, dass mehr Flüchtlinge auf andere Länder verteilt werden? | |
Asylsuchende, die nicht in Hamburg bleiben, werden dann gar nicht erst in | |
die dezentralen Unterkünfte kommen. Wir haben im Augenblick eine große Zahl | |
von Asylsuchenden, die hier bleiben, bis sie weiter verteilt werden. Die | |
dadurch gebundenen Kapazitäten werden frei, wenn die Verteilentscheidung | |
unmittelbar nach der Ankunft getroffen wird. | |
Der Senat will jetzt 5.600 Sozialwohnungen zusätzlich bauen, in | |
Groß-Siedlungen. | |
Wir wehren uns gegen den Begriff Großsiedlungen, weil er ein falsches Bild | |
assoziiert. Großsiedlungen haben mehrere tausend Wohnungen, bis zu 13.000 | |
wie in Neuwiedenthal. | |
Hier geht es darum, von den temporären Unterkünften wegzukommen und | |
Festbauten zu errichten, die perspektivisch dem allgemeinen Wohnungsmarkt | |
zur Verfügung stehen werden. Die Bezirke hatten die Auflage bekommen, | |
Flächen in der Größenordnung von jeweils bis zu 800 Wohnungen nachzuweisen. | |
Das war in einigen Bezirken aus verschiedenen Gründen nicht realisierbar. | |
Dort wird daher auch mit kleineren Flächen und Quartiersgrößen geplant. | |
Sind kleine Flächen nicht gerade gut? Dann ist die Ghetto-Gefahr kleiner. | |
Das ist ambivalent. Wir brauchen Unterkünfte in großer Zahl. Das ist | |
leichter, wenn man große Einheiten hat. Wir müssen über diese Unterkünfte | |
einen großen Teil des Platzbedarfes decken. Wenn wir darauf verzichten und | |
sagen, wir suchen Quartier für Quartier Flächen für wenige 100 Plätze, dann | |
brauchen wir einfach länger. | |
Bei 4.000 Menschen besteht keine Gefahr der Ghettobildung? | |
Es gibt die Gefahr, wenn man es falsch macht. Aber wir sind der | |
Überzeugung, dass man dieser Gefahr begegnen kann. Wenn die Leute Deutsch | |
lernen, einen Job haben, die Kinder eine Kita und Schulen besuchen, dann | |
kommen sie heraus aus den Quartieren. Dann kann Integration verwirklicht | |
werden und die Standorte verlieren ihren Schrecken. | |
24 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
Katharina Schipkowski | |
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