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# taz.de -- „Räuberinnen“ im Gorki Theater in Berlin: Eine kurz gelebte Ut…
> Es steckt noch immer etwas Schiller in den „Räuberinnen“, die mit der
> Regisseurin Leonie Böhm ans Gorki-Theater Berlin kamen.
Bild: Das Keyboard wird zum Temperaturmesser für den Gefühlshaushalt in den �…
„Du kennst mich gar nicht, Amalia“, sagt die [1][Schauspielerin Eva Löbau]
zu Leonie Böhm. Und überlegt laut: „Auch im elendsten Äsopschen Krüppel
kann eine große, liebenswürdige Seele, wie ein Rubin aus dem Schlamm,
glänzen.“ Es sind hundert Prozent Friedrich Schillers Worte, mit denen sich
Eva Löbau alias Franz Moor nach gut einer halben Stunde „Räuberinnen“
erklärt. Dieses Bekenntnis lässt einen nicht kalt, denn [2][Regisseurin
Leonie Böhm] extrahiert aus [3][Schillers „Räuber“] bewusst den Text, der
sich mit der Gemütsverfassung des Franz Moor beschäftigt. Es gelingt ihr
so, die tradierte Erzählung von einem der bekanntesten Fieslinge der
deutschen Theatergeschichte aufzubrechen.
Eva Löbau fragt also als Franz die Welt, konkret die Zuschauer:innen des
Maxim Gorki Theaters, warum die Natur ihn so ungerecht behandelt hat, und
sinniert dann über die Liebe beziehungsweise Nichtliebe des Vaters.
Schillers Worte, heraus aus dem Dramenkorsett gerissen, stehen dabei nackt
auf der Bühne und schaffen so einen Freiraum, in dem sich das Publikum die
Figur mit ihrer persönlichen Geschichte der familiären Zurücksetzung in
aller Ruhe ansehen kann. Leonie Böhm schaut auch bei Karl Moor, der sich in
den letzten 200 Jahren als zuverlässiger Sympathieträger im
deutschsprachigen Stadttheater etabliert hat, noch mal genau hin. Und so
hat Julia Riedlers Karl etwas konstant Schlaffes, Selbstmitleidiges in
seinem Auftreten. Sein unablässiges Buhlen um Bewunderung und Liebe hat
komische Züge. Im Gegensatz zu der energetisch aufgeladenen Bühnenpräsenz
von Eva Löbaus Franz.
Bei den „Räuberinnen“, die von den Münchener Kammerspielen ans Maxim Gorki
Theater in Berlin gewandert sind, wird niemand zur Räuberhauptfrau gewählt.
Um Führungsqualitäten geht es hier nicht. Die Räuberbande ist auf Karl,
Spiegelberg und Roller zusammengeschrumpft, aber dafür sind auch Franz und
Amalia mit dabei. Karl, Franz und Amalia sind die „menage à trois“, die
ihren Seelenhaushalt voreinander auskippen und sich dabei des
Schiller’schen Vokabulars bedienen.
## Die Regisseurin spielte mit
Gro Swantje Kohlhofs Spiegelberg ist eine veritable Stimmungskanone, die
sich im Publikum aufbaut und schreit: „Wer schreibt die besten gefälschten
Briefe der Welt? Franz Moooooor!“ Und so endlich ein richtiges Lächeln auf
Löbaus Franz-Gesicht zaubert. Friederike Ernsts Roller wiederum hat einen
zuverlässigen Temperaturmesser für den Gefühlshaushalt der Troika gefunden:
das Keyboard.
Amalia wird eigentlich von Sophie Krauss gespielt. Die aber war bei der
Berlin-Premiere der „Räuberinnen“ erkrankt. Es ist die Regisseurin selbst,
die kurzfristig einspringt. Und zwar ohne Textbuch. Sie beherrscht den Text
und wirft sich mit Verve in die Rolle der Amalia. Die ist von Karls „Leiden
auf hohem Niveau“ ziemlich unbeeindruckt und outet sich in der Art und
Weise, wie sie Franz zurückweist, als Mensch/Figur, die sich in ihrer
Beurteilung nur von Äußerlichkeiten leiten lässt.
Inzwischen hat es auf der Bühne geregnet. Muss sein, denn das Bühnenbild
besteht aus einer riesengroßen Wolke (Bühne: Zahava Rodrigo). Amalia,
Franz, Karl, Roller und Spiegelberg gründen jetzt eine hierarchiefreie
Räuberbande auf der pitschnassen Bühne. Und schon geht der Spaß los, denn
eine Bühne kann auch eine Wasserrutsche sein!
## Rutschen splitternackt
Fröhlich eingeläutet wird die Sause durch ein verspieltes
Zehn-Ton-Busenkonzert oben ohne. Ganz einfach: jedes Antippen produziert
einen Ton. Schnell entledigt frau sich der restlichen Kleider und rutscht
splitternackt. Nicht selten reicht der Schwung bis zur ersten Reihe.
Gelebte Kurz-Utopie im Theater, bar aller Konventionen und Hierarchien, bis
der Applaus losbricht und die alte Ordnung wieder herstellt. Die Erinnerung
an diese unverhofften anarchischen Minuten aber nimmt frau/man/mensch mit
in den Alltag. Ins Räuber-Theatergeschichts-Gedächtnis ist die Szene
definitiv schon aufgenommen.
[4][Leonie Böhm] und ihre Spielerinnen näherten sich dem fast 250 Jahre
alten Text neugierig mit einer entspannten Welle Feminismus. Sie versuchten
sich so nicht an einer Überschreibung des Stückes, sondern sie extrahieren.
Mit Mehrwert, besonders für die, die Schillers Erstling gut kennen. Mit
diesem Kompass im Gepäck kann mensch gespannt auf die nächste
„Räuber“-Inszenierung warten. Die „Räuberinnen“-Seherfahrung könnte …
dann in den Sehvorgang hineinschleichen. Und Eva Löbau könnte als Franz vor
dem inneren Auge wiederauferstehen, um den nächsten Franz-Schauspieler
beziehungsweise die nächste Franz-Schauspielerin genau dort zu korrigieren.
13 May 2024
## LINKS
[1] /Schwarzwald-Tatort/!5933886
[2] /Antigone-Inszenierung-in-Berlin/!5926046
[3] /Raeuber-Ratten-Schlacht-in-Hannover/!5579699
[4] /Regisseurin-Leonie-Boehm/!5644369
## AUTOREN
Katja Kollmann
## TAGS
Theater
Drama
Schauspielerinnen
Selbstermächtigung
Theater
Hamburg
Deutsche Kultur
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