| # taz.de -- Kommentar Friedensnobelpreis: Mehr als eine bloße Geste | |
| > Der Friedensnobelpreis geht an das Dialog-Quartett in Tunesien. Das ist | |
| > ein wichtiges Signal, vor allem für den Demokratisierungsprozess im Land. | |
| Bild: Trauermarsch für den oppositionellen Politiker Mohamed Brahmi 2013 in Tu… | |
| Es ist eine politisch hervorragende Entscheidung den diesjährigen | |
| Friedensnobelpreis an das sogenannte [1][Dialog-Quartett in Tunesien] zu | |
| geben. Das Vierergespann aus Gewerkschaftsbund UGTT, dem Arbeitgeberverband | |
| UTICA, der Menschenrechtsliga LTDH und der Anwaltskammer stand im Sommer | |
| 2013 für das Engagement der ganzen tunesischen Gesellschaft. | |
| Und es war ein erfolgreiches Engagement, denn der Demokratisierungsprozess | |
| im Ursprungsland des arabischen Frühlings stand damals auf der Kippe: | |
| Islamistischer Terror, die Morde an linken Oppositionellen, aber auch die | |
| scheinbar sanfte Islamisierung der regierenden islamistischen Ennahda in | |
| allen gesellschaftlichen Bereichen drohten die ohnehin labilen politischen | |
| Strukturen völlig aus dem Gleichgewicht zu bringen. | |
| Mit dieser Auszeichnung ehrt das Komitee letztlich die tunesische | |
| Zivilgesellschaft, die mit ihrer Präsenz auf der Straße nachhaltig in den | |
| politischen Prozess nach dem Sturz des Diktators Ben Ali eingriff. Nur das | |
| gesellschaftliche Engagement der Vielen verhinderte, dass die | |
| Gleichstellung der Frauen nicht aus der Verfassung gekickt wurde, dass über | |
| rechtliche Willkür gegenüber kritischen Bloggern, Karikaturisten oder | |
| Homosexuellen auch im Parlament gesprochen wurde. Die tunesische | |
| Zivilgesellschaft und das Dialog-Quartett als ihr Repräsentant steht und | |
| stand für eine aufgeklärte Verfasstheit des Staates, für die Ideale des | |
| arabischen Frühlings. | |
| An diesen arabischen Frühling glaubt heute keiner mehr. Er ist in | |
| Misskredit geraten und unglaubwürdig geworden; durch den staatlichen | |
| Zusammenbruch des Nachbarn Libyen, den Bürgerkrieg in Syrien und die | |
| autoritäre Machtergreifung in Ägypten durch das Militär. Das färbt auch auf | |
| das kleine Tunesien ab, wo gezielter islamistischer Terror gegen Touristen | |
| alle anderen Entwicklung in den Hintergrund drängt. Dabei hat sich das Land | |
| bislang wacker geschlagen: eine fair gewählte Regierung, eine neue, moderne | |
| Verfassung. | |
| ## Grenzen des Engagements | |
| Fakt ist aber auch die trübe wirtschaftliche Situation in vielen Regionen, | |
| die Perspektivlosigkeit junger Menschen, anhaltende Migration und der | |
| Erfolg der islamistischen Seelenfänger. Ebenso machen sich die alten Kräfte | |
| der Diktatur auch im demokratischen Tunesien wieder breit – zur großen | |
| Enttäuschung derer, die auf den Straßen kämpften. Die alten, korrupten | |
| Eliten pflegen weiter ihr Pfründe, die Aufarbeitung der Diktatur verläuft | |
| schleppend. Sie scheint politisch unerwünscht. Folter, polizeiliche und | |
| rechtliche Willkür stehen immer noch auf der Tagesordnung. | |
| Zivilgesellschaftliches Engagement hat seine Grenzen. In den Niederungen | |
| der zähen Umgestaltung erlahmt und ermüdet es. Die Entscheidung des Osloer | |
| Komitees ist daher nicht nur eine wichtige Geste, um den | |
| Demokratisierungsprozess in Tunesien zu würdigen. Sie ist vor allem | |
| wichtig, um ihn am laufen zu halten. | |
| 9 Oct 2015 | |
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| ## AUTOREN | |
| Edith Kresta | |
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