# taz.de -- Graphic Novel: Wie aus Holz geschnitzt | |
> Sie lebte in Uganda, auf den Seychellen, im Tessin. Dann kam sie nach | |
> Deutschland, um Künstlerin zu werden. Heute ist Birgit Weyhe eine | |
> erfolgreiche Comic-Autorin. | |
Bild: Angekommen: Birgit Weyhe fremdelt zwar mit Hamburg, aber sie tut, was sie… | |
HAMBURG taz | Sie steht da, unterm Arm eine Mappe mit Aquarellen – und | |
fühlt sich deplatziert. Das ist ein großes Missverständnis, denkt sie. | |
Birgit Weyhe steht in der Münchener Kunsthochschule, einem prunkvollen | |
Klotz, innen Säulen, Marmor, Stuck. Es ist der Tag der offenen Tür. | |
Allerlei Installationen sind zu bewundern, vorrangig Videokunst. Alles ist | |
modern, neu und anders, funkelt und blinkt. Plötzlich will Weyhe ihre Mappe | |
gar nicht mehr zeigen, schämt sich, dass sie gedacht hat, jemand würde sie | |
ausgerechnet hier betrachten wollen – und flieht schnurstracks zur Tür | |
hinaus. | |
Es wurde erstmal nichts mit dem Kunststudium. Sie sei nicht bereit gewesen, | |
ihr habe der Kontext gefehlt, sagt Weyhe. Die damals 19-Jährige, die sich | |
aus der Hochschule stahl, war erst seit wenigen Wochen wieder in | |
Deutschland, das sie als dreijähriges Kind verlassen hatte. Mit ihrer | |
Mutter war sie nach Ostafrika gegangen. Videoinstallationen? Allein das | |
Wort war ihr fremd. | |
Künstlerin ist sie dennoch geworden. Ihre Werke wurden bereits in Dutzenden | |
Zeitschriften und Anthologien publiziert und hingen unter anderem in | |
Berlin, Lissabon, Paris, Brüssel und Hamburg, wo sie inzwischen lebt. Weyhe | |
zeichnet Comics. Ihre Zeichnungen sind meist raumlos und starr, ohne die | |
typischen Perspektivwechsel. Sie sehen aus wie Holzschnitzereien. Hat das | |
etwas mit ihrer Zeit in Ostafrika zu tun? | |
Birgit Weyhe sitzt in ihrem Atelier im Hamburger Stadtteil Altona. 25 Jahre | |
ist ihre Flucht aus der Münchener Kunsthochschule her. Gerade ist ihre | |
dritte Graphic Novel erschienen, „Im Himmel ist Jahrmarkt“, in den Himmel | |
gelobt von Kritikern. | |
Es ist ein biografisches Werk, in dem Weyhe die Geschichten ihrer | |
Großeltern und weiterer Verwandter zu rekonstruieren versucht. Es sei ihr | |
darum gegangen, Leerstellen zu füllen, die besonders zutage traten, wenn | |
ihre beiden Töchter sie nach ihrer Familie fragten, sagt sie. Doch | |
Rekonstruktion ist eigentlich das falsche Wort: Viel war über ihre | |
Vorfahren nicht herauszufinden, also schloss sie die Leerstellen mit ihrer | |
Fantasie. Etwa 50 Prozent der Geschichte seien frei erfunden, sagt Weyhe. | |
Ihre eigene Biografie, ihr Aufwachsen in Ostafrika, schimmert in dem Comic | |
nur sporadisch durch. Wer also ist diese späte Comic-Künstlerin Birgit | |
Weyhe? | |
Anfang der 70er-Jahre zieht ihre Mutter mit der damals Dreijährigen nach | |
Uganda. In dem Land bleiben die beiden nur kurz. Krieg bricht aus. | |
Sechzehnmal wechseln sie den Wohnort, es ist ein Leben ohne Beständigkeit. | |
Weyhe wohnt auf den Seychellen, ein halbes Jahr in Sambia, dann im Tessin. | |
„Als Kind findet man das zum Kotzen“, sagt sie, „weil man sich Kontinuit�… | |
und Struktur wünscht.“ | |
Mit vier besucht sie einen Kindergarten in Kampala, der Hauptstadt Ugandas. | |
Sie ist das einzige Kind mit weißer Hautfarbe. Das ist kein Problem. Aber | |
sie kann kein Englisch, weswegen sie die Verhaltensregeln nicht kapiert; | |
dass man nur in der Pause pinkeln darf zum Beispiel. Das habe immer zu | |
Chaos geführt. Meist gibt es Schläge, mit Zweigen in die Kniekehlen. Weyhe | |
versteht nicht, wieso. | |
Es ist die Zeit, in der Idi Amin beginnt, Regimekritiker zu ermorden und | |
auf offener Straße verrotten zu lassen. Während seiner acht Jahre als | |
ugandischer Diktator sterben hunderttausende Menschen gewaltsam. Die junge | |
Birgit Weyhe guckt hin, sieht die Leichen, das Blut, lebt den Alltag des | |
Krieges. Als Kind nehme man das Leid hin, sagt sie. Es habe sie, | |
rückblickend betrachtet, nicht traumatisiert. | |
Aber die Erfahrungen und Erlebnisse in Ostafrika, die schönen und die | |
furchtbaren, prägen sie, ihren späteren Zeichenstil und ihre Themenwahl. | |
„Kinder saugen viel mehr auf von dieser Welt, die Farben, Gerüche, ja die | |
Textur des Lebens“, sagt Weyhe. Vielleicht liege es daran, dass sie sich in | |
Hamburg, obgleich sie hier seit 22 Jahren lebt, nicht zuhause fühlt. Sie | |
habe eben nie Kastanien-Männchen gebastelt, sie wusste nicht einmal, wie | |
eine Kastanie aussieht. Mango- und Avocadobäume, die waren ihr geläufig. | |
Typische Bäume in Ostafrika, das sie heute noch ihre Heimat nennt. Ihre | |
Mutter lebt noch immer dort. | |
Doch Birgit Weyhe ist nicht bei ihr geblieben. Mit 19, nach ihrem Abitur in | |
Kenia, geht sie zurück nach Deutschland, mit der Hoffnung, Kunst zu | |
studieren. Im Gepäck: jugendliche Naivität und die Mappe mit | |
Landschaftsaquarellen. Doch das Kunststudium erscheint ihr flugs wie eine | |
Utopie. In Ostafrika verschlang sie deutsche Literatur; die war leicht zu | |
bekommen, Pinsel dagegen nicht. So studiert sie Literatur und Geschichte in | |
Koblenz und Hamburg. Doch es nagt an ihr, dass sie in München nicht den | |
Mumm hatte, die vermaledeite Mappe abzugeben. | |
Nach dem Examen 1996 ist ihr klar, dass sie nicht in die Forschung möchte. | |
Journalismus reizt sie nicht. Freies Schreiben? Möglich. Inzwischen hat sie | |
eine Tochter, ist viel zuhause, nimmt Arbeit an, die ihr nicht gefällt. | |
Dann wird sie 30, denkt, dass sie es wenigstens einmal probiert haben will, | |
um nicht als Feigling vor sich selbst dazustehen. Endlich schickt sie eine | |
Mappe mit Zeichnungen an die Fachhochschule für Gestaltung in der Hamburger | |
Armgartstraße. | |
Sie erwartet eine Absage. Als stattdessen die Nachricht kommt, dass sie | |
angenommen ist, hadert sie mit sich selbst, wie so oft. Inzwischen hat sie | |
zwei Töchter. „Außerdem bin ich zehn Jahre älter als alle anderen“, denkt | |
sie, „Geld hab’ ich auch keins.“ Wie soll das gehen? | |
Es geht, irgendwie. Vielleicht, weil sie Lebenswechsel gewohnt ist. 2009 | |
erhält sie ihr Diplom und gewinnt prompt auf dem Comicfestival Linz einen | |
ersten Preis für ihre Arbeit. Auch ihre erste Graphic Novel, „Ich weiß“, | |
ist ein Erfolg. Sie beschreibt, verkürzt gesagt, vier Geschichten, die auf | |
afrikanische Mythen und Erlebnisse zurückgehen. | |
Weyhe bereut diesen Schritt keine Sekunde. Sie nimmt eine Dozenten-Stelle | |
an, unterrichtet Dramaturgie an ihrem Fachbereich. „Dann bin ich halt die | |
Comic-Oma“, sagt sie heute, und grinst. | |
Nun schreibt ihr Verlag solche lobende Sätze über sie: „Es gelingt ihr, den | |
europäischen Comicavantgarde-Stil mit afrikanischer Formensprache zu | |
verbinden.“ Birgit Weyhe findet das amüsant. Sie zeichne, was sich richtig | |
anfühle, sagt sie, und nicht, weil sie ihre afrikanische Seele ausleben | |
müsse. „Für mich ist Zeichnen etwas Elementares.“ Auch in Ostafrika sei d… | |
Leben elementar und unmittelbar, auch der Tod, so habe sie es als Kind | |
erlebt. Das sei gewiss – unbewusst – in ihren Stil eingeflossen. Als Weyhe | |
angefangen hat mit ihrem Illustrations-Studium, sagte ein Dozent ganz | |
entgeistert: „Du rührst ja richtig!“ | |
Birgit Weyhe rührt bereits an einem neuen Projekt. Es hat im weiteren Sinn | |
mit Afrika zu tun: mit mosambikanischen Vertragsarbeitern, die von 1979 bis | |
1990 in der DDR gearbeitet haben. Sie möchte qualitative Interviews mit | |
Angehörigen führen und drei Lebensgeschichten erzählen, die für das Ganze | |
stehen – in Comicform. Denn sie kann sich mit ihnen identifizieren, den | |
Mosambikanern in der DDR, die gleich doppelt entwurzelt waren, | |
Lebenswechsel verkraften und mit ihnen umgehen mussten. So wie die | |
Künstlerin Birgit Weyhe. Der Verlag hat bereits zugesagt. | |
## Birgit Weyhe: Im Himmel ist Jahrmarkt, Avant-Verlag, 280 Seiten, 22 Euro | |
19 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Amadeus Ulrich | |
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