# taz.de -- Die Wahrheit: Goodbye Merkel | |
> Ein Nobelpreis für das Ostmädchen Angela? Das wäre der Todesstoß für den | |
> angeschlagenen Koloss Helmut Kohl. | |
Bild: Ihren Mentor zu ehren und zu preisen, ist eine der liebsten Übungen von … | |
Schnaufend liegt der Berg Mensch in seinem verwühlten Bett. Mit einem | |
abfälligen Grunzen kommentiert der graue Riese jede neue Meldung in den | |
Fernsehnachrichten. Die bunten Bilder aus der Weltpolitik ziehen an ihm | |
vorbei wie polternde Zirkuswagen. Er, er hatte damals alles besser im | |
Griff, da ist sich Helmut Kohl sicher. | |
Der jetzt einen kollernden Hustenanfall bekommt, dass seine treue Frau | |
Maike gleich aus der Nebensuite herbeieilt an sein Krankenlager, um ihm ein | |
beruhigendes Wasser zu reichen und seinen mächtigen Silberrücken zu | |
klopfen. „Is scho gud!“, brummt der Alt- internationale unleidlich und | |
zufrieden zugleich. | |
Seit Monaten liegt der angeschlagene Koloss nach einer Hüft- und einer | |
Darmoperation im Klinikum Heidelberg. Rührend kümmern sich seine Getreuen | |
um ihn, allen voran seine junge Gattin, die ihm nicht von der Seite weicht | |
und ihn abschirmt von den dunklen Kräften, die seine Nähe suchen – wie | |
seine weinerlichen Söhne, die schimmeligen Weggefährten und das Dreckspack | |
aus der Journaille. Nur Kohls treuer Lakai Diekmann darf ihn ab und zu | |
besuchen, auch wenn die unterwürfige Art des Bild-Chefredakteurs selbst dem | |
greisen Pfälzer mitunter zu viel ist. | |
## Die Wut überkommt den hordenbärtigen Boulevardisten | |
Für seinen Ziehvater aber würde der hordenbärtige Boulevardist alles tun, | |
und so erschrak Diekmann zutiefst, als in den letzten Wochen ein | |
skandalöses Gerücht aufkam, das bald schon mehr war und zur beinah | |
gesicherten Nachricht wurde: Angela Merkel solle in diesem Jahr den | |
Friedensnobelpreis bekommen. Die Kanzlerin sei wegen ihrer | |
Flüchtlingspolitik auf Platz eins der Anwärterliste geschossen und werde | |
wohl die höchste Auszeichnung der Welt erhalten. Diekmann zitterte, wenn er | |
nur daran dachte, dass es wahr sein könnte. Ausgerechnet Merkel. Kohls | |
Mädchen aus dem Osten. Das würde seinem Helmut, dessen Namen er manchmal | |
noch immer nachts zärtlich in die Dunkelheit hauchte, den Todesstoß geben. | |
Er, Kohl, hatte seit Jahren mit dem hohen Preis gerechnet – für die | |
Deutsche Einheit, und nichts war schließlich wichtiger als die nationale | |
Frage, sein größter politischer Erfolg. Dagegen waren die Ukraine und | |
Griechenland, war das Flüchtlingsproblem nur „Dreck, Dreck, Dreck“, | |
stampfte Diekmann wütend auf, der jahrelang in seinem Blatt dafür gekämpft | |
hatte, Kohl zum Nobelsten der Noblen zu veredeln. Aber diese verfickten | |
Schweden oder Norweger wollten einfach nicht anbeißen, obwohl er ihnen Kohl | |
jedes Jahr auf dem Silbertablett serviert hatte. | |
## Die ehemalige Lokaljournalistin wird gern unterschätzt | |
Als Maike Kohl-Richter von dem schrecklichen Desaster erfuhr, handelte die | |
gern unterschätzte ehemalige Lokaljournalistin sofort. Die Gedankenkette | |
Kohl–Nobelpreis–Merkel hatte etwas in ihr ausgelöst . . . Merkel–DDR–L… | |
spann sie die Reihe fort . . . da war doch einmal so ein formidabler Film, | |
dieses Lustspiel aus dem Osten, in dem einer Mutter von ihren Kindern | |
vorgespielt wurde, dass die DDR noch existiere? Irgendwas mit Lenin, | |
überlegte sie, und plötzlich ging ihr ein Licht auf, wie man aus der | |
verfahrenen Situation herauskäme. Der dienstwillige Diekmann war | |
augenblicklich Feuer und Flamme und ließ begeistert eines seiner zwei | |
Diensthandys glühen. „Fantastisch!“, lobte er die Faststiefmutter für ihre | |
geniale Idee. | |
Und so kam es, dass Helmut Kohl seit Tagen in seiner Riesenbettstatt eine | |
etwas andere Nachrichtenwelt präsentiert wurde. Um den Altkanzler herum | |
lagen aktuelle Ausgaben deutscher Qualitätszeitungen neben | |
Boulevardblättern, die mit keinem Wort auf Angela Merkel eingingen. Ein | |
eigens von Kai Diekmann zusammengestelltes 30-köpfiges geheimes | |
Redaktionsteam hatte die Frankfurter Allgemeine, die Süddeutsche, die | |
Rheinische Post, die Welt, die Bild und sogar die taz entmerkelisiert. Bild | |
etwa erschien mit einer zeitlos neutralen Schlagzeile: „Scheintote Oma – | |
Busen vergiftet“. Kein Wort über den Nobelpreis, keine Zeile über die | |
Kanzlerin und ihre Aktivitäten. Alle Gazetten waren säuberlichst in | |
Aufmachung und Stil gefälscht und neugedruckt worden – für jeweils ein | |
Exemplar, das Kohl dann nach dem Durchblättern zerknüllte und verächtlich | |
auf den Boden warf. | |
Blühende Landschaften umgeben den Bettlägrigen. Von der Mecklenburgischen | |
Seenplatte bis zum Spreewald, von Detmold bis Darmstadt ernten die Menschen | |
die Früchte seines Wirkens. Trier ist die heimliche Hauptstadt eines | |
geeinten Europa, in dem selbst die Griechen inzwischen den Pfälzer Saumagen | |
als Delikatesse entdeckt haben, wie es in seiner Ausgabe der taz heißt: | |
„Kohls Leib- und Magenklotz“ war der Artikel betitelt. „Kanaillen, alles | |
Kanaillen“, ist sein einziger Kommentar. Und dann träumt er ein wenig von | |
den großen Zeiten, als er jeden Mittag seine wahre Lieblingsspeise, einen | |
unter Unmengen Zwiebeln begrabenen Röstbraten mit Blaukraut und | |
Bratkartoffeln verschlang und mit einer Flasche hanneloresüßem Wachenheimer | |
Riesling herunterspülte, dem ersten Liter Wein des Tages. | |
## Die unappetitlichen Sexaffären des Franz-Josef Strauß | |
Immer wieder gleiten seine Gedanken ab an diesem Freitag im Oktober, an dem | |
normalerweise die Vergabe des Friedensnobelpreises bekanntgegeben wird. Und | |
so bemerkt er den Schwindel nicht, den selbst die Fernsehnachrichten | |
bieten. Vorsorglich hatte Maike Kohl-Richter die Fernbedienung versteckt | |
und den Krankenschwestern bei Androhung der Entlassung eingeschärft, dem | |
hohen Patienten keine neue auszuhändigen. Auf dem Bildschirm läuft der | |
Springer-eigene Sender N24, der nach ein wenig Druck aus der Chef- etage | |
des Großverlags ein auf Kohl speziell zugeschnittenes Newsformat | |
produziert. Ein Eigenbericht über den unersättlichen bayerischen Amigo | |
Franz Josef Strauß und seine unappetitlichen Sexaffären fesseln den | |
Graukopf nur kurz. Die Sau ist auch schon lange hinüber, sinniert Kohl. | |
Und so verpasst der jetzt sanft in den Mittagsschlaf Entschlummerte auch | |
den Anruf der Bundeskanzlerin, die es sich nicht nehmen lassen wollte, | |
ihrem Vorgänger mitzuteilen, dass nichts, rein gar nichts an den Gerüchten | |
sei. Dass sie auch überhaupt gar nicht neben dem Telefon säße, um | |
eventuell, vielleicht einen Anruf aus Oslo entgegenzunehmen. Wenn es denn | |
zufällig, unvermutet, rein hypothetisch so käme, dann wäre es | |
selbstverständlich keine Ehrung für sie, Angela Merkel, allein, nein! Nur | |
Helmut Kohl hätte den Nobelpreis wirklich verdient, ehrlich! | |
9 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Michael Ringel | |
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