# taz.de -- Intendant bleibt in Hannover: „Das macht derzeit großen Spaß“ | |
> Lars-Ole Walburg bleibt bis 2019 Intendant in Hannover – und will etwas | |
> von der im Theater abgeladenen Verantwortung zurückgeben an die | |
> Gesellschaft. | |
Bild: Beilbt dem Schauspielhaus in Hannover für zwei weitere Jahre erhalten: I… | |
taz: Herr Walburg, in Hannover sorgt die „Freischütz“-Inszenierung an der | |
Staatsoper für heftige Diskussionen. Aus Sicht eines CDU-Lokalpolitikers | |
droht gar „unsäglicher Kulturverlust“. Im Verlauf Ihrer Intendanz, vor | |
allem zu Beginn, sind Sie selbst mit Teilen der CDU und des sogenannten | |
Bildungsbürgertums aneinandergeraten. Sie bekamen 2013 erst nach langem Hin | |
und Her eine – kleine – Vertragsverlängerung. Jetzt bleiben Sie doch | |
länger, insgesamt werden es dann zehn Jahre sein, und das mit allen Ehren. | |
Ist das auch eine Art späte Genugtuung? | |
Lars-Ole Walburg: Für mich ist die Verlängerung erst einmal eine | |
persönliche Entscheidung, die ganz viel mit den Kollegen hier im Haus zu | |
tun hat, mit den Arbeitsbedingungen, der Zuschauerresonanz und mit der | |
grundsätzlichen Frage, ob ich mich an diesem Ort gemeint und wohl fühle. | |
Nur wenn das stimmt, macht die Arbeit einen Sinn. Mich hat es gefreut, dass | |
es von Seiten der neuen Ministerin da überhaupt keine Frage gab. | |
Sie meinen die Grüne Gabriele Heinen-Kljajić, seit Februar 2013 | |
Wissenschafts- und Kulturministerin von Niedersachsen | |
Das ist erst mal positiv und ein Zeichen von Vertrauen. Und natürlich bin | |
ich persönlich froh, dass die jetzigen Gespräche so eine klare Position von | |
beiden Seiten erbracht haben. Wobei die aktuelle Situation sich auch | |
deutlich von der damaligen unterscheidet. Wir hatten in den ersten Jahren | |
in Hannover neben vielen Erfolgen auch große Anlaufschwierigkeiten. Und man | |
braucht dann erst mal eine Menge Zeit, um die Leute von dem, was man macht, | |
zu überzeugen. | |
Vertritt die CDU, was den „Freischütz“ angeht, ein spezielles Publikum hier | |
in Hannover? | |
Ich hoffe sehr, dass dieser Politiker nicht für das hannoversche Publikum | |
spricht. Also ich habe hier ein anderes Publikum kennengelernt. Aber sicher | |
vertritt er mit seinen Ansichten nicht nur eine rein persönliche | |
Kunstanschauung. Auch wir mussten in den ersten Jahren konstatieren, dass | |
wir durch neue Inhalte, vor allem aber durch eine klar | |
gesellschaftspolitische Positionierung auch Besucher verloren haben. Für | |
das Staatstheater Hannover als Ganzes ist das meist gar nicht so | |
gravierend, weil die Leute ja nicht aufhören, ins Theater zu gehen, sondern | |
sich dann eben eher dem Ballett oder der Oper zuwenden. In diesem Fall ist | |
das dann vielleicht mal andersrum. | |
Gibt es eigentlich das klassische Abonnenten-Publikum im Schauspiel | |
überhaupt noch? | |
Zum Ärger des kaufmännischen Direktors ist Publikumsbindung in unserer | |
pluralistischen Zeit immer schwerer herzustellen. Und Abonnements sind | |
natürlich bei den vielen Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung nicht gerade | |
zeitgemäß. Dennoch bin ich froh, dass es dieses System noch gibt, denn | |
Abonnenten sind ja die Treuesten der Treuen. Die gehen sechs- bis achtmal | |
im Jahr ins Theater – das muss man erst mal durch normale Eintritte an der | |
Kasse ausgleichen, wenn man da nur einen verliert. Aber grundsätzlich ist | |
der Altersdurchschnitt der Besucher in den sechs Jahren, die ich inzwischen | |
in Hannover bin, deutlich gesunken. Ich finde das sehr befreiend und | |
letztlich auch notwendig, wenn Theater eine gesellschaftliche Funktion | |
behalten will. | |
Das Spielzeitthema in dieser Saison lautet „Auftrag Kunst“. Wie lautet der | |
denn für Sie? | |
Ich glaube, es gibt nicht nur einen. Für mich ist ein ganz wesentlicher | |
Punkt, dass an einem Haus wie unserem künstlerische Produktionen entstehen, | |
die es in der anderen, nicht oder wenig subventionierten Kulturlandschaft | |
nicht geben kann. Sonst machen die in die Kunst investierten Steuergelder | |
in meinen Augen keinen Sinn. Da die Latte immer tieferzulegen, scheint mir | |
auch eine gefährliche Entwicklung nach sich zu ziehen. Das Niveau gleicht | |
sich den Erwartungen an. Das kann nicht der Anspruch eines Stadt- oder | |
Staatstheaters sein. Aber es wird tatsächlich immer schwieriger, seinen | |
Spielplan wirklich unabhängig aufzustellen. Es gibt inzwischen sehr viele | |
Versuche von Seiten der Politik, der Schulen bis hin zu | |
Interessenverbänden, Einfluss zu nehmen und uns bestimmte Aufträge | |
vorzuschreiben. Ich spüre da bei mir ein zunehmendes Unbehagen und die | |
Notwendigkeit, solche Gängelei zurückzuweisen. | |
Sie wollen sich nicht vereinnahmen lassen? | |
Ein Dramaturg von uns hat einen Text zum Spielzeitthema geschrieben mit dem | |
Titel „Return to Sender“. Er setzt sich darin einmal wirklich mit den | |
Ansprüchen auseinander, die von außen an das Theater herangetragen werden | |
und kommt zu dem Schluss: Nein, wir geben diese Aufträge, all diese falsch | |
verstandenen Aufgaben des Theaters, jetzt mal zurück an Politik und | |
Gesellschaft. Integration, Migration, Partizipation – das sind drei dieser | |
Aufträge, die seit ein paar Jahren oft als Worthülsen dafür benutzt werden. | |
Und natürlich betreffen sie wichtige gesellschaftliche Veränderungen in | |
unserem Land, aber sie können eben auch nur gesamtgesellschaftlich gelöst | |
werden. Und dann ist das vielleicht auch Aufgabe des Theaters. | |
Ihr seid gar nicht das Jugend-Multi-Kulti-Zentrum, das die Probleme löst, | |
die es so gibt in der Stadt – fehlende Jugendzentren zum Beispiel – weil | |
einfach alle zu euch kommen und im „Ballhof“ feiern? | |
Nee, man muss da irgendwie ja auch glaubwürdig bleiben. Wenn man selber | |
keine Lust hat zu feiern, dann wird man auch keine Leute zu einer Fete | |
einladen. Das muss aus dem eigenen Bauchgefühl heraus stimmen und jeder, | |
der dann zu der Fete eingeladen würde, auch ganz schnell merken, ob das | |
eine Pro-forma-Veranstaltung ist oder ob sie wirklich so gemeint ist. | |
Amerikanische Präsidenten arbeiten für die Geschichtsbücher – und setzen | |
um, was ihnen wirklich am Herzen liegt. Welches sind Ihre Pläne für die | |
zweite Amtszeit? | |
Ich hatte, ehrlich gesagt, nie das Gefühl, dass ich nicht machen kann, was | |
ich will. Das wäre auch ein Ausschlussgrund gewesen für eine Verlängerung. | |
Dieser ganze Vorgang hat natürlich nicht nur mit mir zu tun, sondern mit | |
einer Mannschaft. Hier gibt es im Augenblick, eigentlich seit dem letzten | |
Jahr, eine unglaubliche Energie im Haus. Zum anderen fangen wir gerade an, | |
die Früchte unserer Arbeit der ersten sechs Jahre zu ernten. | |
Inwiefern? | |
Es gibt Koproduktionen mit anderen Häusern und mit Festivals wie den Wiener | |
Festwochen und den Ruhrfestspielen. Das macht derzeit großen Spaß und | |
deswegen wäre mir eine Nicht-Verlängerung in dieser Phase völlig | |
unorganisch vorgekommen. Wie genau wir die kommenden dreieinhalb Jahre | |
füllen werden, weiß ich heute noch nicht . Aber die letzte Spielzeit, in | |
der man es richtig krachen lässt, ist ja nun noch eine Weile hin. Ohne | |
Verlängerung hätten wir jetzt darüber zu sprechen begonnen, wie wir 2017 | |
Hannover ins Wanken bringen. Jetzt haben wir noch ein bisschen Zeit. | |
Und damit Hannover nicht ins Wanken kommt, bekommen Sie dann einfach noch | |
eine Verlängerung? | |
Nein, dann ist wirklich Schluss. Dann war ich zehn Jahre hier, dann muss | |
etwas Neues passieren, sowohl für Hannover als auch für mich. | |
25 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Alexander Kohlmann | |
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