# taz.de -- Kritik an Umgang mit Flüchtlingskrise: „Öffnet eure Herzen“ | |
> Großbritannien, Kanada und Ungarn werden für ihre Asylpolitik kritisiert. | |
> Und EU-Kommissar Oettinger möchte die Leistungen für Flüchtlinge senken. | |
Bild: In London marschieren zehntausende gegen Premier David Camerons Asylpolit… | |
RÖSZKE/BERLIN/BUDAPEST/LONDON/TORONTO dpa/afp/ap/rtr | Die Lage in dem | |
ungarischen Flüchtlingslager Röszke an der Grenze zu Serbien ist brenzlig. | |
Die dortigen Ärzte haben vor einer Ausbreitung von Krankheiten in dem Camp | |
gewarnt. „Wenn es kein fließendes Wasser und keine Waschmöglichkeiten gibt | |
und Menschen mit ansteckenden Krankheiten ankommen, dann ist das ein | |
Problem,“ sagte Teresa Sancristobal, Chefin des örtlichen Teams der | |
Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen am Samstag in Röszke. Es kämen zwar | |
viele Kleider- und Lebensmittelspenden an, aber es fehle an sanitären | |
Einrichtungen und medizinischer Ausrüstung. | |
Eine Priorität räumen die Ärzte vor Ort schwangeren Frauen ein, die oft | |
wochenlang aus Krisengebieten im Nahen Osten zu Fuß unterwegs waren. „Wir | |
haben viele schwangere Frauen, die einfach erschöpft sind und nicht mehr | |
können“, sagte Sarah Schober, 28-jährige Medizinstudentin und freiwillige | |
Helferin aus Österreich. „Wir können ihnen aber nur Magnesium und kleine | |
Dosen Schnaps gegen ihre Krämpfe geben“, fügte sie hinzu. Da es an | |
Toiletten fehle, verrichteten die Menschen ihre Notdurft nahezu überall. | |
„Bei dem warmen Wetter droht rasch eine Epidemie“, warnte Schober. | |
In Röszke trifft ein Großteil der Flüchtlinge von der sogenannten | |
Balkanroute ein, die Westeuropa erreichen wollen. Die Lage an dem | |
Grenzübergang ist seit Tagen angespannt. Die überwiegende Mehrheit der | |
Flüchtlinge will weiter Richtung Deutschland oder Skandinavien reisen. | |
## Ungarns Asylpolitik mit Holocaust verglichen | |
Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann hat das Vorgehen des | |
ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán in der Flüchtlingskrise mit | |
der NS-Rassenpolitik verglichen. „Menschenrechte nach Religionen zu | |
unterteilen ist unerträglich“, sagte der Sozialdemokrat dem Hamburger | |
Nachrichtenmagazin Der Spiegel. „Flüchtlinge in Züge zu stecken in dem | |
Glauben, sie würden ganz woandershin fahren, weckt Erinnerungen an die | |
dunkelste Zeit unseres Kontinents.“ | |
Faymann brachte finanzielle Sanktionen für EU-Staaten wie Ungarn ins | |
Gespräch, die sich einer Quotenregelung für die Aufteilung der Flüchtlinge | |
in der EU verweigern. „Zur Bewältigung der Flüchtlingsbewegung brauchen wir | |
Strafen gegen Solidaritätssünder“, sagte der SPÖ-Chef. Als Beispiel nannte | |
er die Kürzung der Mittel aus den Strukturfonds, von denen vor allem die | |
östlichen EU-Staaten profitierten. Die Quotenregelung könne in der EU auch | |
mit qualifizierter Mehrheit durchgesetzt werden. | |
Ungarns Außenminister Peter Szijjarto hat am Samstag scharf auf Kritik des | |
österreichischen Bundeskanzlers Werner Faymann reagiert. „Dies weisen wir | |
entschieden zurück und verbitten es uns“, übermittelte Szijjarto der | |
staatlichen ungarischen Nachrichtenagentur MTI. | |
Faymanns Worte seien „eines führenden Politikers im 21. Jahrhundert | |
unwürdig“. Österreichs Regierungschef betreibe seit Wochen eine | |
„Lügenkampagne“ gegen Ungarn, obwohl das Land alle EU-Regeln beachte und | |
eine effiziente gemeinsame europäische Lösung für die Flüchtlingskrise | |
suche. Erschwert werde dies dadurch, dass Politiker wie Faymann mit | |
verantwortungslosen Äußerungen bei „Wirtschaftsflüchtlingen“ Illusionen … | |
„Träume ohne Grundlage“ weckten. Faymanns „Amoklauf“ sei unerträglich… | |
offenbare seine Unfähigkeit. | |
## Oettinger für Angleichung der Leistungen | |
EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) hat eine Angleichung der Leistungen | |
für Asylbewerber innerhalb Europas gefordert. Natürlich könnten die Geld- | |
und Sachleistungen nicht bis auf den letzten Cent in der EU identisch sein, | |
sagte Oettinger der Welt am Sonntag. Die Leistungen für Asylbewerber in | |
Deutschland müssten aber so angepasst werden, dass es eine „gewisse | |
Annäherung an die Leistungen in anderen EU-Staaten gibt“. | |
Der EU-Kommissar sagte weiter, die Leistungen sollten an die | |
Lebenshaltungskosten im jeweiligen Aufnahmeland angepasst sein. „Wir | |
benötigen aber eine gewisse Harmonisierung der materiellen Leistungen für | |
Asylbewerber in Europa, denn ein zu starkes Gefälle innerhalb der EU könnte | |
die falschen Anreize setzen und die Aufteilung nach einer festen Quote auf | |
alle EU-Länder ad absurdum führen.“ | |
Oettinger forderte zudem weitere Änderungen im Grundgesetz: „Das | |
Grundgesetz könnte so geändert werden, dass Asylverfahren künftig viel | |
schneller als bisher zum Abschluss gebracht werden“. Außerdem sollten | |
Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsstaaten durch eine Grundgesetzänderung | |
bei einer Ablehnung schnell zurückgeführt werden können. | |
## Demo in London gegen britische Asylpolitik | |
Zehntausende Menschen haben am Samstag in London für Solidarität mit | |
Flüchtlingen und gegen die Asylpolitik der britischen Regierung | |
demonstriert. Den Protestmarsch durch die Innenstadt vor das Parlament | |
hatten Bürgerrechtler organisiert. Ganz vorne in dem Demonstrationszug in | |
Richtung Parlament gingen Flüchtlinge. | |
Die Veranstalter schätzten, dass „mehr als 100.000“ Demonstranten | |
teilnahmen. „Wir sind fast ein bisschen schockiert, das hätten wir nicht | |
erwartet“, sagte Mitorganisator Abdulaziz Almashi von der Gruppe Syria | |
Solidarity. Ein Polizeisprecher sagte, es gebe keine offizielle | |
Teilnehmerzahl. | |
Vor dem Westminister-Parlament sprach am Nachmittag auch der gerade | |
gewählte Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn zu den jubelnden Demonstranten. | |
„Öffnet eure Herzen, und seid aufgeschlossen, und ändert eure Haltung dazu, | |
Menschen zu helfen, die verzweifelt sind, die einen sicheren Ort zum Leben | |
brauchen, die zu unserer Gesellschaft beitragen wollen, und die Menschen | |
wie wir alle sind“, appellierte er an die konservative Regierung. | |
Großbritannien will bis 2020 lediglich 20.000 Syrer aufnehmen, die in | |
Flüchtlingslagern um die syrische Grenze leben. | |
## Kanadischer Premierminister in Kritik | |
Auch Kanada nimmt verhältnismäßig wenige Flüchtlinge auf: Die Regierung hat | |
mehr humanitäre Hilfe für Flüchtlingslager angekündigt, lehnt die Aufnahme | |
weiterer Syrer jedoch vorerst ab. Wie die Regierung von Premierminister | |
Stephen Harper am Samstag bekanntgab, sollen 100 Millionen Dollar (rund 66 | |
Millionen Euro) in die Unterstützung der Camps fließen. | |
Seit Beginn des Syrien-Konflikts im Jahr 2011 sind mehr als vier Millionen | |
Menschen aus dem Land geflohen. Weil Kanada seit Januar 2014 nur 2.500 | |
Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland aufnahm, steht die Harper-Regierung | |
massiv in der Kritik. Im Januar hatte seine Regierung jedoch angekündigt, | |
über drei Jahre hinweg 10.000 Syrer aufnehmen zu wollen. Anfang August | |
erklärte sich die Führung um Harper dann bereit, in einem Zeitraum von vier | |
Jahren weiteren 10.000 Flüchtlingen Zuflucht zu gewähren. | |
In internationalen Krisen früherer Jahrzehnte war Kanada mit einer | |
vergleichsweise großzügigen Asylpolitik aufgefallen. Die Zahl der | |
aufgenommenen Flüchtlinge ist seit dem Amtsantritt Harpers vor fast zehn | |
Jahren jedoch stark zurückgegangen. | |
13 Sep 2015 | |
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