# taz.de -- US-Bombardement von Klinik in Kundus: Obama entschuldigt sich | |
> US-Präsident Obama hat sich telefonisch bei Ärzte ohne Grenzen | |
> entschuldigt. Die Hilfsorganisation besteht auf einer internationalen | |
> Untersuchung. | |
Bild: Joanne Liu, Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen, fordert die Aufklärung… | |
NEW YORK taz | Es kommt nicht alle Tage vor, dass sich ein US-Präsident für | |
US-Bomben entschuldigt. Barack Obama hat das getan. Am Mittwoch rief er bei | |
Joanne Liu an, der Präsidentin der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen | |
(Médicins Sans Frontières, MSF). Er sprach ihr sein Beileid für die 22 | |
Toten aus, darunter 12 Mitarbeiter ihrer Organisation. | |
Der US-Angriff vom Samstag auf das Krankenhaus bei Kundus sei ein | |
„irrtümliches Bombardement“ gewesen. Und er kündigte eine „vollständig… | |
transparente Untersuchung“ an, aus der er die nötigen Konsequenzen ziehen | |
werde. Doch auf die Forderung von Liu, eine unabhängige und unparteiische | |
externe „Internationale humanitäre Ermittlungskommission“ (IHFFC) | |
zuzulassen, ging der US-Präsident nicht ein. Seine Referenz ist eine | |
hausinterne Untersuchung des Pentagon. | |
Beim Telefonat zwischen dem Friedensnobelpreisträger von 2009 und der | |
Chefin der Organisation, die 1999 den Friedensnobelpreis bekommen hatte, | |
bat Liu den US-Präsidenten um seine Zustimmung zur Entsendung von | |
unabhängigen internationalen Ermittlern. Die IHFFC (für: „International | |
Humanitarian Fact-Finding Commission“) kann nur aktiv werden, wenn | |
zumindest eines der beteiligten Länder zustimmt. Die IHFFC ist 1991 auf | |
Grundlage der Genfer Konventionen gegründet worden. 76 Ländern haben sie | |
ratifiziert. | |
Doch weder die USA noch Afghanistan sind dabei. Und nichts weist darauf | |
hin, dass Kabul oder Washington nach dem Bombardement vom Samstag ihre | |
Position zur IHFFC ändern wollen. Zur Begründung verweisen sie unter | |
anderem darauf, dass bereits drei verschiedene Untersuchungen über das | |
Bombardement vom Samstag laufen. Alle drei Untersuchungen sind in den | |
Händen von im Kriegsgebiet tätigen Akteuren: Pentagon, Nato und | |
US-amerikanisches, respektive afghanisches Militär. | |
Am Tag vor Obamas Anruf bei MSF hatte der oberste US-Militär in | |
Afghanistan, General John Campbell, im US-Senat erklärt, „Fehler in der | |
Kommandokette des US-Militärs“ hätten zu dem Bombardement des Krankenhauses | |
geführt. Das US-Militär habe „vermutlich die eigenen Regeln verletzt“. Es | |
hat nach seiner Darstellung auf eine afghanische Bitte um Luftunterstützung | |
reagiert. Normalerweise muss das US-Militär – auch wenn die Bitte um Bomben | |
von der verbündeten afghanischen Regierung kommt – einer strikten Prozedur | |
folgen und vorab selbst das Ziel der Bomben überprüfen. Angeblich ist das | |
am Samstag bei Kundus nicht geschehen. Campbell lieferte keine Erklärungen | |
dafür, warum die Regel nicht eingehalten wurden, welche Personen in der | |
Kommandokette verantwortlich waren und zu welchen Konsequenzen das führen | |
wird. | |
## MSF: „Kriegsverbrechen“ | |
Mit General Campbells Version korrigieren die USA mehrere vorausgegangene | |
widersprüchliche Erklärungen, die Kabul und Washington in den | |
zurückliegenden Tagen geliefert hatten. In einer früheren Version galt das | |
Bombardement des Krankenhauses als „Kollateralschaden“ bei einem | |
angeblichen Angriff auf bewaffnete Kämpfer in der Nachbarschaft. In einer | |
anderen Version hatte das Pentagon hatte eine – offenbar falsche – | |
Erklärung veröffentlicht, wonach US-Soldaten am Boden in der Nähe des | |
Krankenhauses angegriffen worden seien. In einer Version des afghanischen | |
Militärs hieß es, bewaffnete Kämpfer hätten das Krankenhaus als Basis | |
benutzt. | |
Die angegriffene Hilfsorganisation hingegen hat von Anfang an von einem | |
„Kriegsverbrechen“ gesprochen und sich dabei auf die Genfer Konvention | |
berufen. Das vor vier Jahren eröffnete MSF-Krankenhaus war das einzige im | |
Nordosten von Afghanistan, das schwere Kriegsverletzungen behandeln konnte. | |
Unter seinen Patienten waren sowohl Zivilisten als auch vereinzelt | |
Taliban-Kämpfer. Die afghanische Regierung hatte dagegen protestiert, doch | |
MSF berief sich auf das Völkerrecht, wonach Ärzte alle Kriegsverletzten | |
behandeln müssen. Seit dem Bombardement ist das Krankenhaus geschlossen, | |
MSF hat sich aus der Region zurückgezogen. | |
## MSF hatte dem Militär GPS-Position der Klinik mitgeteilt | |
Das Bombardement der MSF-Klinik am 3. Oktober dauerte rund eine Stunde. Es | |
kam von einem Kriegsflugzeug des Typs AC-130, das tief fliegt und auf Sicht | |
bombardiert. Die Angriffe konzentrierten sich direkt auf den zentralen | |
Krankenhausbereich, in dem sich das meiste medizinische Personal aufhielt. | |
Während die Bomben fielen und Patienten in ihren Betten und Mitarbeiter im | |
OP-Raum verbrannten, telefonierte MSF mit verschiedenen militärischen | |
Stellen in Afghanistan und den USA. Dennoch gingen die Angriffe mindestens | |
eine halbe Stunde weiter. | |
Der US-Direktor von MSF, Jason Cone, erklärte am Mittwoch bei einer | |
Pressekonferenz in New York, dass seine Organisation während des | |
Bombardements auch mit dem Chef des gemeinsamen Oberkommandos der | |
US-Streitkräfte gesprochen habe. Cone teilte auch mit, dass MSF die exakte | |
GPS-Position seines Krankenhauses am 29. September an das afghanische | |
Militär und am 30. September an das US-Militär übergeben habe. Zu dem | |
Zeitpunkt tobten in Kundus schwere Kämpfe mit den Taliban. | |
Obamas Anruf bei MSF am Dienstag kam auf den Tag genau 14 Jahre nach dem | |
Beginn des Krieges in Afghanistan. Der US-Präsident hatte, nachdem er die | |
Zahl der in Afghanistan eingesetzten US-amerikanischen Soldaten am Anfang | |
seiner Amtszeit radikal erhöht hatte, seinen angekündigten kompletten | |
Rückzug immer wieder verschoben. Ende vergangenen Jahres schließlich | |
reduzierten die USA ihre Präsenz in Afghanistan auf 10.000 Soldaten, die | |
offiziell nicht mehr für Kampfeinsätze zuständig sind. Ende 2015 sollte die | |
Zahl erneut halbiert werden, und nach 2016 sollten nur noch maximal 1.000 | |
US-Soldaten im Land bleiben. Doch seit August wirbt das Pentagon dafür, | |
länger und mit mehr US-Soldaten präsent zu bleiben. Bei seinem Auftritt vor | |
dem Senat vertrat auch General Campbell diese Position. | |
8 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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