| # taz.de -- Aufarbeitung der Diktatur in Guatemala: Weckruf für die Zivilgesel… | |
| > Guatemalas Künstler, Musiker, Film- und Theaterleute fordern mit neuem | |
| > Schwung die Aufarbeitung der Diktaturverbrechen. | |
| Bild: Zeichen des kulturellen Widerstands: Porträts von Protestierenden an ein… | |
| „Legado Inútil“, zu Deutsch: „unnützes Vermächtnis“, steht auf dem P… | |
| am Eingang zum Teatro Lux. Das aufwendig sanierte alte Theater in der „Zona | |
| Uno“ von Guatemala-Stadt beherbergt das spanische Kulturzentrum, und dort | |
| stehen regelmäßig neben gute Filmen auch Livemusik oder Theateraufführungen | |
| auf dem Programm. | |
| „Heute wird ein Stück auf die Bühne gebracht, das den Wandel der | |
| Generationen im Kontext des schmutzigen Krieges thematisiert“, erklärt | |
| Sergio Ramírez. Der 37-Jährige ist Dokumentarfilmer und ist heute im Team | |
| der Theaterregisseurin Patricia Orantes für das Bühnenlicht zuständig. | |
| Orantes inszeniert ein Familiendrama, das harmlos mit einer zwanglosen | |
| kleinen Familienfeier beginnt. | |
| Langsam nimmt es Fahrt auf. Einer der beiden Onkel erklärt, dass er den | |
| Familiensitz veräußern will, um seiner verschuldeten Rinderfarm frisches | |
| Kapital zuzuführen. „Und schließlich stellt sich die Frage“, so Regisseur… | |
| Orantes, „wer denn wann und wie viel zum Familienvermögen beigetragen hat | |
| und wie nahe dabei einer der Onkel mit dem Militär in den 1980er Jahren | |
| zusammengearbeitet hat.“ | |
| Orantes hat mit den Schauspielern ein Stück entwickelt, das die Zuschauer | |
| in die Zeit von Diktatur und Bürgerkrieg zurückführt. Bei ihr geht es um | |
| die 1980er Jahre eines Bürgerkriegs, der von 1960 bis 1996 andauerte. 1982 | |
| hatte sich nach einer Auseinandersetzung rivalisierender Gruppen im | |
| Militärapparat General Efraín Ríos Montt an die Macht geputscht. | |
| ## Dem Verdrängen entgegenwirken | |
| Seine kurze Amtszeit bis 1983 gilt als die blutigste in der an Gewalttaten | |
| nicht gerade armen guatemaltekischen Geschichte. Tausende Indígenas wurden | |
| vergewaltigt, ermordet und ihre Dörfer wurden systematisch zerstört. | |
| Zehntausende ließen die Militärs verschwinden, um der im Norden des Landes | |
| operierenden Guerilla die Basis zu entziehen. „Dort war so gut wie jede | |
| Familie betroffen“, sagt Orantes. Mit ihrer Inszenierung will sie dem | |
| Verdrängen dieser Geschichte in Guatemala entgegenwirken und vor allem auch | |
| später Geborene erreichen, die die Ereignisse nicht mehr unmittelbar direkt | |
| erlebten. | |
| Mit der Geschichte der Vernichtungspolitik der Militärs gegenüber den | |
| Maya-Ixil hat sich auch Beleuchter Sergio Ramírez in einem Dokumentarfilm | |
| beschäftigt. „Distancia“ zeigt die Suche eines Vaters nach seiner von den | |
| Militärs entführten Tochter. Tomás Choc heißt der Mann, den Sergio Ramírez | |
| bei Recherchearbeiten kennenlernte. Er hat die Geschichte der Verfolgung | |
| seiner Familie über Jahrzehnte hinweg in Schulheften festgehalten, | |
| geschrieben und Zeichnungen angefertigt. Ramírez rekonstruiert die mühe- | |
| und qualvolle Suche nach der Tochter in dem von Bergen und fruchtbaren | |
| Tälern geprägten Ixil-Dreieck. | |
| Die Ixil sind eine zur Maya-Nation gehörende Volksgruppe von etwa 100.000 | |
| Menschen, die überwiegend im Departamento Quiché leben. Von Guatemala-Stadt | |
| beträgt die Fahrtzeit in diese Region etwa sechs Stunden. In den zumeist | |
| kleinen Dörfern nördlich der Provinzstadt Nebaj haben die Forensiker in den | |
| letzten Jahren viele Gräber gefunden und geöffnet. Sie sprechen von den | |
| dort begangenen Menschenrechtsverbrechen. | |
| ## Suche nach Überresten | |
| Tomás Choc war oft dabei, auf der Suche nach den Überresten seiner | |
| verschwundenen Tochter. Aktuelle Theaterstücke wie „Legado Inútil“ oder | |
| Filme wie „Distancia“ von 2011 helfen, die Geschichte ins Bewusstsein der | |
| Gesellschaft zu bringen. | |
| Zwar haben nicht die offenen Menschenrechtsfragen, sondern die massive | |
| Korruption Anfang September zum Sturz des Präsidenten Otto Pérez Molina | |
| geführt, dessen Immunität am 1. September vom Parlament aufgehoben wurde, | |
| aber sie spielten bei den Demonstrationen immer eine Rolle. Neben Parolen | |
| wie „Ich habe keinen Präsidenten“ waren immer wieder Losungen wie „Otto | |
| Pérez Molina – auch ich bin ein Ixil“ zu lesen. Der 64-jährige Expräside… | |
| war als General nämlich auch im Ixil-Dreieck tätig. | |
| Er verfügte über Befehlsgewalt, als das Militär dort über 500 Massaker | |
| verübte. Das belegen auch Filmaufnahmen, die der deutsche Dokumentarfilmer | |
| Uli Stelzner in einem skandinavischen Filmarchiv gefunden hat und von denen | |
| er Sequenzen in seinem Dokumentarfilm über das geheime Polizeiarchiv „La | |
| Isla“ zeigt, der 2010 in Guatemala-Stadt Premiere hatte und für Furore | |
| sorgte. | |
| ## „Jahrhundertprozess“ gegen den früheren Diktator | |
| Drei Jahre später fand der „Jahrhundertprozess“ gegen den früheren Diktat… | |
| Efraín Ríos Montt statt. „Mit dem Prozess hat sich Guatemala verändert“. | |
| sagt Alejandra Gutiérrez Valdizán. Sie ist Textchefin bei der Onlinezeitung | |
| Plaza Pública. Mit der Verurteilung des Diktators hätten „die Ixil ihre | |
| Würde zurückerhalten“. Doch noch wichtiger sei, so Gutiérrez Valdizán, da… | |
| heute kaum jemand in Guatemala mehr die Tatsache des Völkermords in Frage | |
| stellt. „Die Gesellschaft ist deutlich weniger polarisiert,“ so die | |
| 40-jährige Journalistin. | |
| Die Apathie der guatemaltekischen Zivilgesellschaft scheint Vergangenheit. | |
| Eine Einschätzung, die auch der Dokumentarfilmer Sergio Valdés Pedroni am | |
| Rande der Inszenierung im Teatro Lux in Guatemala-Stadt teilt. Das Land | |
| habe sich verändert. „Ein Beispiel dafür sind die Gruppen, die in | |
| Guatemala-Stadt Ampeln, Straßenlaternen, Brücken und öffentliche Flächen | |
| von Wahlwerbung befreiten und dafür viele Wände bunt bemalten“, sagt Sergio | |
| Valdés Pedroni. | |
| Es gebe ein neues Gemeinschaftsgefühl. „Verblüfft war ich auch von Gruppen, | |
| die nach den samstäglichen Demonstrationen den Müll einsammelten“, ergänzt | |
| Sergio Ramírez. Die peacige Stimmung habe dafür gesorgt, dass sich auch | |
| immer mehr „normale“ Leute, besonders auch ältere, öffentlich engagierten. | |
| ## Die Angst verloren | |
| Provokative Filmszenen, auf den Präsidentenpalast projiziert, oder Musiker, | |
| die im Parque Central öffentlich gegen den Präsidenten agieren und | |
| auftreten, das hätte es früher nicht gegeben. Oder eine Rapperin wie Rebeca | |
| Lane, die mit ihrer „Cumbia de la Memoria“ (Cumbia der Erinnerung) in | |
| eingängiger Weise für die Aufarbeitung der Geschichte in Guatemala | |
| eintritt. Die Guatemalteken haben die Angst verloren. | |
| Dass dies passieren konnte, ist auch ein Verdienst der Künstler Guatemalas. | |
| Es sind ihre Beiträge, die zumindest einen Teil der Jugend politisiert | |
| haben. Undenkbar war früher, dass sich Studierende der eher konservativen | |
| Universidad Rafael Landívar oder der Universidad del Valle zur Demo gegen | |
| Korruption mit den Studierenden der öffentlichen Universidad de San Carlos | |
| verabredeten. Gesellschaftliche Klassenschranken, sagt Sergio Valdés | |
| Pedroni, der selbst an mehreren Unis unterrichtet, seien endlich | |
| durchbrochen worden. | |
| Eine Fülle neuer Gruppen sei entstanden. Darunter das Fotokollektiv | |
| „Seudonímo“, das die Altstadt von Guatemala City mit ihren Fotoplakaten | |
| verschönere. Ebenso neue Orte und Zentren wie La Casa de los Sueños (Das | |
| Haus der Träume). Gemein ist den heutigen neuen Akteuren, dass sie sich | |
| zumeist über die sozialen Medien koordinieren und insgesamt für eine | |
| kulturelle Erneuerung Guatemalas eintreten. „Sie fordern etwas ein, was es | |
| in Guatemala so noch nicht gegeben hat: Partizipation“, sagt Sergio | |
| Ramírez. Das Leuchten in seinen Augen ist dabei im Teatro Lux von | |
| Guatemala-Stadt kaum zu übersehen. | |
| 1 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Knut Henkel | |
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