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# taz.de -- Comic „Am kühlen Tisch“ mit Goya: Übertreibung fördert das V…
> Die Künstlerin Amelie von Wulffen hat einen Comic gezeichnet, in dem sie
> sich und die Kunstwelt auf die Schippe nimmt.
Bild: Skizzenhaft und unspektakulär, aber gleichzeitig schräg und absurd: Die…
Eine Künstlerin, die sich mit Goya trifft und lange Gespräche mit ihm
führt. Die zu dick ist, um auf die Documenta eingeladen zu werden und die
fremden Männern in der Schwimmhalle einen bläst. Eine Künstlerin, die nicht
mit am Tisch der Coolen sitzt. Darum geht’s im Comic „Am kühlen Tisch“ v…
Amelie von Wulffen, bildende Künstlerin, die seit 1994 in Berlin lebt.
Das Comic ist kürzlich erschienen im Rahmen ihrer gleichnamigen Ausstellung
im Frankfurter Portikus. Jetzt steht von Wulffen vor einer größeren
Ausstellung in der angesehenen Galerie Gio Marconi in Mailand.
Obwohl ihr Comic eigentlich skizzenhaft und unspektakulär mit Bleistift
gezeichnet ist, kann man nicht loslassen, wenn man einmal angefangen hat,
ihn zu lesen. Er ist zu schräg, zu absurd, und sagt zu viel über unsere
selbst projizierende Zeit, wo jeder und jede allzeit erreichbar und gut
drauf sein muss.
Zuspitzung durch Übertreibung und Selbstironie gehört zur Methode von „Am
kühlen Tisch“. In kurzen Szenen erzählt Amelie von Wulffen Episoden aus
einer Kunstwelt, in der sich alle gegenseitig zu bekämpfen scheinen. Als
die Hauptfigur im Comic auf befreundete amerikanische Künstler trifft, sagt
sie zu ihnen: „Yes but you know what I think is so great about the art
scene – though you meet all these enemies and people who hate you, usually
they don’t hit you.“
## Eine psychologische Tour de Force
Amelie von Wulffen sagt im Gespräch, dass die gezeichneten Situationen
teilweise auf real Erlebtes zurückzuführen sind, das einzelne Sätze
wirklich gefallen sind. Jedoch betont sie auch, dass „Am kühlen Tisch“
deutlich ins Fiktive changiert. Rein autobiografisch ist es also
glücklicherweise für die Künstlerin nicht. Sie nennt ihr Werk eine
psychologische Tour de Force, in der assoziatives Denken, aber auch
unangenehme Sachen aus Träumen die Zeichnungen beeinflusst haben.
So spielt der 1828 verstorbene spanische Maler und Grafiker Francisco Goya
keine geringe Rolle im Leben ihrer unglücklichen Hauptfigur. Warum Goya?
„Es ist erstaunlich“, sagt von Wulffen, „auf wie vielen verschiedenen
Ebenen der unterwegs war.“ Sie schätzt Goya als Hofmaler, aber auch als
politischen und sozialkritischen Zeichner und Grafiker. Die Desastres de la
guerra, die Capriccios oder die Skizzen zu ihnen seien in ihrer Drastik und
Direktheit „so ziemlich das Bewegendste und Virtuoseste“ was je gezeichnet
und radiert wurde, sagt sie.
„Seine Malereien sind sehr lebendig, zeigen aber auch deutlich die
Inszeniertheit von Malerei.“ Von Wulffen arbeitet als Künstlerin selber
normalerweise mit Rauminstallationen, Collagen, Zeichnungen und
fotografischen Überblendungen. Für ihren Comic war der Bezug auf Goyas
„uneitle Selbstporträts“ naheliegend. „Zunächst wollte ich Goya als eine
Art aufblasbare Puppe durchs Comic laufen lassen“, sagt Wulffen. „Aber dann
hat er sich als diese beruhigende Vaterfigur installiert, mit der man über
alles reden kann.“
## Von großen Ölbildern zu skizzenhaftem Zeichnen
Von Wulffens unperfekter Stil der Zeichnungen für „Am kühlen Tisch“ hat
sich erst mit der Zeit entwickelt. Erst hat sie klassische und einfache
Selbstporträts gezeichnet, dann kam ein bisschen Text dazu. Mit der Zeit
entstand aus den vielen kleinen selbstironischen Szenen und Geschichten der
vorliegende Comic. Vor einigen Jahren hatte von Wulffen begonnen, große
Ölbilder zu malen. Im Kontrast dazu hat sie skizzenhaftes Zeichnen
entwickelt. Ölmalerei habe etwas Statisches, sagt sie. Man bleibe öfters
mal stecken, kehre jeden Tag zu den gleichen Sachen zurück. Dabei sei es
schwierig, „etwas Lebendiges unter die toten Tiere“ zu kriegen.
Das erzählerische Zeichnen scheint ihr nun die perfekte Ergänzung zur
formalen Strenge der Ölmalerei. Ihr Comic liest sich fast wie das
Storyboard für einen Film. Szenen und Personen zu erfinden, macht ihr
offenkundig Spaß. An der zeichnerischen Perfektion von Graphic Novels
scheint sie hingegen weniger interessiert. In einer Szene des Comics guckt
von Wulffens Hauptfigur etwas verdutzt auf die Ranking Charts des
Kunstbetriebs. Man kann diese regelmäßig im Internet und diversen Medien
finden. Sie zeigen, wie es um die Karriere eines Künstlers bestellt ist.
Für von Wulffens Comic-Figur hat die Ranking Chart gerade eine absteigende
Tendenz, was ihre ohnehin schon miese Laune nicht besser macht. Haben
solche Charts tatsächlich für die Kunstwelt eine Bedeutung? „Aber sicher“,
sagt die Autorin, „als Künstler musst du heute mit dieser totalen
Bewertungskultur klarkommen.“ Wer ist gerade der „beste“, der
erfolgreichste, der teuerste Künstler? Das korrumpiere. Künstler und
Sammler würden natürlich dauernd schauen, wer wie gerade taxiert wird. Und
Auktionen bringen weltweit via Internet binnen Sekunden Daten für die
aktuellen Marktwerte eines Künstlers.
Luxusprobleme? Mitnichten, solche Ratings und Auktionen können Karrieren
stark beschädigen, meint von Wulffen. Gute Kunst lasse sich aber nicht
allein temporär und monetär bewerten. Doch Amelie von Wulffen weiß, dass
sie nicht außerhalb dieses Systems steht. Mit ihrem herzzerreißend
selbstironischen Comic zeigt sie, dass man den Ansprüchen auch mit
Widerspenstigkeit und Humor begegnen kann.
3 Apr 2014
## AUTOREN
Henriette Harris
## TAGS
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