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# taz.de -- Graphic Novel „Kongo“: Kolonial mit voller Qual
> Nach historischer Vorlage: Das Künstlerduo Christian Perrissin und Tom
> Tirabosco zeichnet in „Kongo“ Joseph Conrads Reise ins Herz der
> Finsternis.
Bild: Joseph Conrad, genannt Korz, auf düsteren Wegen: Szene aus „Kongo“.
Seine erste Lebenshälfte hatte der spätere Schriftsteller Joseph Conrad
(1857–1924) als Seefahrer vor allem auf den Weltmeeren verbracht. Er hieß
eigentlich Józef Teodor Konrad Korzeniowski, war polnischer Herkunft und
ließ sich von der englischen Handelsmarine zum Kapitän ausbilden.
1886 nahm er die britische Staatsbürgerschaft an. 1890 suchte er in England
vergeblich nach einer neuen Stelle und beschloss, sich einen Kindheitstraum
zu erfüllen und sein Glück in Afrika zu suchen. Kurz darauf unterschrieb er
den Vertrag mit der belgischen Krone, ein Flussschiff am Kongo zu führen.
Eine neue, im Berliner Avant Verlag erschienene Graphic Novel, „Kongo –
Joseph Conrads Reise ins Herz der Finsternis“, erzählt nun genau diesen
Lebensabschnitt des 32-Jährigen in Bildern – eine Zeit, die die Grundlage
lieferte zur Entstehung des Romanklassikers „Herz der Finsternis“, dem eine
Aura des Mythisch-Exotischen anhaftet. Er handelt vom jungen Kapitän
Marlow, der im Dienste einer Kolonialgesellschaft an den Kongo reist, um
einen Flussdampfer zu übernehmen und den legendären Elfenbeinhändler Kurtz
im Landesinneren ausfindig zu machen.
Doch je tiefer Marlow den Kongostrom flussaufwärts in den Dschungel fährt,
umso mehr verliert er seine romantischen Vorstellungen von einer Reise in
die „Nacht der ersten Zeitalter“. Auch der von ihm bislang nicht in Frage
gestellte, scheinbar wohltätige Kolonialismus erweist sich als Illusion.
Und in der dämonischen Figur des ebenso gebildeten wie grausamen Kurtz
offenbart sich ihm die Kehrseite der „Zivilisation“.
## Eigentum des belgischen Königs
1899 erschien das Buch, acht Jahre nach seiner eigenen Reise in den Kongo.
Conrad verzichtete darauf, die Schauplätze zu benennen, außer den beiden
Hauptpersonen blieben auch die Figuren namenlos und mussten sich mit
Berufsbezeichnungen wie „Direktor“ begnügen. Das verstärkte die
allgemeingültige wie suggestive Atmosphäre des Romans – er war auch als
eine Reise in die Abgründe der menschlichen Seele lesbar.
Trotzdem sparte Conrad die historisch-geografischen Hintergründe nicht aus.
Erkennbar blieb die politische und humanitäre Situation im damaligen
„Kongo-Freistaat“: 1884 versprach der belgische König Leopold II. auf der
Berliner Kongokonferenz, aus dem Land eine Freihandelszone zu machen und es
aufzubauen.
Ein Jahr später erklärte Leopold den „Freistaat Kongo“ zum persönlichen
Eigentum – und begann sukzessive mit der Kolonisierung des riesigen Landes.
Die in der Kongokonferenz festgeschriebenen Verpflichtungen – unter anderem
die Erhaltung und Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung zu
überwachen sowie das erklärte Verbot des Sklavenhandels durchzusetzen –
wurden von Beginn an missachtet.
Anstatt, wie postuliert, „dem schwarzen Kontinent Licht zu bringen“,
beutete ihn Leopold nach rein wirtschaftlichem Kalkül aus, raubte seine
Schätze (erst Elfenbein, später vor allem Kautschuk) und verpflichtete für
anfallende Herkulesaufgaben wie den Eisenbahnbau die gesamte einheimische
männliche Bevölkerung zur Zwangsarbeit – faktisch wurde sie versklavt.
Bis 1908 konnte Leopold so walten, unterstützt von Söldnern und
rücksichtslosen Verwaltern vor Ort, welche die einheimische Bevölkerung
folterten oder gar ermordeten, um die wirtschaftlichen Ziele zu erreichen.
Um die 10 Millionen Menschen fielen der Leopold’schen
Bereicherungsoffensive unter dem Deckmantel des „philanthropischen“
Kolonialismus zum Opfer. Joseph Conrad wurde 1890 Zeuge der Anfänge dieser
humanitären Katastrophe.
## Details aus Conrads Leben
Der französische Szenarist Christian Perrissin (Jahrgang 1964) hat nun
diese wichtige Episode im Leben Conrads in Korrespondenzen – vor allem mit
seiner Tante Marguerite Poradowska, in die er verliebt war – und
Tagebuchaufzeichnungen recherchiert. Mit Quellen weiterer Zeitzeugen hat er
sie zu einer Comic-Erzählung verdichtet, die viele Parallelen zwischen
Conrads Erlebnissen und der Handlung von „Herz der Finsternis“ sichtbar
macht. Perrissin hat zuvor eine Comic-Biografie der Revolverheldin Calamity
Jane geschrieben.
Es wird deutlich, dass es sich um einen Schlüsselroman handelt: Er spiegelt
traumatische Erfahrungen wider, die Conrads humanistisches Weltbild genauso
prägten wie die typischen, sein gesamtes Werk durchziehenden
Gewissenskonflikte seiner oft zweiflerischen Helden. Und auch die Graphic
Novel zeigt Conrad als zurückhaltenden, zögerlichen Mann, den der rüde
Umgangston der belgischen Kolonisten befremdet.
So bleibt er in der missgünstigen Gemeinschaft der Besatzer – ganz wie
seine Romanhelden – ein Außenseiter, einer, der Distanz hält, nicht zur
Verbrüderung neigt und so auch nicht Gefahr läuft, die abstoßend brutalen
Methoden der anderen Weißen anzunehmen.
Zu Beginn seiner Reise wird Conrad allerdings keineswegs als ein Gegner des
Kolonialismus dargestellt. Er ist beeinflusst von den oft rassistischen
Berichten Henry Morton Stanleys, einem berühmten Entdecker und Abenteurer,
und davon überzeugt, dass den auf einem „prähistorischen“ Stand
befindlichen „primitiven Völkern“ durch Handel und Schulen geholfen sei.
Schwarzen Arbeitern begegnet er zunächst mit Misstrauen, Conrads
Vorstellung entsprechend sind sie als finstere, feindselige Knechte
gezeichnet. Conrads Haltung zu den Einheimischen ist von den damals
verbreiteten Vorurteilen und von Furcht geprägt – den schwarzen Mann nimmt
er als fremdes und dunkles Mysterium wahr.
## Mehr und mehr Zweifel
Doch schon bald verliert er diesen „kolonialen Blick“, beginnen ihn Zweifel
zu plagen. Als Einziger pflegt er einen respektvollen, freundlichen Umgang
mit den Schwarzen seiner Umgebung, wie dem Steuermann Philippe, der von
Conrads britischem Kontrahenten Rasmus erniedrigt wird. Auch die Begegnung
mit Roger Casement, Menschenrechtler und Verfasser des „Casement-Berichts“,
der die systematische Ausplünderung und die „Kongo-Greuel“ 1903/04 publik
machte, bestätigte Conrads zunehmendes Unrechtsbewusstsein.
So entwickelt sich eine albtraumhafte Reise ins Herz der Finsternis, ein
vielschichtiges Porträt des jungen Joseph Conrad, das dem Leser die
Kehrseite des Wohlstands im damaligen Europa anschaulich macht. Über kleine
Fehler Perrissins (Kinshasa hieß damals Léopoldville) lässt sich
hinwegsehen.
Gezeichnet wurde die 160 Seiten lange Graphic Novel vom Schweizer Tom
Tirabosco (Jahrgang 1966). Der hatte bereits vor einigen Jahren mit „Das
Ende der Welt“ (nach einem Szenario von Pierre Wazem) eine beeindruckende
Graphic Novel vorgelegt, die in Kreidezeichnungen fantastische und
realistische Erzählebenen kunstvoll verknüpfte.
## Surreale Traumbilder
Wieder in Schwarz-Weiß, aber mit verfeinerter Technik – er benutzt das
Monotypie-Verfahren – gelingen Tirabosco starke Bilder, die den
afrikanischen Dschungel und seine Flusslandschaften atmosphärisch
einfangen. Auf einigen ganzseitigen Kompositionen verwandelt sich der
Dschungel in verführerisch surreale Traumbilder, Fiebervisionen, in denen
Conrads geliebte Tante aus dem fernen, behüteten Brüssel erscheint.
Joseph Conrad erkrankte schwer an Malaria, musste den Aufenthalt in Afrika
abbrechen und durchlitt jahrelange Depressionen, die die Erlebnisse der
Kongoreise ausgelöst hatten. Wenige Jahre später gab er die Seefahrt ganz
auf und widmete sich ausschließlich dem Schreiben.
11 Jan 2014
## AUTOREN
Ralph Trommer
## TAGS
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