# taz.de -- Ausstellung zu Comics in Deutschland: Streiche und die Expansion de… | |
> Die Schau „Streich auf Streich – 150 Jahre Max und Moritz“ in Hannover | |
> zeigt, wie einflussreich und widersprüchlich deutsche Comics waren. | |
Bild: Ausschnitt aus „Mrs. Katzenjammer and Happy Hooligan“ („New York Jo… | |
„Schnupdiwup!“ – „Rums!“ – „Rickeracke!“? Schon in der original… | |
Bilderhandschrift von „Max und Moritz“ (1863/64), die jetzt im „Deutschen | |
Museum für Karikatur und Zeichenkunst“ in Hannover ausgestellt ist, sind | |
die prägnanten Lautmalereien enthalten. Wilhelm Buschs Bildergeschichten | |
sind voller innovativer Ideen, die später in Comics aufgegriffen wurden. | |
In „Der Virtuos“ (1865) vervielfältigen sich die Finger eines genialischen | |
Pianisten im Wirbel seines Spiels, während sich der Kopf seines Zuhörers | |
verformt, bis er ganz Auge und Ohr wird. Solche Übertreibungen kehren erst | |
in den US-Trickfilmen Tex Averys aus den vierziger Jahren wieder. | |
Die Schau lässt 150 Jahre deutschen Comicschaffens seit Busch anhand | |
Hunderter Originalzeichnungen und Erstdrucke Revue passieren. Obwohl Comics | |
in Deutschland lange als minderwertige Kunst betrachtet wurden, wird so | |
umfassend belegt, dass auch hierzulande immer wieder Qualitätscomics | |
entstanden. Durch die politischen Umbrüche in der ersten Hälfte des 20. | |
Jahrhunderts hat sich allerdings nie Kontinuität in der Produktion | |
einstellen können. | |
Zur Perfektion weiterentwickelt wurde der Comic in Amerika, um die farbigen | |
Sonntagsbeilagen der Zeitungen zu füllen. 1897 schmückten die „Katzenjammer | |
Kids“ des deutschen Einwanderers Rudolph Dirks erstmals die Beilage des New | |
York Journal. Der Verleger William Randolph Hearst hatte seinen Zeichner | |
angewiesen, „something like Max and Moritz“ zu kreieren. Dirks entwickelte, | |
obwohl seine Lümmel den Vorbildern sehr ähnelten, die Comicsprache um viele | |
wichtige Elemente weiter, benutzte etwa erstmals ein festes | |
Figurenensemble. | |
Frederick Burr Opper wiederum, Nachkomme österreichischer Einwanderer, | |
setzte in der Trampserie „Happy Hooligan“ ab 1900 erstmals konsequent | |
Sprechblasen ein – was sich dann durchsetzte. In Deutschland schafften das | |
Comics nach US-Modell noch nicht, stattdessen erblühten Satireblätter wie | |
der Simplicissimus. Neben Karikaturen enthielt er auch comicähnliche | |
Seiten, die das gesellschaftlich-politische Leben des Kaiserreichs wie der | |
Weimarer Republik bissig kommentierten. | |
## Kaisertreue, Nationalsozialismus und Bierseligkeit | |
Auf dem Blatt „Das Volk als Masse“ von Karl Arnold von 1932 werden | |
Kaisertreue, Nationalsozialismus und Bierseligkeit als austauschbare | |
deutsche Anlässe zum tumben Jubel entblößt – der Zeichner setzt fast | |
identische Bilder einer einförmig grölenden Masse untereinander. Ab 1933 | |
wird solch kritische, avantgardistische Zeichenkunst unmöglich gemacht: Wie | |
alle kritischen Medien wird auch der Simplicissimus gleichgeschaltet. | |
Propagandacomics werden leider nur in einem kurz Kapitel abgehakt. Die | |
„Bilderbogen vom Kriege“ aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs | |
verherrlichten, an Kinder gerichtet, Hitlers militärischen Expansionsdrang | |
und heroisierten das Soldatentum. Ein Manko der Ausstellung: Ihr | |
beeindruckend breit angelegtes Konzept vernachlässigt die Vertiefung. | |
„Famany, der fliegende Mensch“ von Friedrich Oberhauser und E. G. | |
Hildebrand, 1937 in der Familienzeitschrift Gartenlaube erschienen, zeigt | |
ein Jahr vor Erscheinen des ersten „Superman“-Abenteuers einen ähnlichen | |
Helden. Doch sind nur zwei Druckseiten ausgelegt, über die in New York | |
angesiedelte Handlung erfährt man nichts. Zu vermuten ist, dass es sich um | |
realitätsferne Unterhaltung handelt. | |
Auch Erich Ohsers „Vater und Sohn“-Streifen, entstanden zwischen 1934 und | |
1937 für die Berliner Illustrirte Zeitung, spielen in einer heilen Welt, | |
die bis heute immer noch berühren und ihren Humor entfalten. Ohser war | |
zuvor als ausgesprochen politischer Karikaturist bekannt und wurde mit der | |
Machtergreifung der Nazis 1933 sofort mit Berufsverbot belegt. Unter dem | |
Pseudonym „e. o. plauen“ und unter der Vorgabe, unpolitisch zu zeichnen, | |
konnte er diese Serie erschaffen – später wurde er wegen regimekritischer | |
Äußerungen denunziert, beging in der Haft Suizid. Die Begleittexte sparen | |
solche Hintergründe leider oft aus. | |
Vom 1937/38 von Carl Meffert geschaffenen Linolschnittzyklus „Nacht über | |
Deutschland“ wird ein Ausschnitt gezeigt, der an heutige Graphic Novels | |
erinnert. Eindringlich klagt Meffert die Zustände in Nazideutschland an, | |
beschreibt Haft, Morde, Flucht. Doch ein solches Werk konnte nicht Schule | |
machen: Wegen der rigiden Zensur durch die Nazis wäre es unmöglich gewesen, | |
es in Deutschland zu veröffentlichen. Meffert publizierte es 1940 im | |
argentinischen Exil. | |
## Neue Generation von Künstlern | |
Ebenfalls vergessen ist Klaus Pielerts Krimi „Bumm macht das Rennen“ von | |
1947, der die Nachkriegsatmosphäre gut einfängt. In den fünfziger Jahren | |
waren Comics vor allem „Kinderkram“, der Mief der Wirtschaftswunderzeit ist | |
in Comics wie „Oskar, der Familienvater“ oder „Mecki“ spürbar. Zwar | |
entstanden in Ost und West Comicmagazine, jedoch konnten weder Mosaik im | |
Osten noch Fix und Foxi im Westen mit der vielfältigen Comickultur | |
Frankreichs und Belgiens mithalten. | |
Auch wenn der deutsche Mainstream deutlich biederer war, überzeugen vor | |
allem Einzelgänger wie Manfred Schmidt, der mit dem Detektiv „Nick | |
Knatterton“ (1950–59) in der Zeitschrift Quick Superhelden parodieren | |
wollte, ironisch Gesellschaftskritik übte und politische Seitenhiebe | |
austeilte, was auch Erwachsene ansprach. Nach Piccolo-Abenteuerheftchen um | |
naive Heldenfiguren wie „Sigurd“ kam ab 1960 durch das Satiremagazin Pardon | |
und die daraus hervorgehenden Künstler der „Neuen Frankfurter Schule“ wie | |
Chlodwig Poth oder F. K. Waechter wieder Bewegung in die deutsche Szene. | |
Erstmals seit dem Niedergang des Simplicissimus entstanden wieder | |
satirische Comics speziell für Erwachsene, die die 68er Generation | |
begleiteten. Ab Anfang der achtziger Jahre bildete sich allmählich eine | |
neue Generation von Künstlern heraus, die sich an französischen und | |
amerikanischen Vorbildern orientierte und grafisch wie erzählerisch | |
internationales Niveau erreichte, etwa Matthias Schultheiss und Andreas | |
Martens. | |
Die von Martin Jurgeit kuratierte Präsentation zeigt sich am Ende auch up | |
to date, stellt, neben einem starken Einblick in die Graphic-Novel-Szene | |
seit den Neunzigern, auch Subgenres wie Webcomics oder Mangas vor, die vor | |
allem Zeichnerinnen prägen. Trotzdem die Hintergründe mancher Werke vage | |
bleiben (der im April erscheinende Begleitband könnte das korrigieren): Ein | |
so umfassender Überblick über deutsche Comics wurde bislang kaum gewagt, | |
manches vergessene Werk lässt sich wiederentdecken und im Original ansehen. | |
25 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Ralph Trommer | |
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