Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neue Chefin am Schauspiel Hannover: Geschlechterparität als Statem…
> Die neue Chefin des Schauspiels Hannover heißt Sonja Anders und setzt auf
> kluge Fortschreibung statt auf radikalen Neuanfang.
Bild: Setzt auf Ur- und Erstaufführungen: Hannover neues Intendantin Sonja And…
Hannover taz | Die sind jetzt so dicke, da passt kein Stück Papier mehr
zwischen: Oper- und Schauspiel des Staatstheaters Hannover verschenken ihre
Spielzeitwerbebücher fortan nicht mehr einzeln, sondern gestapelt und
zusammengebunden. Erstmals halten sie auch gemeinsam ihre Pressekonferenz
(PK) zum Saisonausblick ab. Die Websites sind zusammengelegt und eine
Koproduktion der Sparten fürs forsche Selbstverständnis ist vereinbart: die
Musiksprechtheater-Uraufführung „Der Mordfall Halit Yozgat“ über den
NSU-Terror, komponiert vom Ambientnoise-Electronic-Frickler Ben Frost. Bei
so viel Zeitgenossenschaft kein Wunder: Ab der Saison 2019/20 übernimmt die
Oper die Regelung des Schauspiels, dass Studententickets kostenlos
abgegeben werden.
Auslöser der großen Annäherung sind die neuen Chefinnen: Die
Operndirektorin des Theaters Basel, Laura Berman, und die stellvertretende
Intendantin am Deutschen Theater Berlin, Sonja Anders, lösen in diesem
Sommer den Musikwissenschaftler Michael Klügel und Regisseur Lars-Ole
Walburg ab. Frauen im Allgemeinen, Dramaturginnen im Besonderen an die
Macht.
Verhalten offensiv war die erste Inszenierung des neuen Teams. Um die
Ähnlichkeit ihrer Theateransätze zu verdeutlichen, warfen die designierten
Chefinnen dieselben Stichworte hin und her: Diversität, Pluralität,
Partizipation, Dialog, Öffnung, Begegnung, Vielfalt. Deutlich erkennbar war
der Wille, all das auch umzusetzen: Die Musentempel sollen noch weiter für
das Publikum aufgeschlossen werden, baulich schreitet das Schauspiel voran
und wird seine Kantine zur Spielstätte Cumberland und in den Theaterhof
hinein als Begegnungsort für jedermann öffnen. Regisseurin Julia Wissert
soll unter der Überschrift „Universen“ Projekte künstlerischer Teilhabe
sowie interkultureller Öffnung kuratieren und in Festivalkontexten
präsentieren.
Die erste Saison der neuen Intendantinnen wird Fromental Halévys
Monumentaloper „Die Jüdin“ eröffnen. Die dramaturgische Abteilung teilt
mit: Mit dem aufgehetzten Konflikt zwischen mittelalterlichem Kardinal und
jüdischem Goldschmied werde Regisseurin Lydia Steier den Diskurs über
unsere heutigen Toleranzvorstellungen ermöglichen und fragen: Wie weit
kann, wie weit sollte die gesellschaftliche Assimilierung von Menschen aus
anderen Kulturen gehen?
## Nachdenken über Identität
Das Spielzeitthema lautet „Koordinaten des Anderen“ und soll zum
„Nachdenken über Identität“ anregen. Zwölf Premieren sind angesetzt,
Musical und Operette genauso dabei wie Barock-, Belcanto- und
Minimal-Music-Oper. Ein bunter Mix, vielversprechend, aber kein Wow-Effekt.
Neun Produktionen der Ära Klügels werden zudem reanimiert, der in seiner
13-jährigen Intendanz sehr solide das kanonisierte Repertoire,
Wiederentdeckungen aus dem 20. Jahrhundert und den Opernball gepflegt, auch
mal junge Regisseure gefördert hat: Ein souveräner Verwalter des
Musiktheateralltags zwischen künstlerischer Neugierde und dem eher
konservativen Anspruch des Stammpublikums.
Weniger glimpflich verläuft der Übergang in der Tanzsparte. Die übernimmt
Marco Goecke und bedauert, per Facebook angefeindet zu werden, er würde
kaputt machen, was über Jahre aufgebaut wurde. Tatsache ist: Er übernimmt
nur acht Tänzer des Vorgängers und bringt 13 neue mit. Fakt ist auch, dass
der Wechsel gerade in dieser Sparte am notwendigsten ist.
Seit 2006 regiert Ballettdirektor Jörg Mannes als Bewegungsdesigner und
Bebilderer allzu bekannter Geschichten – in dieser Saison zeigte er unter
anderem seine Choreografien zum Leben von Marilyn Monroe und
Schneewittchen, gab ein bisschen Edgar-Allen-Poe-Grusel zum Besten und
holte eine Italo-Revue aus dem Archiv. Klassisch modernes Edelballett.
## Theater als Comicladen
Goecke, 2018 als Hauschoreograf des Stuttgarter Balletts ausgebootet, steht
für vitalere Kreationen. Hat er doch eine eigene Körpersprache entwickelt,
bei der die Arme in expressiver Wildheit um Kopf und Körper flattern wie
die Muskeln im Gesicht die Mimik tanzen, was der übrige Körper fortsetzt,
variiert, weiterentwickelt, konterkariert, so dass der Komplexität des
empfindenden Menschen Ausdruck verliehen wird.
Lustig wird es auf Spielzeit-PKs immer, wenn schon vor der erste Produktion
das Image des ganzen Hauses etabliert werden soll. Wofür die Hannoveraner
eine Berliner „Agentur für Markenentwicklung“ engagiert hatten, die erst
mal der neuen Schulterschluss-Idee widerspricht, weil sie es in den
Publikationen nicht schafft, die beiden Worte „Staatstheater Hannover“ in
einer Schrifttype abzubilden. Stattdessen ist „Staatstheater“ in satt
altmodischer Serifen-Typo deutlich vom sachlich serifenlos gesetztem
„Hannover“ getrennt. Als gehöre beides nicht zusammen.
Das seit 15 Jahren als Erkennungszeichen funktionierende rote X des
bisherigen Logos sollte allerdings erhalten bleiben – hat nun aber seine
klare Struktur verloren. „Die Bildmarke bezieht Position“, behauptet die
Agentur, die das X neu entworfen hat aus zwei sich kreuzenden Blitzen – als
wäre das Theater ein Comicladen, auch wurde bereits kritisiert, sie würden
an SS-Runen erinnern. Gemeint ist hingegen, das X sei jetzt „energetisch
aufgeladen“ wie das Theater. „Wir wollen heiß sein“, so
Opernpressesprecherin Christiane Hein.
Richtig heiß ist jedenfalls der Schauspielplan – keine Übernahmen, dafür 27
Premieren: beeindruckende 12 Ur- und Erstaufführungen, acht Romanadaptionen
und sieben zu vergegenwärtigende Klassiker. Zu dem um fünf auf 31
Schauspieler vergrößerten Ensemble gehören 16 Männern und 15 Frauen, bis
auf drei alle neu engagiert.
Die geschlechterparitätische Besetzung stellt Anders als politisches
Statement heraus. In Hannover sollen nun auch die Klassiker mit „neuer
Narration“ versehen werden, wie Dramaturgin Nora Khuon erklärte. Denn warum
sollen Typen nicht von Frauen gespielt werden? So ist die Spielplanposition
mit Tschechows „Platonow“ nun „Platonowa“ betitelt.
Ein großer Neunanfang als radikaler Wandel ist das Schauspielprogramm
nicht, vielmehr eine Wachablösung als kluge Fortschreibung der zehnjährigen
Amtszeit Walburgs. Er hat die Entwicklung bundesweit aufploppender
Theaterästhetiken in Echtzeit abgebildet, sein Theater ist stets Spiegel
der theatralen Experimentierlust. Zudem eröffnete er mit Cumberland einen
Ort für neue Dramatik und wertete die Jugendtheatersparte mit zwei eignen
Spielstätten auf. Der ständige Mut für Neues hatte indes zur Folge, dass
das Schauspiel als Gemischtwarenladen wahrgenommen und ihm angelastet
wurde: Wer mehr wagt als andere, scheitert auch häufiger.
## Mut für Neues
In der Rückschau ist Walburg stolz, am Anspruch festgehalten zu haben,
politisches Theater mit gesellschaftlich wichtigen Themen zu machen. Was
anfangs schwierig war. Drei Jahre habe er ein „sehr schräges Verhältnis zum
Publikum“ gehabt, weil ein Teil der Stadtgesellschaft mit seinem Verzicht
auf klassisches Erzähltheater zugunsten zeitgenössischer Texte und Formate
fremdelte. „Da hatte ich gedanklich schon die Koffer gepackt, ich konnte
mit der Stadt, sie mit mir nichts anfangen.“ Aus ihm unerfindlichen Gründen
endete die Eiszeit schlagartig in 2012. Vielleicht hat man sich nur
miteinander entwickeln müssen.
Jetzt verlässt Walburg ein bestens aufgestelltes Haus, kann Sonja Anders
mehr als eine halbe Million Euro an erwirtschafteten Überschüssen
hinterlassen. Was er seiner Nachfolgerin mit auf den Weg geben kann? „Das
Hannoveraner Publikum ist ehrlich, treu, aber nur moderat
begeisterungsfähig und es fehlt der ironisch verschlagene Großstadthumor.
Was es wirklich gar nicht mag, sind lange Aufführungen.“ Walburg will
zukünftig wieder als freier Regisseur arbeiten. In der kommenden Spielzeit
inszeniert er am Theater Oberhausen und für Det Norske Teatret in Oslo.
„It’s better to burn out than to fade away“, heißt es Ende Mai zwei Woch…
lang am Schauspiel, dann werden unterm Titel „Burn“ die Stücke der
Walburg-Ära endgültig abgespielt, zudem verabschiedet sich das Ensemble mit
Lieblingsprojekten, Lesungen, Konzerten, Ausstellungen, Monologen und
Partys. Über die Intendanz Walburgs erscheint zudem ein mit 700 Seiten
beeindruckend starkes Erinnerungsbuch, das an der Theaterkasse erhältlich
ist.
1 May 2019
## AUTOREN
Jens Fischer
## TAGS
Schauspiel Hannover
Parität
Hannover
Sonja Anders
Intendant
Hannover
Hannover
Theaterfestival
Deutsche Kultur
Theater
Hannover
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neue Intendantin am Thalia Theater: „Ich möchte vermitteln, dass Theater nic…
Sonja Anders wechselt als Intendantin von Hannover ans Thalia Theater nach
Hamburg. Das könnte mehr Freude im Spielplan versprechen – und mehr Frauen.
Hundekot-Attacke am Staatstheater Hannover: Ballettchef muss Stuhl räumen
Nach der Hundekot-Attacke auf eine Kritikerin trennt sich das Staatsballett
Hannover mit sofortiger Wirkung von Marco Goecke. Doch die Werke bleiben.
Ballett über Oscar Wilde: Sehnsucht nach Begegnung
Leben und Werk eines Ahnherren der Äußerlichkeit: „A Wilde Story“ ist die
neue Arbeit des preisgekrönten Choreografen Marco Goecke in Hannover.
Festival „Radikal jung“ in München: Bleibende Spur von Schmerz
Frauen können auch böse: Das zeigt das Festival „Radikal jung“ in München
mit Gastspielen, vor allem von Regisseurinnen, aus New York und Berlin.
„Räuber-Ratten-Schlacht“ in Hannover: Symbolgewitter in der guten Stube
Ausufernde Collage: Das Schauspiel Hannover bastelt mit Schillers
„Räubers“, Müllers „Schlacht“ und Hauptmanns „Ratten“.
Für lau ins Theater: Im Studium ist Theater inbegriffen
Hannover führt eine Theater-Flatrate für Studierende gegen einen kleinen
Aufschlag beim Semesterbeitrag ein. Das Modell hat sich bereits in anderen
Städten bewährt.
Intendant bleibt in Hannover: „Das macht derzeit großen Spaß“
Lars-Ole Walburg bleibt bis 2019 Intendant in Hannover – und will etwas von
der im Theater abgeladenen Verantwortung zurückgeben an die Gesellschaft.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.