# taz.de -- „Räuber-Ratten-Schlacht“ in Hannover: Symbolgewitter in der gu… | |
> Ausufernde Collage: Das Schauspiel Hannover bastelt mit Schillers | |
> „Räubers“, Müllers „Schlacht“ und Hauptmanns „Ratten“. | |
Bild: Gewollte Symbolüberschwemmung: Ratten, Fahnen, Wirtschaftswunderwaschmas… | |
Hat man den Hitler im Schiller erst entdeckt, verschreckt der Text dann | |
doch: „Aus Deutschland soll eine Republik werden“, heißt es in den Räuber… | |
„gegen die Rom und Sparta Nonnenklöster sein sollen.“ Im Schauspielhaus | |
Hannover spricht der Chor den historisch unerträglich gewordenen Satz in | |
eine lange Reihe chaotischer Fragmente, die peu à peu eine Fährte bilden | |
sollen zum [1][Deutschen Wesen]. Und zum Massenmord. | |
Wirklich nur ein Ausgangspunkt dieser Spurensuche ist Heiner Müllers | |
Szenenfolge „Die Schlacht“. Regisseur Alexander Eisenach inszeniert diese | |
[2][fünf Miniaturen] je geschlossen, als klare Einheiten, über die in | |
Frakturschrift der Titel projiziert wird. Und wenigstens diese Ordnung tut | |
auch ganz gut, während drumherum die Brocken fliegen aus Gerhart Hauptmanns | |
„Die Ratten“ und eben Schiller. „Räuber-Ratten-Schlacht“ heißt die Me… | |
– und sie ist genauso vollgestopft wie der Titel verspricht. | |
Die Montage hat eine lange Vorgeschichte: Müllers brutale Episoden aus den | |
letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs werden fast immer im Verbund mit | |
anderen Stücken gespielt. Schon ihre Uraufführung 1974 erlebten die | |
Untergangsbilder aus Verrat, Kannibalismus und Brudermord zusammen mit | |
[3][Müllers kurzem Theatertext „Traktor“], der den NS-Schuldzusammenhang in | |
der damaligen real-sozialistischen Gegenwart verankerte. | |
## Kannibalen im Kolonialtheater | |
[4][Ebenfalls an der Berliner Volksbühne] verschnitt Frank Castorf den | |
Stoff 20 Jahre später mit dem Lustspiel „Pension Schöller“ – und nahm so | |
das vorfaschistische Kaiserreich in den Blick. Und dieser Richtung folgt | |
nun auch die Hannoveraner Inszenierung, wenn sie den Stoff noch tiefer | |
hineintreibt in eine Literatur, die deutscher kaum sein kann. | |
Dass alle drei Stücke von mörderischen Familienzwisten handeln, ist für die | |
„Räuber-Ratten-Schlacht“ hingegen nur eine sehr äußerliche Klammer. Im | |
Mittelpunkt steht die Abrechnung mit Schiller, die Eisenach gespickt mit | |
bösartigem Humor, Hakenkreuzen und Off-Kommentaren als berauschendes | |
Gaga-Fest auf die Bühne bringt. Die Spitzen gegen Schwulst und Sprache | |
sitzen, richtig lustig wird es aber erst da, wo es auch tagesaktuell zur | |
Sache geht. | |
Etwa wenn mit den Ratten auf der Bühne über das Theater an sich gesprochen | |
wird: Hinreißend aufgeregt tobt Maximilian Grünewald und wirft mit den | |
Zutaten der [5][Critical-Whiteness-Debatte] um sich. Wenn der Herr Direktor | |
hier nun unbedingt sein kleines Kolonialtheater machen wollte, heißt es, | |
dann könne er auch gleich [6][Baströckchen und Schuhcreme] holen. | |
Und tatsächlich schaut Müllers nächster Kannibalenakt aus, als hätte ihn | |
wer aus einem rassistischen Bilderbuch abgezogen. Aufregend ist nun nicht | |
der blöde Tabubruch, sondern die Hilflosigkeit, mit der Henning Hartmann | |
als Theaterdirektor auf seinem Podest aus 18 goldenen Waschmaschinen | |
herumfuchtelt und dem Irrsinn nichts als naiven Anstand entgegenzusetzen | |
hat. | |
Acht Darsteller*innen teilen sich die Rollen der drei Stücke und wechseln | |
munter auch die Geschlechter. Auffällig ist allerdings, dass in den meisten | |
Szenen dann doch Frauen mit anderen Frauen (eben auch Männerrollen) spielen | |
– und umgekehrt. So streiten in den „Frauenszenen“ die Schauspielerinnen … | |
den Kinderraub aus den „Ratten“, während sich die Herren in homoerotischer | |
Eintracht aufmachen in den deutschen Forst. Noch so eine Ebene, die | |
schlicht zu viel wäre, wenn es nicht genau so gewollt wäre. | |
Ohne die weitschweifigen Irrungen geht es wohl auch gar nicht, wenn man | |
Autor und Text ernst nimmt. Müller sagt ja selbst, er habe „immer nur das | |
Bedürfnis, den Leuten so viel aufzupacken, dass sie nicht wissen, was sie | |
zuerst tragen sollen.“ Entscheidungen wollte er erzwingen, ohne dem | |
Publikum Zeit dafür zu lassen: „Es geht, glaube ich, nur noch mit | |
Überschwemmungen.“ | |
## Schluss mit lustig | |
Und so poltert es eine ganze Weile erfrischend kirre drunter und drüber: | |
mit Blut und allerlei Deutschlandfahnen, [7][BRD-Kitsch] und den kleinen | |
Freuden der Wirtschaftswunderwarenwelt – [8][Maggi], Sprühsahne und | |
(natürlich) [9][Persil]. Das Symbolgewitter entlädt sich schließlich in der | |
guten Stube, wo sie alle miteinander sitzen und ihre schmerzenden Seelen | |
beklagen. Die Welt verstehe ihn nicht, sagt ein Räuber, und wie es ihn | |
umtreibe, dieses Streben nach authentischem Leben in der Natur und so | |
weiter. Am Rand sitzt Hitler und nickt bedächtig. Ihm geht es da ganz | |
ähnlich. | |
Eine ganze Weile geht das alles auch gut, mit der lustvollen Offenheit, die | |
sich auch für (übrigens wirklich sehr witzige) Slapstick-Einlagen nicht zu | |
schade ist. Und das wäre ja auch alles ganz wunderbar so, wenn da nicht | |
noch dieser riesige Aufschlag mit dem Deutschen Idealismus im Raum stünde. | |
Denn gerade, als man sich an den Gedanken gewöhnt hat, hier offenbar keine | |
Antworten mehr zu bekommen – da ist schlagartig Schluss mit lustig. | |
Als hätte wer der Besetzung zur Pause ins Gewissen geredet, sich nun aber | |
mal zusammenzureißen, geht es von da an dröge fokussiert aufs Ende zu. Da | |
reflektieren alle rasch ihre diversen Rollen und marschieren stramm in ein | |
Szenario, in dem die Welt längst untergegangen ist und wir alle miteinander | |
nur noch zehn Zentimeter Sediment in den Gesteinsschichten sind. | |
Nur Schiller gibt es in dieser fernen Zukunft noch. Und dass der Witz | |
gerade hier den Sack zumacht, scheint ganz einfach nur daran zu liegen, | |
dass nach drei Stunden und 45 Minuten die Puste aus war. | |
22 Mar 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://scilogs.spektrum.de/un-zugehoerig/das-deutsche-wesen/ | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Schlacht_(Theaterst%C3%BCck) | |
[3] https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&… | |
[4] https://www.zeit.de/1994/18/pension-hitler-oder-das-fidele-grauen | |
[5] /Ueber-Rassismus-reden/!t5357160/ | |
[6] /!5544889 | |
[7] /!5446718/ | |
[8] /!350037/ | |
[9] /!324931/ | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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