| # taz.de -- Arbeit in der Textilindustrie: Der lange Weg zum fairen T-Shirt | |
| > Vor einem Jahr gründete Entwicklungsminister Müller ein „Textilbündnis“ | |
| > für bessere Bedingungen in Kleiderfabriken. Wie kommt es voran? | |
| Bild: In der Tazreen-Fabrik in Dhaka starben bei einem Brand 2012 mehr als 100 … | |
| Dhaka taz | Das rote Motorrad mit den verdreckten Reifen ist widerspenstig. | |
| Gerd Müller dreht am Gasgriff, doch nichts passiert. Nun wird dem | |
| Entwicklungsminister geholfen. Knatternd springt der Motor an. Auch einen | |
| Helm bekommt Müller aufgesetzt. Lächeln für die Kameras. Die Manager der | |
| Textilfabrik applaudieren dem Gast aus Deutschland. | |
| Dhaka, Hauptstadt von Bangladesch: Gerd Müller ist hier, um sein Anliegen | |
| voranzutreiben. Kleidung, die Geschäfte in Deutschland anbieten, soll nicht | |
| unter ausbeuterischen Bedingungen hergestellt werden. Deshalb hat die | |
| Müller unterstellte Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) | |
| einige technische Verbesserungen wie die roten Motorräder bezahlt. | |
| Inspektoren können damit zu abgelegenen Produktionsstätten fahren. Sie | |
| kontrollieren, ob Fabrikgebäude stabil gebaut sind, intakte Feuerlöscher an | |
| den Wänden hängen, Fluchtwege existieren und die Arbeiterinnen nicht wie | |
| Sklaven gehalten werden. | |
| Zwei Stunden hat sich Müllers Fahrzeugkonvoi erst durch den Verkehr der | |
| 14-Millionen-Stadt Dhaka, dann über Schlaglochwege durch die Hüttenvororte | |
| gequält. Hier steht ein modernes, achtstöckiges Fabrikgebäude. An den | |
| Straßen auf dem Firmengelände stecken bunte Fähnchen im ordentlich gemähten | |
| Rasen. Alles sieht toll aus, nicht nach Entwicklungsland, sondern nach | |
| „Leuchtturm für eine faire Globalisierung“, wie Müller schwärmt. | |
| Tatsächlich scheint das Familienunternehmen Dulal Brothers Ltd. seinen | |
| 22.000 Beschäftigten – überwiegend jungen Frauen – Bedingungen zu bieten, | |
| die deutlich über dem Standard im Land liegen. Zwar arbeiten auch hier | |
| Hunderte Leute auf einem Stockwerk dicht an dicht. Sie fertigen | |
| beispielsweise Oberhemden, die man bei H & M, Esprit, G-Star oder Lidl | |
| kaufen kann. Die Stoffe werden geschnitten, genäht, Kragen werden | |
| angesetzt, Knöpfe angenäht, Etiketten angebracht, die fertigen Hemden | |
| kontrolliert, gebügelt, gefaltet, verpackt. | |
| ## 70 Cent pro Stunde | |
| Es ist eine erschöpfende, monotone Industriearbeit – dennoch besser | |
| organisiert als in vielen anderen Fabriken. So hängen keine lauten | |
| Propeller unter den Geschossdecken, die anderswo nervtötenden Lärm | |
| verbreiten. Die Klimatisierung übernehmen stattdessen Ventilatoren in den | |
| großen Fenstern der Halle. Es ist nicht heiß, die Luft angenehm. Auch die | |
| Nähmaschinen rattern nicht ohrenbetäubend. Ihren Beschäftigten bietet die | |
| Firma einen speziellen Laden, in dem sie Lebensmittel und andere | |
| Konsumgüter billiger als normal einkaufen können. Die Medizinstation auf | |
| dem Gelände gewährleistet kostenlose ärztliche Versorgung. Dieser | |
| Arbeitgeber übernimmt dadurch Dienstleistungen, die das Entwicklungsland | |
| Bangladesch seinen Bürgern nicht zur Verfügung stellt. | |
| Außerdem sei die Bezahlung besser als üblich, erklären die Manager. Eine | |
| durchschnittliche Näherin könne hier rund 15.000 Taka pro Monat verdienen – | |
| etwa 170 Euro. Bei 60 Arbeitsstunden wöchentlich beträgt der Lohn zwar für | |
| deutsche Verhältnisse lächerliche 70 Cent pro Stunde. In Bangladesch liegt | |
| er damit allerdings bei 300 Prozent des Mindestlohns. Im Vergleich zu | |
| vielen Millionen Beschäftigten in der Textilindustrie des Landes scheint es | |
| den Näherinnen bei Dulal Brothers also einigermaßen gut zu gehen. | |
| Allerdings nicht gut genug, wie die Gewerkschafter der Asiatischen | |
| Fabriklohn-Kampagne sagen. Deren Berechnungen zufolge müssten | |
| Arbeitnehmerinnen in Bangladesch etwa 250 Euro monatlich erhalten, um die | |
| Grundbedürfnisse ihrer Familien decken zu können. Dieser sogenannte | |
| Existenzlohn soll nicht nur Essen, Wohnen und Kleidung ermöglichen, sondern | |
| auch Mobilität, Kommunikation, soziale Sicherheit, Bildung der Kinder und | |
| Sparen. | |
| Das Konzept des Existenzlohns spielt eine große Rolle in der | |
| Auseinandersetzung über die Zustände in den weltweiten Zulieferfabriken der | |
| europäischen und US-amerikanischen Textilkonzerne. Während etwa die | |
| Kritikerorganisation Kampagne für Saubere Kleidung fordert, dass Händler | |
| wie H & M, Otto, KiK oder Walmart den Existenzlohn in Bangladesch, China | |
| oder Kambodscha durchsetzen, verweisen die Unternehmen darauf, dass sie | |
| sich immerhin an die staatlich festgelegten, wenn auch niedrigeren | |
| Mindestlöhne halten. | |
| ## Wie ein christlicher Marxist | |
| Entwicklungsminister Müller hat die umständliche Reise in Dhakas ländlichen | |
| Norden auch deshalb unternommen, weil Dulal Brothers aus seiner Sicht einen | |
| weiteren Vorteil hat. Die vier Eigentümer waren die Ersten in Bangladesch, | |
| die Müllers Textilbündnis beitraten. Dieses existiert seit einem Jahr. | |
| Mittlerweile haben sich über 150 schwerpunktmäßig in Deutschland aktive | |
| Textilkonzerne, Verbände und Organisationen angeschlossen. Müller übernimmt | |
| damit den ehrgeizigen Versuch, die ökologischen und sozialen Bedingungen in | |
| der globalen Textilproduktion zum Besseren zu verändern. | |
| Wenn Müller, 60 Jahre alt, bayerischer Bauernsohn mit großen Händen, | |
| darüber redet, klingt er wie ein christlicher Marxist. Der CSU-Politiker, | |
| der früher mal die Junge Union Bayern leitete, ist zornig, dass sich große | |
| Firmen wie H & M, KiK oder Primark aus dem sozialen Konsens verabschieden. | |
| Wenn die Konzerne den Produzenten nur 1 Euro pro T-Shirt zugeständen, | |
| reiche das einfach nicht, um vernünftige Arbeitsbedingungen zu finanzieren, | |
| verkündet er im Ausstellungsraum von Dulal Brothers. Die westlichen | |
| Konzerne sollten ihren Lieferanten in Bangladesch und anderswo bessere | |
| Preise bieten, damit diese ihren Beschäftigten höhere Löhne zahlen könnten. | |
| Um das durchsetzen, so Müller, müsse die Politik der Wirtschaft auch | |
| weltweit Regeln vorschreiben. | |
| Des Ministers Ansinnen ist auch eine Reaktion auf die Katastrophe von Rana | |
| Plaza. Nicht weit von Dulal Brothers entfernt brach vor zweieinhalb Jahren | |
| ein Gebäude mit Textilfabriken zusammen. Über 1.000 Arbeiterinnen und | |
| Arbeiter starben. Mit seinem Textilbündnis will Müller auch einen Beitrag | |
| dazu leisten, dass so etwas nicht wieder passiert. Im Aktionsplan des | |
| Bündnisses stehen viele gute Punkte: So geht es um Arbeitssicherheit, | |
| Unfall- und Gesundheitsschutz, maximale Arbeitszeiten – und sogar zum | |
| Existenzlohn haben sich Otto, C & A, KiK, H & M und Co. bekannt. | |
| Allerdings nur theoretisch. In der ersten Version enthielt der Aktionsplan | |
| noch die Verpflichtung für die Konzerne, dass die Beschäftigten der | |
| wichtigsten Zulieferer bis spätestens 2020 existenzsichernde Löhne | |
| erhalten. Diesen Zeitplan haben die Firmen und Verbände jedoch gestrichen – | |
| als Bedingung für ihre Teilnahme am Bündnis. Müller willigte ein, um sich | |
| die Unterschriften der Unternehmen als Erfolg anrechnen zu können. Das | |
| Resultat: Nun gibt es zwar gemeinsame Ziele – wann diese aber erreicht | |
| werden, steht in den Sternen. | |
| ## Zusagen bekommt Müller nicht | |
| Ein weiterer Minuspunkt: Vor einem Jahr, am 16. Oktober 2014, ließ der | |
| Entwicklungsminister das Textilbündnis offiziell gründen. Außer | |
| bürokratischen Aktivitäten ist bis heute aber nichts passiert. Maik Pflaum, | |
| der für die Kampagne für Saubere Kleidung im Bündnis mitwirkt, sagt: „Auf | |
| der Ebene der Produktion, bei den NäherInnen, hat das Textilbündnis bisher | |
| keine Aktivitäten entwickelt und deswegen noch keine Fortschritte bewirkt.“ | |
| Das sei auch kein Wunder, betont dagegen Uwe Mazura, Hauptgeschäftsführer | |
| des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie: „Innerhalb nur | |
| weniger Monate grundlegende praktische Veränderungen bei den | |
| Arbeitsverhältnissen in den Zulieferfabriken zu erwarten, entspricht nicht | |
| der Komplexität des Themas. Hier sind auch die Produktionsstaaten und die | |
| Bundesregierung in der Pflicht. Ich bin allerdings sicher, dass wir in | |
| einigen Jahren wesentliche Verbesserungen erreichen können und auch | |
| werden.“ | |
| Auf der Reise in Bangladesch möchte der Minister von den Firmen mehr hören. | |
| Konferenzraum eines Oberklassehotels in Dhaka Anfang Oktober: Der Minister | |
| hat Einkäufer großer Textilhändler eingeladen. Am Tisch sitzen unter | |
| anderem Tchibo, Aldi, H & M und C & A. Und, fragt Müller, wo stehe denn der | |
| Preis einer Jeans gegenwärtig im Einkauf? Bei 9 Euro? Er will sagen: Ihr | |
| dürft die Preise nicht ständig drücken, ihr müsst den Zulieferern in | |
| Bangladesch mehr Geld lassen. Zusagen bekommt Müller jedoch nicht. | |
| Theoretisch reden die Firmenvertreter gern über Nachhaltigkeit. Wird es | |
| konkret, sprechen sie lieber darüber, dass die Zulieferer ihre | |
| Produktivität steigern sollten. | |
| Die Reise fand auf Einladung des Ministeriums für Wirtschaftliche | |
| Zusammenarbeit (BMZ) statt. | |
| 15 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Hannes Koch | |
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