Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Auf Du und Du mit jedem Marabu
> Nach der Bundestagswahl 2017: Das neue Traum- und Kanzlerpaar Natalia
> Wörner und Heiko Maas betört die ganze Welt.
Die hellen Strahlen der Herbstsonne perlten durch die Vorhänge wie
Champagner im Glas. Natalia Wörner öffnete ihre müden Augen und lächelte.
Goldener Oktober. Sie konnte es immer noch nicht fassen. Wenn ihr vor ein,
zwei Jahren jemand gesagt hätte, dass sie sich jetzt hier räkeln würde, sie
hätte den Hellseher für verrückt erklärt. Glücklich breitete sie ihre Arme
aus und ließ sie mit einem lauten Platsch in die Kissen fallen.
Heikos Seite war bereits leer. Diese ewige Frühaufsteherei würde sie nie
verstehen. Vor allem am Sonntag. Wahrscheinlich telefonierte er schon
wieder mit Hillary. Die Präsidentin hatte sie letztens sogar grüßen lassen:
„Your dear wife Nataly.“ Na ja, nicht ganz ihr Name. Aber beim
Antrittsbesuch nächsten Monat in Washington würde sie der konfusen Tante
dann schon beibringen, wer sie war.
Immer noch besser als vor zwei Wochen der „Tagesschau“-Sprecher, dessen
Zunge über seine Gedanken gestolpert war. Erst stockte er, dann versprach
er sich und stammelte etwas von „Bundeskanzler Wörner“. Ganz Deutschland
lachte über den armen Heiko, der auch noch gute Miene zum bösen Spiel
machen musste und sich öffentlich souverän gab. Hinter den Kulissen ließ er
dann selbstverständlich seine Kontakte zur ARD spielen, und der idiotische
Nachrichtensprecher wurde in die Frühschiene versetzt. Jetzt durfte er die
nächsten Jahre um vier Uhr morgens aufstehen und im Frühstücksfernsehen mit
kleinen Augen den Teleprompter ablesen. Selbst schuld.
Natalia Wörner hielt sich an den Kissen fest. Manchmal wurde ihr morgens
ganz schwindlig. Es war aber auch einfach zu viel passiert in den
zurückliegenden Monaten. Seit dem Mai 2016 hatte sie auf der Achterbahn
ihres Lebens keine ruhige Minute mehr gehabt. Erst hatte sie die Affäre mit
Heiko Maas nicht ganz ernst genommen. Er war ja auch eine Spur zu
schmächtig für sie und ein bisschen klein. Ständig musste sie flache Schuhe
tragen. Und erst der Name! Heiko! Das klang wie ein ostdeutscher Melker.
## Clinton, die konfuse Tante
Doch aus dem schüchternen Kerlchen hatte man etwas machen können. Sein
neues Image – das war sie: hippe Frisur, stylishe Brille, coole Anzüge –
und vor allem musste das blonde Muttchen weg. Das dauerte zwar, dann aber
sah Heiko es ein und verließ seine Frau. „Wonder why, wonder why, wonder
why / Why must we pretend / Why can’t we be more than friends? / Let’s be
more than friends“, trällerte Natalia Wörner ihren Lieblingssong von
Estelle. Ihr Lied! Damit hatte sie ihn rumgekriegt …
Und dann ging’s ab! Privat wie politisch. Die Boulevardmeute stürzte sich
auf sie wie ein Rudel Jagdhunde auf einen Fuchs. Zum „Glamourpaar der
Nation“ erklärte sie Bild. Und die trutschige Chefredakteurin der Bunten
mit ihrem beschränkten Horizont ernannte sie zur „deutschen Carla Bruni“.
Als sie auch noch auf die Schnelle heirateten, war kein Halten mehr. Bei
ihrer „heimlichen Hochzeit“ (Spiegel online) kreisten zwei Hubschrauber von
Fernsehsendern über dem Standesamt. Von da an konnte Heiko Maas einfach
nicht mehr länger Justizminister bleiben.
Kurzentschlossen wurde der ungeliebte SPD-Chef Gabriel weggeputscht. Der
Dicke entblödete sich nicht, das zu tun, was er am besten konnte: unter die
Gürtellinie schlagen. Von Gabriel stammte das genüsslich in den Medien
kolportierte Wortspiel, Heiko sei nur ein „Mister Mittel-Maas“ und wäre
kein würdiger Erbe eines Friedrich Ebert oder Willy Brandt. Als ob der
fettige Intrigant auch nur einen Hauch Würde versprühte.
Die von Angst vor der Bedeutungslosigkeit getriebenen Sozis merkten
schnell, dass Heiko Maas ihre letzte Chance war, und wählten ihn mit
überwältigender Mehrheit zum Nachfolger des fortan in seiner knallweißen
Trutzburg am Rande Goslars schmollenden Gabriel. Einmal waren sie beide
dort gewesen. Das ganze Haus roch nach Käsefüßen und Angstschweiß. Ein
schauriger Abend. Natalia Wörner schüttelte sich. Ein Jahr war das jetzt
her und schon fast gar nicht mehr wahr.
Im Eilverfahren wurde Heiko Kanzlerkandidat. Mit ihm und natürlich ihr an
seiner Seite raste die SPD weit über die 30 Prozent hinaus. Als sie
öffentlich in die Partei eintrat und das Formular in der Berliner
Stresemannstraße unterschrieb, waren mindestens 100 Kamerateams aus dem In-
und Ausland dabei. Ihr allerbester Fernsehauftritt – trotz der großen
Rollen, die sie bisher gegeben hatte.
## Gabriel, der fettige Intrigant
Sie, die kleine Lehrerstochter Natalia aus Stuttgart, hatte der muffigen
SPD den Arsch gerettet. Obwohl die Piefkes in der Berliner
Wahlkampf-Baracke keine Dummheit ausließen. Zur „Jackie Kennedy von Berlin“
wollten sie sie ausrufen. Und schlugen ihnen allen Ernstes vor, schnell ein
Kind zu machen. In ihrem Alter! Heirat, schwanger, Baby – das wäre die
absolute Mehrheit für die SPD! Das fehlte ihr noch! Gerade erst an die
Spitze gekommen, und dann als späte Großmuttermutter einem kleinen Prinzen
oder – schlimmer noch: einer Prinzessin das Blitzlichtgewitter überlassen.
Schönen Dank auch.
Es hat auch so gereicht, lächelte Natalia Wörner erneut und fragte sich,
wann Heiko heute wohl aus dem Kanzleramt zurückkäme. Es war schließlich
Sonntag. Und ihr einstündiger Spaziergang rund um den Schlachtensee im
Grunewald durfte nicht ausfallen. Bevor er seinen Amtseid ablegte, hatte
sie ihn gewarnt. Das war ihre Bedingung, die private. Egal ob Krieg oder
Frieden – es ging immer rund um den See. Sonst würde sie mit ihrem
Bodyguard vom BKA durchbrennen! Der hatte sie gestern, ohne mit der Wimper
zu zucken, „Frau Bundeskanzler“ genannt. Sieht gar nicht mal schlecht aus,
der Schrank mit seinem Knopf im Ohr.
Die unbeliebte Merkel zu besiegen, war noch die leichteste Übung. Natalia
Wörner gähnte. Dass die Bild-Zeitung mitten im Wahlkampf die ollen
Playboy-Bilder von Karl Lagerfeld ausgrub und auf sage und schreibe zwölf
Seiten als Sonderbeilage druckte, hatte mehr genützt als geschadet. „‚Herr
Bundeskanzler‘ – das sehen sonst nur Sie im Schlafzimmer!“, lautete die
eklige Schlagzeile. Das war der Preis. Der Ekel der Macht.
Und demnächst würde sie ihr eigenes Büro im Kanzleramt bekommen. Das war
die andere Bedingung, die politische. Dreimal hatte sie sich den Film
„Evita“ mit Madonna angesehen. Meine Güte, was für eine mittelmäßige
Schauspielerin! Die keinen Deut verstand, worauf es wirklich ankam in
diesem hochbrisanten Ränkespiel der Mächtigen.
## Gauck, der zerstreute Zausel
Da war sie, Natalie Wörner, aus anderem Holz geschnitzt – eine geborene
Mitmischerin. Ohne sie hätte Heiko doch nicht mal den Amtseid fehlerfrei
hinbekommen. Den musste sie den ganzen Abend zuvor mit dem Hypernervösen
üben. Damit er sich nicht verspricht. Sie hatte ja nicht umsonst bei Lee
Strasberg in New York das Schauspielen gelernt. Und Gauck, dieser alte
Marabu, konnte einen bei der Ernennungszeremonie wahnsinnig machen. Je
länger der im Amt war, desto kauziger wurde dieser zerstreute Zausel.
Natalia Wörner gähnte und schlief wieder ein. Sie träumte von einem
gewaltigen Schimmel, auf dem sie in ihrer silbernen Rüstung saß. In der
Linken hielt sie eine Lanze, die sie senkte, um Seit an Seit mit Hillary
Clinton und Evita Perón in den Sonnenuntergang zu reiten, reiten, reiten …
23 Apr 2016
## AUTOREN
Michael Ringel
## TAGS
Heiko Maas
Bundeskanzler
Unterbringwettbewerb
Fernsehen
Ideologie
Alkohol
Silvester
Schwerpunkt Angela Merkel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Dylan mit Käse
Jieper-Preis 2016: „Fällt Frau Antje in die Gracht, treibt ein Käse durch
die Nacht.“ Die Sieger im Wahrheit-Unterbringwettbewerb stehen fest.
Die Wahrheit: Im tiefen Tränental
Wahrheit investigativ: Der Jugendwahn im Fernsehen fordert neue Opfer. Ein
Besuch bei zwei gramgebeugten Betroffenen.
Die Wahrheit: Der Mann mit der einen Idee
Endlich ist der Tag der Tage gekommen. Die Idee ist akut. Überall in der
Firma sirrt und summt es. Nur einer bekommt es nicht mit …
Die Wahrheit: Kein Elefant auf den Schultern
Fremder Tod: Die sehr persönliche Geschichte meines alkoholischen Lebens –
garantiert ohne jede Panik.
Die Wahrheit: „Ich bin dein Kumpel!“
Das Wahrheit-Interview: Der Düsseldorfer Antänzer Patrick M. über seinen
Beruf, seine Zukunftsaussichten und die Silvestervorfälle.
Die Wahrheit: Goodbye Merkel
Ein Nobelpreis für das Ostmädchen Angela? Das wäre der Todesstoß für den
angeschlagenen Koloss Helmut Kohl.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.