# taz.de -- Graphic Novel-Debüt: Gezeichnete Selbstfindung | |
> “Der salzige Fluss“, das Debüt des Hamburger Illustrators Jan Bauer, | |
> erzählt liebevoll und offen von seiner eigenen Suche nach sich selbst. | |
Bild: Skizzenhaft und unspektakulär, aber gleichzeitig schräg und absurd: Die… | |
HAMBURG taz | Wenn sich Jan Bauer in der Natur verliert, ändert sich, wie | |
er die Welt wahrnimmt. Er sieht, hört, riecht intensiver und absorbiert | |
alles um sich herum, ohne Zwang und ohne Zorn stapft er durch die Steppe. | |
Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein, würde Goethe dieses Gefühl wohl | |
beschreiben, obgleich es kaum zu beschreiben sei, wie Bauer sagt: | |
„Vielleicht als Zustand der Entrückung, des Traumes.“ | |
In seinem Graphic Novel-Debüt „Der salzige Fluss“ illustriert er diesen | |
Zustand, in dem sein Körper unsichtbar wird, quasi mit der Natur | |
verschmilzt. Nur seine Sonnenbrille, der Hut mit den Grashalmen sowie sein | |
Rucksack sind noch zu sehen. Sie scheinen zu schweben. Stets können Leser | |
dieses 243-Seiten dicken Comics die Verbundenheit des Hamburgers zur Natur | |
nachempfinden. Jeder Grashalm ist akribisch gezeichnet und fügt sich | |
liebevoll in das detailreiche Panorama ungezähmter Wildnis. Die Gesichter | |
der Protagonisten dagegen sind simpel konstruiert: Knopfaugen, wenig | |
Konturen, Striche als Barthaare. Die autobiografische Abenteuergeschichte | |
handelt von Jan Bauers Backpacker-Reise im australischen Outback entlang | |
des „Lhere pirnte“, dem salzigen Fluss. Dieser schlängelt sich hunderte | |
Kilometer durch die glühende Wüste Australiens. Eine Reisereportage in | |
Comicform, die Bauers Versuch beschreibt, mit der Ambivalenz des Lebens | |
umgehen zu lernen. | |
Kurz vor seinem Aufbruch in dieses Abenteuer ist Bauer indisponiert, | |
zweifelt, trauert, leidet. Seine Freundin trennt sich nach 16 Jahren von | |
ihm, kurz darauf stirbt seine Mutter an Krebs. Bauer zieht es in die Ferne, | |
er flieht. Doch was er in der australischen Wüste findet, sind nicht nur | |
Antworten auf drängende Fragen des Selbst. Sondern auch die große Liebe, | |
zumindest für eine Weile. | |
Morgane, heißt die 23-jährige Französin, die Bauer über den Weg läuft. Sie | |
reißt ihn aus seiner Trance. Eigentlich hat Bauer andere Menschen gemieden, | |
schlief abseits von Camping-Plätzen, beobachtet von Dingos. Doch Morgane | |
schafft es in seine Einsamkeit einzudringen. Und so wandern sie fortan | |
gemeinsam. Sanft, offen und romantisch erzählt Bauer die sich Kilometer für | |
Kilometer entfaltende Liebesgeschichte und stellt sich philosophischen | |
Fragen vor der Kulisse Down Unders: „Ist das Glück doch etwas, das von | |
außen kommt? Durch die Berührung einer verwandten Seele?“ Was das Besondere | |
dieser Graphic Novel ausmacht, ist, dass man ihren Autoren kennenlernt. Jan | |
Bauer stilisiert sich nicht, sondern stellt sich von Beginn an als der | |
Mensch dar, der er ist: mit allen Schwächen, Stärken und Spleens. Leser | |
erleben ihn als Person, die offen sagt, was sie denkt, über alles Mögliche | |
sinniert, die Welt entdecken möchte, sich manchmal beim Flirten schusselig | |
anstellt, romantisch und lebensfroh ist. Dennoch ist Bauer erschüttert, als | |
Morgane, in die er sich Hals über Kopf verknallt, ihm verklickert: „Nichts | |
gegen dich. Aber ich brauche meine Freiheit.“ | |
Die Intimität des Comics ist nötig. Schließlich spinnt sich die Geschichte | |
um Bauers Beziehung zu sich selbst, um seine Monster im Geiste. Um diesen | |
Prozess glaubhaft erzählen zu können, blättert er das Persönliche auf. Das | |
ist mutig. Bereut habe er das aber nicht, sagt Bauer: „Die Furcht davor, | |
sich die Blöße zu geben, wird sehr klein, wenn man sich ihr stellt. Es gibt | |
wenige Dinge an uns Menschen, die wir nicht an anderen verstehen.“ | |
Studiert hat Jan Bauer Illustration in Hamburg, über ein halbes Jahr auch | |
Animation am Queensland College of Art im australischen Brisbane. Heute | |
arbeitet er als Illustrator, Autor, Regisseur und Dozent und wirkt bei | |
Trickfilmen mit. Für ihn sei stets klar gewesen, dass er mit der Graphic | |
Novel kein Geld verdienen kann. Jede Stunde Arbeit habe er sich daher | |
erkaufen müssen, sagt Jan Bauer. | |
Der Hamburger arbeitet bereits an einer Fortsetzung, die von seiner zweiten | |
Reise-Etappe in der Aborigine-Siedlung Jundurru handelt. Er möchte das oft | |
schwierige Leben der Ureinwohner beschreiben, die seit dem Zusammenprall | |
mit der westlichen Kultur ausgenutzt, vertrieben und versklavt worden sind. | |
„Unsere Integrationsprobleme“, resümiert Bauer, seien harmlos im Vergleich | |
dazu. | |
## Jan Bauer: Der salzige Fluss, Avant Verlag 2014, 240 Seiten, 19,95 Euro | |
25 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Amadeus Ulrich | |
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