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# taz.de -- Streit um Info-Blatt: Aufklärung unerwünscht
> Betriebsräte der Assistenzgenossenschaft wollten über Grenzsituationen
> aufklären, in die persönliche Assistenten geraten können – und wurden
> abgemahnt.
Bild: Können auch „Ziemlich beste Freunde“ werden: Betreuter und persönli…
Die Hamburger Assistenzgenossenschaft (HAG) hat ihre 15 Betriebsräte
abgemahnt, weil sie die Belegschaft über Grenzsituationen ihres Jobs
aufgeklärt haben. Die Betriebsräte veröffentlichten in einem Infoblatt zwei
Fälle, die zeigen sollten, dass persönliche Assistenten (siehe Kasten)
manchmal in physisch, psychisch und rechtlich prekäre Situationen geraten
könnten. Es sollte ein fachlicher Rat und eine Anregung zur
innerbetrieblichen Diskussion sein – ausdrücklich mit dem Hinweis, dass die
Vorfälle zwar authentisch seien, sich aber nicht zwangsläufig bei der HAG
abgespielt haben müssten.
In dem einen geschilderten Fall ging es um einen persönlichen Assistenten,
der einen Rollstuhlfahrer betreute, der beim gemeinsamen Einkaufen
regelmäßig Artikel, ohne zu zahlen, in seiner Kleidung verschwinden ließ.
Der Pfleger ignorierte diese Diebstähle, weil er es als gerechte
Umverteilung einschätzte. In dem anderen Fall wurde eine persönliche
Assistentin vom Freund ihrer Patientin mehrfach sexuell belästigt. Sobald
seine Freundin nicht im Raum war, machte er sexuelle Anspielungen und
versuchte immer wieder sie zu küssen. Die Assistentin rang lange mit sich,
ob sie ihrer Patientin von den Vorfällen erzählen sollte oder nicht. Am
Ende entschied sie sich dafür, es ihrer Patientin zu sagen und die
pflegebedürftige Frau versuchte gar nicht erst, ihren Freund zu schützen.
Die HAG mahnte die 15 Betriebsräte nach dieser Veröffentlichung individuell
ab. Sie hätten den Betriebsfrieden gestört und der HAG Schaden zugefügt, so
die Begründung der Geschäftsführung. Mit Betriebsfrieden ist das
respektvolle, konstruktive und einvernehmliche Zusammenwirken aller
Betriebsparteien gemeint, eine gesetzliche Definition dieses Begriffes
findet sich jedoch nirgendwo.
Zudem stellten die Betriebsräte, so der Vorwurf, mit der Publikation alle
Kunden der Genossenschaft unter den Generalverdacht, dass alle
Rollstuhlfahrer ihre persönlichen Assistentinnen in Straftaten hineinzögen
oder sie sexuell belästigten.
Diese Anschuldigungen ließ der Betriebsrat nicht auf sich sitzen und klagte
vor dem Arbeitsgericht. Am Mittwoch steht die Verhandlung an. „Warum sollen
in einem betriebsrätlichen Infoblatt nicht Geschichten aus der Arbeitswelt
unseres Unternehmens zu lesen sein, die von Grenzerfahrungen berichten?“,
fragt Sinje Ludwig, HAG-Betriebsratsvorsitzende.
Das Infoblatt sei ein Beitrag zur betriebsinternen Öffentlichkeit und es
gehe darum, zu zeigen, dass persönliche Assistenz eben nicht irgendein
Routine-Pflegejob sei. Es entwickelten sich vielmehr oft intensive
persönliche Beziehungen zwischen dem Betreutem und seinem Assistenten, die
zu Gewissenskonflikten oder auch in rechtlich prekäre Situationen führen
könnten. „Mit den Abmahnungen hat die Geschäftsführung versucht, durch
Repression unsere Arbeit zu behindern – das war ein Angriff auf unser
Informationsrecht gegenüber der Belegschaft“, sagt Ludwig.
Bei der Veröffentlichung der Fälle sei es nicht darum gegangen, „die HAG
und allgemein Menschen mit Behinderung in ein schlechtes Licht zu rücken“,
sagt auch HAG-Betriebsrat Karl Schaaf. Das einzige Anliegen sei gewesen,
„die Kolleginnen und Kollegen darüber zu informieren, welche
Grenzsituationen in der Assistenz passieren können“. Genau solche Fälle wie
die im Info-Blatt abgedruckten seien auch immer wieder Thema bei
Fortbildungen für persönliche Assistenten.
29 Nov 2015
## AUTOREN
Kai von Appen
## TAGS
Behindertenpolitik
Arbeitsrecht
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