| # taz.de -- Srđa Popović über Anstiftung zum Protest: „Eisbären sind einf… | |
| > Srđa Popović hat in Serbien den Widerstand mobilisiert. Heute ist er | |
| > Revolutionsberater und erklärt, was Klima-Aktivisten bisher falsch | |
| > machen. | |
| Bild: Srđa Popović: „Hallo, Regierung, hört ihr mich, oder soll ich lauter… | |
| taz: Sie haben eine erfolgreiche Revolution gegen den serbischen Diktator | |
| Milošević angezettelt, aber hier kommt etwas, was noch keiner geschafft | |
| hat: Wie gewinnt man normale Menschen für den Kampf gegen den Klimawandel, | |
| Mister Popović? | |
| Srđa Popović: Damit ist mir noch keiner gekommen. Aber ich habe am Ende der | |
| englischsprachigen Fassung meines Buches „Protest“ um Mailfeedback gebeten, | |
| um herauszufinden, welche Leute sich dafür interessieren. In den USA | |
| engagierten sich fünf von sechs für Marihuana-Legalisierung, oder es waren | |
| Klima-Aktivisten. | |
| Was sagt Ihnen das? | |
| Ich hätte erwartet, dass sich die meisten für Antikapitalismus | |
| interessieren. Aber der Klimawandel ist das Topthema, das macht Hoffnung, | |
| dass da etwas zu machen ist. Mein Sohn ist ein Jahr alt, und ich sehe, dass | |
| Serbien früher einen wunderbaren Frühling und einen wunderbaren Herbst | |
| hatte und heute nur noch eines von beiden. Wenn wir Glück haben. | |
| Was machen die Klima-Aktivisten bisher falsch? | |
| Die Bewegung hat zu viel Zeit damit verbraucht, die Aufmerksamkeit zu | |
| erhöhen. Das ist wichtig, aber man muss auch Druck ausüben, damit Politiker | |
| bestimmte Dinge wirklich machen. Dafür braucht es eine klare Strategie. | |
| Eisbären sind einfach nicht hilfreich. Stinkende Hundehaufen sind viel | |
| besser. Ich sage nur: Harvey Milk. | |
| Milk kämpfte als erster offen schwuler Politiker in den frühen 1970ern für | |
| Homosexuellenrechte in San Francisco. Er scheiterte aber zweimal, Stadtrat | |
| zu werden. | |
| Aber in dem Moment, in dem er der erfolgreiche Protagonist des Kampfes | |
| gegen Hundekot in der Stadt wurde, war er auf der Siegerstraße. Ab da | |
| hörten die Leute zu, wenn er über Homosexuellenrechte sprach. Der Rest ist | |
| Geschichte. | |
| Sie nennen das den Milk-Moment. Wenn Aktivisten kapieren, dass sie nicht | |
| ihr moralisches Gebot in den Vordergrund stellen dürfen, sondern das, was | |
| die Leute wirklich umtreibt. | |
| Genau. Und was ist die Hundescheiße in Ihrem Fall? | |
| Jetzt bin ich gespannt. | |
| Wir müssen über Autos reden. Der VW-Skandal kann der Hundekot der | |
| Klimabewegung sein. | |
| Wie das? | |
| Weil er ein stärkeres Gefühl auslöst, als wenn man sich um die Umwelt | |
| sorgt. Man sagt: Klar sorge ich mich um die Umwelt, aber jetzt brauche ich | |
| erst mal noch einen Kaffee. Aber wenn man sich betrogen fühlt, sieht es | |
| anders aus. | |
| Dann engagiert man sich? | |
| Ob die Regierung gewinnt oder die Opposition, das ist Politik. Aber sobald | |
| die Regierung bei der Wahl betrügt, wird es persönlich. Dann sind alle auf | |
| den Barrikaden. Dann entsteht eine Bewegung. So war es in Serbien, so kann | |
| es hier sein. Millionen bekommen das Gefühl, dass die großen Autokonzerne | |
| sie betrogen und ihnen ihr Geld geklaut haben. Das ist keine Umweltsorge, | |
| das ist der Hundekot, in den man reintappt. | |
| Die Empörung der Menschen hält sich bisher in Grenzen. | |
| Ich sage Ihnen nur, dass das eine große Gelegenheit ist. Vielen Leuten war | |
| das nicht wichtig, ob sie ein grünes Auto gekauft haben oder nicht. Aber | |
| wenn sie spüren, dass jemand die Hand in ihrem Geldbeutel hatte, dann | |
| werden sie sauer. | |
| Damit hätten wir eine klare Freund-Feind-Linie. Die anderen sind schuld. | |
| Aber in diesem Fall sind wir Teil des Problems: Der Wohlstandsbürger lebt | |
| ressourcenintensiv. Psychologisch schwierig. | |
| Sie haben recht. Aber Klimaaktivisten machen die Sache abstrakt statt | |
| konkret. Und sie predigen denen, die bereits glauben. Ich meine: Wie viel | |
| Leute haben außerhalb des Zoos schon einen Eisbären gesehen? Schauen Sie | |
| mal her. | |
| Was malen Sie da für einen Kreis auf die Tischdecke? | |
| Das nennt man das Spektrum der Alliierten. Es gilt für fast alle Länder: | |
| Hier haben wir gebildete Progressive, die Klimaschutz wollen, und da haben | |
| wir Rednecks, die sagen, das sei pseudowissenschaftlicher Bullshit, damit | |
| Unternehmen Geld verdienen können. Was mache ich also? | |
| Sagen Sie es mir. | |
| Ich versuche nicht, die Klimabewegung zu überzeugen. Die ist schon | |
| überzeugt. Auch nicht die Rednecks auf der anderen Seite. Die kriege ich eh | |
| nicht. Ich wende mich der Mitte zu, da sitzt die Mehrheit auf dem Zaun und | |
| schaut nur zu. Und hindert dich dadurch, zu bekommen, was du willst. Diese | |
| Menschen braucht man. | |
| Wie kriegt man sie? | |
| Ich sage Ihnen, wie man sie nicht kriegt. Man geht zu den amerikanischen | |
| Farmern und erklärt ihnen den Zusammenhang zwischen der ausgestoßenen Menge | |
| CO2, dem Gletscherschmelzen am Pol und den Auswirkungen auf die Bären. | |
| Haha. | |
| Sie lachen, aber das ist zu kompliziert und zu abstrakt. Sie müssen ihnen | |
| den Zusammenhang zwischen der Dürre und ihren Einnahmeverlusten erklären. | |
| Sie müssen fragen: Wie viel Geld haben Sie wegen der Dürre verloren? | |
| Dann werden sie Aktivisten? | |
| Ich lehre in Colorado, da gibt es viele Rinderzüchter, die ihr Geschäft | |
| wegen der Dürre verloren haben und es an große Unternehmen verkaufen | |
| mussten. Das ist brutal, damit verlieren sie das Leben, das ihre Familie | |
| seit fünf Generationen geführt hat. Sie müssen sich auf die Nöte der | |
| verschiedenen Zielgruppen konzentrieren und nicht auf die Nöte der | |
| Eisbären. | |
| Sie mögen keine Eisbären? | |
| Im Gegenteil. Ich habe nur etwas gegen unproduktives Denken. Klimawandel | |
| ist ein gutes Studienobjekt, an dem man sehen kann, was bei der | |
| Mobilisierung falsch läuft. | |
| Daniel Cohn-Bendit, Anführer der Pariser Studierendenrevolte von 1968, | |
| sagte mal, man könne sich nicht aussuchen, worüber die Menschen sich | |
| aufregen, aber man könne es nutzen. | |
| So ist es. Wut bringt Leute zusammen. Aber Wut ohne Hoffnung ist eine | |
| zerstörerische Kraft, sonst wird vielleicht etwas niedergebrannt, aber | |
| sicher nichts gewonnen. Das ist mein großes Problem mit Occupy. | |
| Motto: We kick the ass of the ruling class. | |
| Ich kam zu Occupy und sagte: Wie kann ich helfen? Sie sagten: Aaah, Wut. | |
| Ich sagte: Okay, was wollt ihr? Sie sagten: Keine Banken. Ich sagte: Und | |
| dann? Sie sagten: Die geben Darlehen an Studierende für deren | |
| Studiengebühren und danach sind die die Sklaven dieser Banken. Ich sagte: | |
| Wie studieren sie ohne die Darlehen? Schweigen. | |
| Der Antikapitalismus hat nun mal keine Alternative zum angeprangerten | |
| System. | |
| Zu wissen, was man nicht will, ist ein guter Anfang, aber man muss wissen, | |
| was man ändern würde, wenn man für einen Tag König wäre. Das ist der | |
| Schritt von der Wut zur Hoffnung. Wenn Sie ein autofreies Stadtzentrum | |
| wollen, brauchen Sie ein Konzept, wie man Mobilität dann organisiert. Das | |
| gibt es. Ich war in Kopenhagen und habe mir das angesehen. Bei meiner | |
| Diskussion mit Occupy sagte ich: Was tun Sie, um den Feind von dem zu | |
| überzeugen, was Sie wollen? Im Park kampieren? Das interessiert die doch | |
| einen Dreck. | |
| Wie funktioniert es denn? | |
| Es funktioniert bei Unternehmen wie Regierungen nur auf eine Art: Man muss | |
| etwas tun, was ihnen wehtut und sie Geld kostet. Die erste Frage ist also: | |
| Wie viele derjenigen, die gegen eine bestimmte Bank demonstrieren, haben | |
| ihr Geld auf dieser Bank? Sie werden staunen, aber das sind in der Regel 15 | |
| bis 20 Prozent. Bring mir die Leute mit Konten und überzeuge sie, dass sie | |
| ihr Geld abziehen. | |
| Legale Geschäftsschädigung. | |
| Ja, das ist die einzige Sprache, die diese Banken verstehen. Und eine | |
| Taktik, die es bringt. | |
| Werfen Ihnen Leute eigentlich vor, kein linker Intellektueller zu sein, | |
| sondern ein PR-Guy? | |
| Ich bin kein linker Intellektueller. Politisch gesehen bin ich ein | |
| moderater Linker. Aber ich habe eine politische Philosophie, und die | |
| lautet: An unglücklichen Orten haben die Leute Angst vor der Regierung, und | |
| an glücklichen Orten hat die Regierung Angst vor den Leuten. Anders gesagt: | |
| Wenn die Leute mehr Macht haben, ist das System liberal. Wenn die Bürger | |
| machtlos sind, wird das System fies, egal ob links oder rechts. | |
| Die Frage ist: Wie kriegen Leute mehr Macht? | |
| Man muss eine grundsätzliche Sache verstehen: Es sind die Hobbits, die die | |
| Welt verändern, nicht die Wizards. | |
| Ich habe mich schon gefragt, wann Sie auf den gewaltlosen Kampf der Hobbits | |
| für den Weltfrieden in Tolkiens „Herr der Ringe“ zu sprechen kommen, Ihrem | |
| Lieblingsbuch. | |
| Ja, das ist großartig. Schauen Sie sich diese Hobbits an: Sie sind klein | |
| und faul, sie wollen gut trinken, gut essen, schön Pot rauchen. Das sind | |
| keine Krieger. Aber sie retten die Welt. Die einzige Möglichkeit, den | |
| Klimawandel zu bekämpfen, besteht darin, die normalen Menschen dafür zu | |
| gewinnen. | |
| Normale Menschen sollen gegen Klimawandel aufstehen? Es stehen ja nicht mal | |
| Linke auf. | |
| Das ist meine Lebenserfahrung. Der Hobbit Frodo ist alles andere als ein | |
| Held, aber er handelt wie einer. Denken Sie an Serbien 1996/97. Die | |
| Opposition, das internationale Engagement, die Sanktionen, die Bomben: | |
| alles gescheitert. Milošević wird immer stärker, ist bereit für seinen | |
| fünften Krieg, und das ganze Bullshit-Gerede in der UNO verhindert nicht, | |
| dass er Kosovo-Albaner abschlachtet. Dann setzen wir 50 Studierende aus | |
| Belgrad uns zusammen, finden den Weg. | |
| Der da ist? | |
| Wenn ich die Welt ändern will, dann brauche ich Masse. Denken Sie, die zwei | |
| Millionen, die Milošević gestürzt haben, kamen, weil sie alle in die EU | |
| wollten? Unsere Bewegung Otpor stellte dieselbe Plattform für alle Leute | |
| her. Die einen wollten dies, die anderen das. Aber alle Motive waren | |
| persönlich. Das brachte die Masse. | |
| Viele politische Menschen sind besessen von Differenz. | |
| Ich liebe Differenz. Aber die Masse ist immer in der Mitte. Sie müssen sich | |
| auf das Gemeinsame fokussieren, nicht auf Differenzen. | |
| Die sind aber nun mal da. | |
| Hören Sie: Wir hatten 19 politische Parteien in Serbien mit 19 | |
| unterschiedlichen Kernanliegen. Darunter für serbische Verhältnisse | |
| exotische wie Rechte von Homosexuellen. Man muss das Gemeinsame finden bei | |
| Rechten, die traditionelle Werte bewahren, und Aktivisten, die das Recht | |
| auf gleichgeschlechtliche Ehe wollen. | |
| Was ist da das Gemeinsame? | |
| Das Gemeinsame ist das, was fehlt: eine Chance, den Konflikt politisch | |
| auszutragen, weil keiner der beiden eine Stimme im Parlament haben kann, | |
| solange es einen Diktator gibt. Also sagen wir: Lasst uns die prioritären | |
| Probleme zuerst lösen und eine Situation schaffen, in der ihr beide euren | |
| Konflikt demokratisch austragen könnt. | |
| Viele Bürger in Deutschland engagieren sich für eine offene Gesellschaft, | |
| gleichzeitig sind wir aber auch eine bequeme Truppe, die ihren Standard | |
| verteidigen will. | |
| Das ist der Grund, warum die erste Revolution in deinem Kopf beginnen muss. | |
| Wenn Sie sich den sozialen Wandel als Videospiel vorstellen, dann | |
| funktioniert es so: Je mehr Angst in autoritären Regimen, desto stabiler | |
| der Status quo. In ordentlichen Demokratien wird der Faktor Angst vom | |
| Faktor Apathie ersetzt. Ich habe mehr Angst vor der Apathie, weil ich Leute | |
| gesehen habe, die ihre Angst überwinden konnten und handeln. | |
| Sie selbst sind ein Beispiel dafür. | |
| Ich werde überwacht, seit ich 23 bin – dicke Akte. Hat mich das gestoppt? | |
| Hat es nicht. Gehst du auf die Baustelle, dann setzt du den Helm auf. Legst | |
| du dich mit der Regierung an, muss dir klar sein, dass sie dich überwachen. | |
| So what? Leg dich auf den Boden und sage: Hallo, Regierung, hört ihr mich, | |
| oder soll ich lauter sprechen? | |
| Sie empfehlen auch anarchischen Humor. | |
| Ja, Humor kann die Angst nehmen, Humor ist ein cooler Faktor, damit lässt | |
| man so jemandem wie Super-Mucho-Macho-Putin die Luft raus. | |
| Wir haben den inhaltlichen Kern Ihrer Revolutionsberatung noch nicht | |
| diskutiert: Gewaltlosigkeit. Ist das nicht allzu utopisch? | |
| Im Gegenteil. Sie erinnern sich an die Untersuchung, die ich zitiere, dass | |
| bei einem Regimewechsel friedliche Mittel in 42 Prozent der Fälle | |
| Demokratie bringen, Krieg und internationale Intervention aber nur in 4 | |
| Prozent. Schauen Sie sich die Fälle an, die derzeit fast zwei Drittel der | |
| Flüchtlinge exportieren: Syrien, Libyen, Irak, Afghanistan, Somalia. Was | |
| lernen wir? Militärische Intervention löst keine Probleme und bringt keine | |
| Stabilität. | |
| Ist das Ihr Ausgangspunkt? | |
| Ja, das ist die Vision in der Flüchtlingskrise. Man braucht Vision und | |
| Strategie, und dann sucht man Taktiken. Die Strategie ist: Im Mittleren | |
| Osten müssen sich die Weltführer zusammensetzen und das Problem Syrien und | |
| Libyen lösen. In Europa ist die Strategie, die Flüchtlinge zu akzeptieren, | |
| die da sind und noch kommen. Um das durchzusetzen, muss man den Leuten, die | |
| diese Vision teilen, eine gemeinsame Stimme geben. Das ist die Taktik. | |
| Bisher ist diese Akzeptanz unter den EU-Staaten nicht sehr verbreitet. | |
| Was ist das Problem? 500 Millionen Europäer, 2 Million Flüchtlinge, werden | |
| die dich kolonisieren? Sicher nicht. Sind das zu viele? Sicher auch nicht. | |
| Ich lebe in einem Land, das 1995 300.000 serbische Flüchtlinge aus Kroatien | |
| aufgenommen hat. Mein Land hat 5 Prozent seiner Bevölkerung absorbiert, | |
| erfolgreich, und wir sind nicht das bestorganisierte Land der Welt. | |
| Es sind auch viele aus Serbien geflüchtet. | |
| Ja, mein Bruder verließ Serbien, weil er als Soldat Menschen töten sollte. | |
| Er lebt jetzt in Mailand, nicht auf großem Fuß, aber ganz okay. Überall auf | |
| der Welt gibt es jetzt Serben. Wer weiß, was aus ihnen geworden wäre, wenn | |
| sie in Belgrad geblieben wären. Andererseits haben uns die Flüchtlinge aus | |
| Kroatien sehr geholfen. Flüchten ist immer auch eine Chance. | |
| Worauf wollen Sie hinaus? | |
| Viele Menschen denken, Chance sei Zufall, eine Sache von Segen oder Fluch. | |
| Ist man in Westberlin geboren, hat man Glück gehabt, wird man in Riad als | |
| Frau oder Schwuler geboren, hat man Pech gehabt. Aber ich glaube nicht an | |
| Segen und Fluch. Das Leben ist keine Lotterie, es ist eine Herausforderung. | |
| Man kann die gleichen Chancen haben. | |
| Aber nicht, wenn man in Syrien bleibt. Oder auf dem Westbalkan. | |
| Genau. Flüchtling sein heißt, dass man eine Chance hat. | |
| 25 Nov 2015 | |
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| Peter Unfried | |
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