# taz.de -- Lidl-Zulieferer in Bangladesch: Verschwörung des guten Willens | |
> In einem Lidl-Zulieferbetrieb in Bangladesch äußerten Arbeiter | |
> Sicherheitsbedenken – sie wurden gefeuert. Nun schloss der deutsche | |
> Besitzer die Fabriken. | |
Bild: Arbeiterdemo vor dem Accord-Büro am 1. März 2015. | |
DHAKA/GAZIPUR taz | Mitte Februar kommt es in der Fabrik von BEO Apparels – | |
Hersteller von T-Shirts, Polohemden und Pullovern und Zulieferer der | |
deutschen Supermarktkette Lidl – zu einer auch für Bangladesch | |
ungewöhnlichen Szene: Vor den Augen eines Einkäufers zerren leitende | |
Angestellte, mit Stangen bewaffnet, an der Kleidung eines Gewerkschafters. | |
Sie hätten ihn wohl auch zusammengeschlagen, wenn es ihm nicht gelungen | |
wäre, in ein Auto zu flüchten. Von dort aus macht Kamrul Hassan, der | |
Gewerkschafter, Handyfotos: Sie zeigen die Manager, mit Eisen- und | |
Holzstäben bewaffnet. | |
So glimpflich wie für Kamrul Hassan endet dieser 16. Februar nicht für alle | |
Anwesenden. Bei der folgenden Prügelei werden auf beiden Seiten mindestens | |
zehn Personen verletzt. Für die Beschäftigten der Fabrik rückt damit der | |
letzte Arbeitstag näher: Der deutsche Besitzer von BEO Apparels, Ulrich | |
Bornemann, verkündet, dass er diese und eine zweite Fabrik in Bangladesch | |
dauerhaft schließen will. Die Probleme der letzten Monate hätten dazu | |
geführt, dass er keine Aufträge mehr habe. 1.300 ArbeiterInnen werden dann | |
auf der Straße stehen. | |
Die Geschichte des Konflikts zwischen der Fabrikleitung von BEO Apparels | |
und der Betriebsgewerkschaft ist ein Beispiel für den komplizierten Alltag | |
im Billiglohnland Bangladesch. Wie es dazu kam, darüber gibt es | |
unterschiedliche Versionen, je nachdem, wen man fragt. Kamrul Hassan | |
berichtet, dass die Gewerkschaftsmitglieder dem Management im September | |
vergangenen Jahres zunächst Bedenken wegen der Sicherheit im Betrieb | |
vorgetragen und höhere Feiertagsgelder gefordert hätten. Wenige Tage darauf | |
seien 48 Beschäftigte entlassen worden. Seitdem drängten internationale | |
Gewerkschaften und Kunden der Fabrik darauf, die Gefeuerten wieder | |
einzustellen. Fabrikeigner Bornemann hingegen sagt, die Leute hätten wild | |
gestreikt und sogar einige der Fabrikleiter eingesperrt. Deshalb sei die | |
Entlassung rechtens gewesen. | |
Im schlichten Büro von Kamrul Hassans Gewerkschaftsverband AGWF, am Rande | |
der staubigen Hauptstraße zwischen Dhaka und Gazipur gelegen, sitzen nun 6 | |
der 48 gefeuerten Arbeiter und 3 weitere, die derzeit noch bei BEO Apparels | |
arbeiten. Sie haben die Briefe dabei, die sie im September geschrieben | |
hatten. In wackliger Schrift und unsicherer Orthografie steht darin, dass | |
sie um Schränke bitten, um ihre Schuhe verstauen zu können. Sie wünschen | |
sich auch, dass der Dampfkessel für die Bügeleisen verschoben wird, weil | |
sie glauben, er könnte explodieren. In einem dritten Brief fordern sie ein | |
höheres Feiertagsgeld für das kommende muslimische Opferfest. Es solle die | |
für die Branche übliche Summe übersteigen und allen ausgezahlt werden – | |
nicht nur an die, die länger als drei Monate im Betrieb waren. | |
„Die Fabrikleitung hat uns gleich gesagt, dass das nicht geht“, erinnert | |
sich Ariful Islam, der Chef der Betriebsgewerkschaft. „Aber sie sagten, sie | |
würden mal nachrechnen.“ Als dann wenige Tage später ein Aushang über das | |
Feiertagsgeld auftauchte, auf dem die Namen der neuen KollegInnen im | |
Betrieb fehlten, marschierten zwölf ArbeiterInnen zur Fabrikleitung, um zu | |
verhandeln. | |
## „Aussage gegen Aussage“ | |
Der Streit eskalierte nun. Fabrikchef Bornemann zufolge forderten die | |
Gewerkschafter daraufhin die Belegschaft auf, die Arbeit niederzulegen. Und | |
sie schlossen die Fabrikleitung ein. Aus diesem Grund sei ihnen und 36 | |
anderen Beteiligten wenige Tage später fristlos gekündigt worden. Doch im | |
AGWF-Büro erzählen die ArbeiterInnen etwas anderes: Die Manager hätten | |
vorgegeben, den Geschäftsführer hinzurufen zu wollen, diesem aber | |
vorgegaukelt, eingeschlossen worden zu sein. Es habe auch keine | |
Arbeitsniederlegung gegeben, nur die Verhandelnden hätten zu diesem | |
Zeitpunkt nicht gearbeitet. | |
Auf die zwei Darstellungen des Tages angesprochen, sagte Bornemann, der | |
seit vier Jahren in Bangladesch lebt, ihm sei die Version der beteiligten | |
ArbeiterInnen unbekannt. Er habe sie auch nicht selbst zu den Ereignissen | |
angehört, sondern sich auf die Erzählung seiner Fabrikleitung und weiterer | |
Zeugen verlassen: „Da steht wohl Aussage gegen Aussage.“ Allerdings habe | |
ihn die Gewerkschaft auch im Nachhinein nicht über ihre Version informiert. | |
Kamrul Hassan vom Gewerkschaftsverband AGWF hält die Entlassungen für eine | |
eindeutige Vergeltungsaktion. Möglich wäre es: In Bangladesch klagen | |
Gewerkschafter immer wieder darüber, dass sie gewalttätig angegriffen oder | |
ArbeiterInnen, die sich organisieren wollen, fristlos entlassen werden. | |
„Dann legen wir Protest beim Bangladesh Accord ein“, sagt Kamrul Hassan. | |
## Gütesiegel: „konform“ | |
Im „Accord“ haben sich mehr als 190 vorwiegend europäische Markenfirmen – | |
darunter auch Lidl – zusammengeschlossen. Er wurde nach dem Einsturz des | |
Fabrikgebäudes Rana Plaza vor knapp zwei Jahren eingerichtet. Seine | |
Aufgabe: Sicherheitsstandards und Arbeiterrechte in den Zulieferfabriken zu | |
prüfen und durchzusetzen. Werden Fabriken vom Accord als „nicht konform“ | |
bewertet, dürfen die Mitglieder dort nicht mehr einkaufen. Bei BEO Apparel | |
stellte der Accord mehrere kleinere bauliche Mängel fest. Unter anderem | |
forderte er eine feuerfeste Wand für den Dampfkesselraum, außerdem sollten | |
leicht brennbare Stoffe aus den Ausgängen entfernt werden. | |
Im Konflikt zwischen der Firma und den Gewerkschaftern bittet der Accord | |
Ende Oktober 2014 alle Beteiligten zu einem Treffen: Ulrich Bornemann ist | |
anwesend, ebenso die Einkäufer von Lidl, auch Kamrul Hassan vom | |
Gewerkschaftsverband und acht der gefeuerten ArbeiterInnen sowie zwei | |
Gewerkschaftsmitglieder, die noch in der Fabrik arbeiten. Bei dieser | |
Begegnung lehnt Bornemann strikt ab, die 48 ArbeiterInnen wieder | |
einzustellen. Danach berichten die zwei noch angestellten ArbeiterInnen, | |
dass sie vom Management wegen ihrer Teilnahme am Treffen beschimpft worden | |
seien. Auf der Straße sei ihr von einem Schläger aus dem Ort gesagt worden, | |
sie solle „die Gegend verlassen“, sagt eine Arbeiterin. | |
Der Konflikt schleppt sich hin. In den folgenden Wochen gelingt es dem | |
Accord auch bei mehreren Treffen nicht, Bornemann zu einer | |
Wiedereinstellung zu bewegen. Dieser hingegen berichtet von einer | |
„Rufmordkampagne“: Seinen Kunden sei von den Ereignissen berichtet worden, | |
diese hätten Druck gemacht und es habe nur noch wenige Aufträge gegeben. | |
Schließlich knickt Bornemann ein: Mitte Dezember sagt er zu, die | |
entlassenen ArbeiterInnen zum Februar wieder einzustellen und ihnen die | |
fehlenden Gehälter auszuzahlen. | |
Doch nun bekommt es der Firmeneigner mit seiner Fabrikleitung zu tun. In | |
einem Brief, der der taz vorliegt, drohen 35 leitende Angestellte, sofort | |
zu kündigen, wenn die ArbeiterInnen wieder eingestellt würden. In dem Brief | |
steht, sie würden um ihr Leben fürchten. Bornemann zieht die Zusage zur | |
Wiedereinstellung wieder zurück. Und so kommt es zu den Ereignissen vom 16. | |
Februar. Auf das Treffen zwischen Fabrikleitung, Accord, Lidl-Einkäufern | |
und Gewerkschaft folgt die Schlägerei. | |
## Fabrik „nicht konform“ | |
Danach schließt die Fabrik – „vorläufig“, wie es im Aushang für die | |
ArbeiterInnen heißt. Doch schon eine Woche später lässt Ulrich Bornemann | |
seine Kunden und den Accord durch eine E-Mail wissen, dass er die Fabrik | |
nicht wieder eröffnen werde. | |
Eine Stunde später erklärt der Accord-Chef in einer E-Mail Bornemanns | |
Fabriken für „nicht konform“. Die Firma verliert daraufhin weitere Aufträ… | |
– auch von Kunden, die nicht Mitglied im Accord sind. Als die ArbeiterInnen | |
nun erfahren, wie schlimm es steht, machen sich knapp 200 von ihnen am 1. | |
März auf den Weg nach Dhaka, zum Büro des Accord, um gegen die Schließung | |
zu protestieren. Während einige ins Büro im 12. Stockwerk des modernen | |
Hochhauses zum Gespräch vorgelassen werden, wartet der Rest in einer | |
Seitenstraße. | |
„Wir alle leben von diesen Jobs – was soll jetzt aus uns werden?“, sagt | |
eine langjährige Näherin. Für die meisten ist klar: Die Fabrik wurde wegen | |
einer Verschwörung von Accord und Gewerkschaft geschlossen. „Wir brauchen | |
diese Störenfriede nicht und brauchen auch keine Gewerkschaft“, rufen | |
mehrere. Doch danach sieht es nicht mehr aus. Am Donnerstag sollen die | |
letzten Löhne ausgezahlt werden, dann will Ulrich Bornemann seine Geschäfte | |
abwickeln. | |
5 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Lalon Sander | |
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