# taz.de -- Joann Sfars Comic „Vampir“: Unglücklich wie ein Großstadtsing… | |
> Frauengeschichten, Depressionen und Allerweltsgespräche: Der Comic | |
> „Vampir“ erzählt vom Vampir Ferdinand und seinem fast menschlichen Leben. | |
Bild: Keine Tote beim Blutsaugen: Ferdinand mit potenziellem Opfer. | |
Joann Sfar ist ein Besessener. Besessen davon, Geschichten zu erzählen, | |
rauschhafte, reiche Geschichten. An über 100 Comicbänden war der 42-jährige | |
Franzose in den vergangenen 20 Jahren als Zeichner oder Autor beteiligt. | |
Jüdisches Brauchtum, viktorianische Schauermärchen, osteuropäische Sagen, | |
die Zeit Russlands zur Revolution, die Irren und Wirren der Liebe und das | |
Leben von Künstlern sind wiederkehrende Themen Sfars. Fabelwesen und | |
Teufel, dralle Frauen und lustige Musikanten, Rabbis, Kosaken und | |
Polizisten bevölkern seine Geschichten. | |
Eine dieser Sfar-Gestalten ist Ferdinand, ein Vampir aus Litauen. In einem | |
Sammelband hat der Berliner Avant-Verlag jetzt vier der „Vampir“-Alben | |
veröffentlicht, ergänzt durch Skizzen und ein „Interview mit einem Vampir“ | |
am Schluss. | |
Traditionell wie Nosferatu sieht Ferdinand aus, er schläft in einem Sarg, | |
trägt Frack, Weste und Krawatte – und lebt doch so unstet und unglücklich | |
wie ein Großstadtsingle: In seinem riesigen Schloss hat er nur eine | |
hässliche, aber geliebte Katze an seiner Seite, nachts treibt es ihn raus, | |
durch Bars und Clubs, auf der Suche nach Nähe und Zuneigung. | |
So stolpert Ferdinand, obwohl er eigentlich eher schüchtern ist, von einer | |
unglücklichen Frauengeschichte in die nächste, mal mit einer griechischen | |
Studentin, mal mit einem verspielten Gespenst oder einer japanischen | |
Touristin. | |
## „Ich muss akzeptieren, wer ich bin“ | |
Doch es ist halt immer das Gleiche: Das Alraunenmädchen, in das Ferdinand | |
schwer verliebt ist, will sich nicht auf eine Beziehung einlassen. Die | |
blasse Vampirin mit den langen roten Haaren, die Ferdinand umgarnt und ihm | |
lange Briefe schreibt, interessiert ihn hingegen nicht so recht. Als sie | |
ihn abschleppen will, geht er lieber Platten kaufen. | |
Und manchmal ist Ferdinand, der übrigens beim Blutsaugen stets darauf | |
achtet, keine Menschen zu töten, auch einfach traurig. Er sinniert darüber, | |
wie er sein Leben besser machen könnte: „Ich muss akzeptieren, wer ich bin. | |
Und mehr Zeit mit meinen Freunden verbringen.“ Oder er verkriecht sich mit | |
Depressionen auf das Sofa eines Bekannten. Der liest ihm aus dem | |
babylonischen Talmud vor, was ihn aber auch nicht glücklich macht: „Ich | |
lebe schon sehr lange, sehr, sehr lange. Ich erinnere mich an zu viele | |
Sachen.“ | |
Zwischen den Romanzen passieren Ferdinand die absonderlichsten Dinge. Auf | |
einer Kreuzfahrt wird er fast von einer Mumienbande getötet, die Polizei | |
von Vilnius bittet ihn um Mithilfe bei einer Mordserie, und er hilft einem | |
getrennten Schachautomatenpärchen, wieder zusammenzufinden. | |
Er trifft einen Profiverführer und einen Klagegeist, ein Golem kommt in den | |
Geschichten natürlich auch vor, genau wie der rätselhafte Abenteurer | |
Professor Bell, dem Joann Sfar eine eigene Buchreihe gewidmet hat – | |
Überschneidungen und Gastauftritte sind typisch für sein Werk. | |
## Disziplinierte Zeichnungen | |
Typisch sind auch die ausdrucksstarken Zeichnungen und der schnelle, | |
organische Strich. Wobei Sfar, der seinen Stil gern und weit variiert, in | |
„Vampir“ schon fast diszipliniert vorgeht, die meisten Seiten gehorchen | |
einer klaren Panelstruktur, die Zeichnungen sind sauber koloriert, in | |
unheimlich satten und oft recht dunklen Farben übrigens. | |
In anderen Büchern Sfars sind die Bilder mitunter wie hingeworfen, die | |
Linien zitterig-krude und die Farben nur vage an den Umrissen orientiert, | |
geradezu ein Ausdruck von Sfars Drang, Geschichten zu erzählen, der so | |
stark ist, dass er mit seinen Zeichnungen einfach nicht mehr | |
hinterherkommt. | |
Genauso schnell und direkt sind auch die Dialoge. In „Vampir“ leben sie von | |
ihrer Unmittelbarkeit und Unverstelltheit. Banale Allerweltsgespräche | |
unterbrechen und verlangsamen die oft aberwitzige Handlung, fast wie in | |
Tarantino-Filmen. Joann Sfars Sprache ist mal komisch, mal melancholisch, | |
aber immer rasant. So wie seine vielen Universen überquellen von Fantasie | |
und Leben – auch wenn es oft um Tote geht. | |
5 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Michael Brake | |
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