# taz.de -- Comiczeichner auf Reisen: Ein Fotoalbum voller Comics | |
> Emmanuel Guibert verbindet Comiczeichnungen mit Fotografien. Seine | |
> Berliner Reiseeindrücke hält er in Aquarell- und Tuschezeichnungen fest. | |
Bild: Ausschnitt aus „Reise zu den Roma“: eine Roma-Siedlung im Mai 2009. | |
BERLIN taz | Sein Comicalbum-Debüt behandelte das Aufkommen des | |
Nationalsozialismus in Berlin: „Braun“. Altmeisterlich gezeichnet, aber | |
grell, hyperrealistisch. Wie alte Fotos, deren Farben im braunen Sumpf | |
ertrinken. So hat Guibert später nie mehr gezeichnet. Doch seine Neigung | |
zum Realismus sollte er auf elegantere Weise wieder aufgreifen. | |
Der Zeichner ist gerade für acht Tage in Berlin und nimmt am Projekt | |
„Europa in der Sprechblase“ teil, das vom Goethe-Institut und vom Institut | |
français finanziert wird. Die Künstler sollen dabei ihre Reiseeindrücke in | |
Zeichnungen festhalten. | |
Beim Treffen im Berliner Institut français zeigt mir der 49-jährige | |
Franzose zwei auf dem Trödelmarkt erstandene alte Fotoalben. „Ein paar | |
Beschriftungen sind noch drin, etwa Wannsee und Geburtstag, die Bilder dazu | |
fehlen. Mir gefällt, dass es keine unbenutzten Alben sind, dass Spuren von | |
vergangenem Leben in ihnen stecken, die ich nun mit neuem Leben füllen | |
möchte. Mein Ziel ist es, diese beiden Alben bis zur Abreise zu füllen.“ | |
Eine Menge schöner Aquarelle und Tuschezeichnungen sind bereits entstanden. | |
Neben der sichtbaren Lust, formal zu experimentieren, zeugen sie von der | |
Neugier, Orte und Menschen zu entdecken, wie in seinen Büchern. | |
## Federnde Leichtigkeit und wüste Geschichten | |
In den neunziger Jahren war Emmanuel Guibert Teil der Gruppe | |
„L'Association“ und teilte sich in Paris ein Atelier mit bekannten | |
Zeichnern wie Joann Sfar und David B. „Eine gute Schule“, gibt Guibert zu, | |
„und eine Zeit, in der wir viel Spaß hatten. Einmal fand ich am Morgen eine | |
Seite Comicszenario auf meinem Tisch vor, mit der Anweisung ,Zeichne das | |
bis heute Abend!' Man inspirierte sich gegenseitig, und so entstanden | |
wirklich einige Comics.“ | |
„Die Tochter des Professors“ von 1997 etwa, mit Text von Joann Sfar. Die | |
Liebesgeschichte einer frisch zum Leben erweckten Mumie zur Tochter eines | |
Archäologen im viktorianischen England. Guiberts Zeichenstil ist hier - der | |
witzigen Story angemessen - von federnder Leichtigkeit, die Seiten sind | |
elegant getuscht und in helle Aquarellfarben getaucht. | |
Ähnlich fantastisch, aber deutlich düsterer ist „Kapitän Scharlach“, | |
geschrieben von David B., angelehnt an eine Erzählung des Schriftstellers | |
Marcel Schwob. Es handelt von einem Piratenschiff, welches das Paris der | |
Jahrhundertwende aus der Luft heimsucht. Eine dunkle, wüste Geschichte um | |
eine Bande kopfloser Piraten und einen grausamen Kapitän mit goldener | |
Maske. Hier arbeitet Guibert bereits mit Fotografien, die er mit kräftigen | |
Tuschestrichen konturiert und mit Aquarellfarben übermalt - eine Technik, | |
die er in seinen dokumentarischen Werken zur Vollendung führte. | |
## Eine ganz eigene Form der Bildreportage | |
Schon früh zeigte sich ein Interesse am Dokumentarischen. Zufällig kam es | |
1994 zur Bekanntschaft mit dem früheren G.I. Alan Cope, aus dessen | |
Erinnerungen er über ein Jahrzehnt lang die Bände „Alans Krieg“ und „Al… | |
Kindheit“ schuf. Guibert hat einen ausgeprägten Instinkt für Personen, die | |
etwas zu erzählen haben, und entwickelte durch die Verflechtung von Fotos | |
mit Comics eine eigene Form der Bildreportage. | |
In der Reinform lässt sich das an seinem berühmtesten Werk „Der Fotograf“ | |
veranschaulichen, das zwischen 2003 und 2006 entstand und drei Bände | |
umfasst. Didier Lefèvre, Kriegsfotograf und damals ein Nachbar Guiberts, | |
begleitete zur Zeit des sowjetisch-afghanischen Kriegs in den achtziger | |
Jahren eine Gruppe Ärzte ohne Grenzen. Auf der Basis ausführlicher | |
Gespräche mit Lefèvre, dessen Tagebuchaufzeichnungen und Tausender | |
Kontaktabzüge entwickelte Guibert - zusammen mit dem Gestalter und | |
Koloristen Frédéric Lemercier - ein neuartiges Buchkonzept. | |
„Die Kontaktabzüge erschienen mir auf den ersten Blick wie Comics.“ So | |
entstand die Idee. „Als Zeichner füllte ich die Leerstellen zwischen den | |
Fotos aus, ergänzte sie durch Comicsequenzen. Es fehlten aber viele Motive, | |
und so musste ich einen Großteil der Bilder frei zeichnen.“ Stilistisch | |
fühlt man sich an die genial die Realität vereinfachende ligne claire eines | |
Hergé erinnert, nur ist Guiberts Tuschtechnik in den Konturen unruhiger und | |
wirkt dadurch sogar lebendiger. | |
Foto- und Comicsequenzen wechseln sich ab, hin und wieder durch größere | |
Landschaftsaufnahmen, Porträts oder ganzseitige Wort-Bild-Kombinationen | |
aufgelockert. Durch die Comicbilder wird die Dokumentation erst zur | |
spannenden Abenteuererzählung. Reizvoll ist auch die Erzählperspektive des | |
jungen Fotografen, der mit den Landessitten nicht vertraut ist und viele | |
befremdliche Erfahrungen humorvoll kommentiert - oft selbstironisch, | |
manchmal tiefschwarz grundiert in brenzligen Situationen. | |
Dieser moderne Klassiker hatte Guibert 2009 den Auftrag zu einer neuen | |
Comicreportage durch das renommierte französische Reportagemagazin XXI | |
eingebracht: „Reisen zu den Roma“. Guibert holte einen Freund mit ins Boot, | |
den Fotojournalisten Alain Keler, dessen Serie über die Roma bislang auf | |
wenig Interesse bei Verlagen stieß. | |
## Reisen zu den Roma und ein kleiner blauer Esel | |
Für XXI erzählten sie, ausgehend von Kelers Reisen in ganz Europa, von den | |
erschütternden Lebensverhältnissen in Osteuropa, Italien und nicht zuletzt | |
Frankreich. Wieder unterstützt von Lemercier, füllt Guibert die Leerstellen | |
aus und verbindet die berührenden Fotos und Kommentare Kelers zu einer gut | |
lesbaren Form der Reportage, die aufrüttelt. | |
Emmanuel Guiberts aktuelle Reihe „Ariol“ ist wohl sein untypischstes | |
Projekt. Diesmal überlässt er das Zeichnen Marc Boutavant, der einen | |
witzigen, lockeren Strich hat. „In ,Ariol' verarbeite ich meine Kindheit - | |
und die meiner Tochter.“ | |
Der kleine blaue Esel Ariol wird als ganz normales Schulkind beschrieben, | |
mit Eseleltern und Freunden wie dem frechen Schwein Ramono oder der in ihn | |
vernarrten Fliege Surrsula. Doch Ariol liebt die hübschere Petula, eine | |
Kuh. Vorbilder? „Als Autor René Goscinny, der für mich eine Art Pädagoge | |
war. Als Zeichner Jean-Jacques Sempé. Und ihr gemeinsames Werk ,Der kleine | |
Nick'.“ | |
Was wohl als Nächstes kommt von Emmanuel Guibert? Der Schauplatz könnte | |
Berlin sein. | |
24 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Ralph Trommer | |
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