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# taz.de -- Graphic Novel „Die Heimatlosen“: Vergessene Helden
> Paco Roca hat fünf Jahre an seinem Comic gearbeitet. Es handelt von
> spanischen Widerstandskämpfern im Zweiten Weltkrieg.
Bild: Szene aus Paco Rocas „Die Heimatlosen“.
Die Landung der Alliierten in der Normandie im Juni 1944 und die
anschließende Befreiung Frankreichs wird gemeinhin als Leistung vor allem
der nordamerikanisch-britisch geführten Streitkräfte gesehen. Der 1969
geborene spanische Comiczeichner Paco Roca würdigt mit seiner Graphic Novel
„Die Heimatlosen“ nun eine Einheit der Freien Französischen Streitkräfte,
die überwiegend aus Spaniern bestand.
Diese hatten bereits im Spanischen Bürgerkrieg (1936–39) gegen General
Franco gekämpft und wurden jetzt auch bei der Befreiung von Paris
eingesetzt. Als 9. Kompanie der 2. Division unter General Leclerc wurde sie
unter dem Namen „La Nueve“ zur Legende.
Fünf Jahre Recherche- und Zeichenarbeit hat Paco Roca in die umfangreiche
Graphic Novel gesteckt, die sich in zwei grafisch voneinander abgesetzte
parallele Erzählstränge teilt. Der eine – er ist in der Gegenwart
angesiedelt und zweifarbig gehalten – handelt vom Comiczeichner Paco Roca
selbst, der zur Recherche für sein Buch den betagten Veteranen Miguel Ruiz
in einem kleinen französischen Ort aufsucht.
Nachdem der wortkarge, misstrauische Alte das ehrliche Interesse des
Zeichners an seiner Biografie erkannt hat, taut er auf und erzählt ihm nach
und nach seine Geschichte. Die setzt 1939 im spanischen Alicante nach dem
Sieg Francos ein, wo Tausende Republikaner festsaßen und auf eine
Fluchtmöglichkeit hofften.
## Ein anarchistisch-kommunistischer Haufen
Die in meist dunklen Pastelltönen gehaltenen Rückblenden bilden den zweiten
Erzählstrang. Ein Schiff nimmt Miguel auf, das ihn in ein algerisches
Flüchtlingslager verfrachtet, bevor er als Arbeitssklave in einem Lager der
faschistischen Achsenmächte landet. Nach der Befreiung durch die Alliierten
schließt er sich diesen als Soldat an und nimmt am Tunesienfeldzug teil.
Die spanischen Weggefährten, ein wilder Haufen von zumeist
anarchistisch-kommunistischer Gesinnung, erweisen sich als kampferprobte
Truppe, die von der US-Armee mit modernen Waffen ausgerüstet wird. La Nueve
erreicht später als erste Kompanie das Zentrum von Paris, noch vor der
offiziellen Einnahme der Stadt.
Roca kehrt immer wieder zurück zur Rahmenhandlung, die sich vor allem in
Miguels Wohnung abspielt, und zeichnet beiläufig das feinfühlige Porträt
eines zurückgezogen lebenden, von der Welt vergessenen Helden. Tatsächlich
ist dieser Miguel Ruiz, der sich im Comic als der verschollene Kriegsheld
Miguel Campos entpuppt, eine Erfindung des Zeichners.
## Viele Schicksale in einer Figur
Ein Kunstgriff, um die vielen Schicksale von La Nueve in einer
charakteristischen Figur zu bündeln, der reale Kriegshelden wie Raymond
Dronne oder Amado Granell beigesellt werden. Der Leser erhält so eine
Vorstellung davon, wie der Krieg aus Sicht einfacher Soldaten aussah, die
an vorderster Front kämpften.
Aber auch davon, welche Schmach viele Flüchtlinge zur Zeit des Zweiten
Weltkriegs erdulden mussten. Zeichnerisch bleibt Roca seinem bereits in der
Graphic Novel „Der Winter des Zeichners“ (über das Schicksal einiger
Comiczeichner im franquistischen Spanien der 1950er Jahre) erprobten Stil
treu, indem er distanziert und nüchtern auf das Geschehen blickt und die
Figuren meist in Halbtotalen zeichnet.
Leider ist es mangels klarer optisch zuzuordnender Merkmale allerdings auch
manchmal etwas mühsam, festzustellen, wer gerade spricht, wer Freund oder
Feind ist. Auch die fast identische Kolorierung der Uniformen der
verschiedenen Kriegsparteien mag sich nahe an der Realität bewegen, macht
die Lektüre mitunter aber auch zu einer forschenden Herausforderung.
Trotz ihrer Beteiligung am Sieg der Alliierten war den La-Nueve-Kämpfern
ein tragisches Schicksal beschieden, denn sie motivierte vor allem die
Hoffnung, dass die Streitkräfte nach der Befreiung Frankreichs und
Deutschlands auch Spaniens Faschismus militärisch ein Ende setzen würden.
Doch die Alliierten hatten kein Interesse, einen alten Krisenherd wieder
aufflammen zu lassen. Die Spanier mussten Exilanten bleiben, um politischer
Verfolgung in der Heimat zu entgehen.
Paco Rocas Graphic Novel setzt ihnen ein angemessenes Denkmal, das jedes
heroische Pathos vermeidet.
24 Sep 2015
## AUTOREN
Ralph Trommer
## TAGS
Graphic Novel
Spanien
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Widerstand
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