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# taz.de -- Die Grünen und Flüchtlinge: Macht und Feigheit
> Schneller abschieben, mehr sichere Herkunftsstaaten? Die Grünen könnten
> das über die Regierungen in den Ländern stoppen. Nur: Sie trauen sich
> nicht.
Bild: Wo die Grenze ziehen? Die Koalition plant unter anderem, Flüchtlinge sec…
Frankfurt/Berlin taz | Wenn die Kanzlerin die Länder am Donnerstag dazu
bringen will, das Asylrecht weiter einzuschränken, gibt es eine kleine
Partei, die das verhindern könnte. Eine Partei, die in diesem Fall so viel
Macht hat, dass es ihr selbst ganz unheimlich zu werden scheint. Die Grünen
tun gerade alles dafür, diese Macht nicht zu nutzen.
Und da fragt man sich jetzt schon: warum?
Ein wichtiger Grüner aus Baden-Württemberg prustet am Telefon los, wenn er
sich das Szenario vorstellt. „Mit Nein stimmen und alles stoppen? Was
glauben Sie, was dann los wäre!“
Die Integrationsexpertin der hessischen Grünen sagt: „Ich trete bei den
Grünen aus, wenn sie für die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten und
eine Verschärfung des Asylrechts stimmen.“
Eine bayerische Bürgermeisterin sagt: „Ich weiß nicht, wo die Grenze wäre,
wann die Stimmung kippen könnte.“
Die Parteivorsitzende in Berlin sagt: „Es geht ja auch darum, den
gesellschaftlichen Frieden in Deutschland zu wahren.“
Es ist wieder was los bei den Grünen. Man bekommt es nur nicht wirklich
mit. Alles soll diesmal leise, geräuschlos und hübsch geordnet laufen.
## Was Grüne im Bund wollen, ist ziemlich egal
Um den Wandel nachzuvollziehen, muss man erst einmal verstehen, dass die
Macht in der Partei sich verschoben hat. Was Grüne im Bund wollen, ist
gerade ziemlich egal. Wichtig ist Winfried Kretschmann, Baden-Württembergs
grüner Ministerpräsident. Er führt die Verhandlungen für die neun Länder,
in denen die Grünen mitregieren. Er sitzt mit Merkels Chefverhandler Peter
Altmaier zusammen, er informiert den Rest der Partei. Kretschmann hat die
Hand am Hebel, er hätte die Sperrminorität in der Länderkammer hinter sich.
Historisch gesehen sind die Grünen ja die Partei, die für Menschen in Not
kämpft. Kein Mensch ist illegal, Butterbrote schmieren in
Flüchtlingsunterkünften, Kirchenasyl. 1993 verdammten sie den berüchtigten
Asylkompromiss, mit dem Helmut Kohl in einer ganz großen Koalition
Deutschland abschottete. Heute brennt alle paar Tage irgendwo eine
Flüchtlingsunterkunft, die Bundesregierung lässt die Grenzen wieder
kontrollieren, Kommunen kommen kaum mit dem Andrang der Flüchtenden klar.
Setzen die Grünen jetzt endlich Liberalisierungen im Asylrecht durch?
Mürvet Öztürk schickt eine SMS. Café Hofmann, Terminal 2, Airport
Frankfurt, hier sei es ruhig, hier könne man reden. Da textet eine, die es
gewohnt ist, klare Ansagen zu machen. Gerade ist Öztürk mit dem Flieger aus
Istanbul gelandet, jetzt erklärt sie eineinhalb Stunden lang, warum sie
fertig ist mit der schwarz-grünen Koalition in Hessen.
Vor elf Tagen ist sie aus der Grünen-Fraktion ausgetreten, sie verfasste
eine persönliche Erklärung: „Für die Verschärfung des Asylrechts auf Kost…
Schutzsuchender stehe ich nicht zur Verfügung.“ Mürvet Öztürk findet, dass
die Grünen gerade ihre Ideale verraten. „Wenn Grüne anfangen, eine
restriktive Flüchtlingspolitik zu unterstützen, ist das für mich die rote
Linie. Das mache ich nicht mit.“
## „Das gibt es mit Schwarz-Grün nicht“
Öztürk spricht schnell, die Sätze wie gedrechselt, die rechte Hand
untermalt manche Argumente mit kleinen Bögen. „Ich wünsche mir eine
engagierte, wertschätzende und vorausschauende Flüchtlingspolitik. Die gibt
es mit Schwarz-Grün nicht.“
Mürvet Öztürk, 43 Jahre, schulterlange, kastanienbraune Haare, ein grünes
Tuch locker um den Hals, ist nicht irgendwer bei den Grünen. Sie genießt
den Ruf einer anerkannten Fachfrau für Flüchtlings- und
Integrationspolitik. Klar in der Sache, bestens vernetzt. Die studierte
Islamwissenschaftlerin trat 2001 ein, sie sitzt seit sieben Jahren als
Abgeordnete im hessischen Landtag. Davor hat sie im Europabüro von Cem
Özdemir gearbeitet, sie ist mit dem Grünen-Chef befreundet und teilt seine
Leidenschaft für Türkei-Politik.
Eigentlich ist Öztürk ein Glücksgriff für die Grünen, eine fachlich
versierte Frau, rhetorisch fit, jung, Migrationshintergrund. Und jetzt
spricht dieses Nachwuchstalent dem eigenen Laden das Misstrauen aus. Öztürk
ahnt, wie der Showdown in der Flüchtlingspolitik ausgeht.
Die Kanzlerin will ein riesiges Gesetzespaket verabschieden. Seit Monaten
verhandelt ihr Kanzleramtschef Altmaier und der zuständige Staatsminister
Helge Braun mit den Ländern. Textvorschläge werden ausgetauscht,
Telefonkonferenzen geschaltet, Unterhändlerrunden verabredet. Eine Maschine
surrt, um einen neuen Asylkompromiss auszuhandeln, der das deutsche Recht
grundlegend ändert. Ein Befreiungsschlag soll es sein.
## 128 Seiten Amtsdeutsch
Mehr Geld für die Länder und Kommunen, aber auch Verschärfungen für
Flüchtlinge. Sie sollen sechs Monate in überfüllten
Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben statt bisher drei. Sie sollen
Wertgutscheine für Lebensmittel oder Duschzeug bekommen, kein Taschengeld
mehr. Die Koalition möchte außerdem die Liste der sicheren Herkunftsstaaten
verlängern, also neue Länder definieren, in die schnell und unkompliziert
abgeschoben werden darf. Es kursiert ein Entwurf für ein Gesetz aus dem
Bundesinnenministerium. 128 Seiten, Amtsdeutsch, darin viele Ansagen, die
sich Hardliner aus CDU und CSU wünschen.
Merkels Angebote an Kretschmann und die Grünen sind alle vergiftet, sie
enthalten Zumutungen, die früher für Grüne tabu gewesen wären. Deutschland
soll unattraktiver werden, vor allem für Menschen aus den Staaten des
westlichen Balkan.
Ein Donnerstag Mitte September. Simone Peter, 49 Jahre, hat schon eine
Bootsfahrt auf der Elbe hinter sich. Protest gegen Staustufen, Paddeln im
Schlauchboot, Alltag einer Grünen-Chefin. Peter gehört zum linken
Parteiflügel, das Wohl Notleidender liegt ihr am Herzen, sie mag und
schätzt Mürvet Öztürk, die Rebellin. Jetzt legt sie in ihrem Berliner Büro
die Unterarme auf den Tisch, beugt sich vor und rattert minutenlang
herunter, was die Grünen alles Schönes wollen. Gar nicht einfach,
zwischendurch eine Frage zu stellen. Einen Arbeitsmarktzugang für Leute vom
Westbalkan, mehr Geld natürlich, Entbürokratisierung der Verfahren.
Peter weiß, dass viele Vorschläge von Merkels Koalition Botschaften an den
Stammtisch sind. Sie sollen Härte signalisieren, würden aber das Chaos in
überlasteten Erstaufnahmeeinrichtungen vergrößern. In dieser Woche dann,
als der harte Referentenentwurf raus ist, wird sie über einen „Abwehrkampf
gegenüber Flüchtlingen“ schimpfen, der Innenminister verlängere seine Liste
der Grausamkeiten.
## Was ist eigentlich nicht verhandelbar?
Von „Schikanen“ für Flüchtlinge spricht Peter in ihrem Büro schon vorher
und lobt gleichzeitig die Bewegung in der Koalition bei den Finanzen. Aber
um einen nicht unwichtigen Punkt drückt sich die Grünen-Chefin herum.
Frau Peter, was ist für die Grünen eigentlich nicht verhandelbar?
Jetzt fabriziert die Vorsitzende so viele Wortblasen, dass das Abhören des
Bandes zur Prüfung wird. Rote Karte bei Rassismus, Populismus der CSU nicht
nachgeben, Rückgrat im Sinne der Hilfsbedürftigen beweisen. Um es kurz zu
machen: Simone Peter fällt kein einziges Tabu ein. Alles ist
Verhandlungsmasse.
Ach nein, Moment: „Das Grundrecht auf Asyl ist für uns unantastbar.“
Das klingt entschieden, ist aber falsch. Für die Rebellin Öztürk wäre es
etwa eine „relevante Schwächung“ dieses Grundrechts, die Liste sicherer
Herkunftsstaaten auszuweiten. Kretschmann hat diesem Konzept vor einem Jahr
schon mal zugestimmt. Merkels Koalition will jetzt noch mehr, sie möchte
auch Albanien, Kosovo und Montenegro für sicher erklären.
Dieses Mal, das räumen mehrere Parteistrategen ein, werden sich die Grünen
kaum verweigern können. Sie würden akzeptieren, dass Menschen, die vor
Armut flüchten, unbürokratisch abgeschoben werden können. Den Roma, die in
solchen Staaten brutal diskriminiert werden, würden sie die Anerkennung
erschweren.
## Die 90er Jahre und die „Bild“
Um Öztürks Wut darüber zu verstehen, muss man kurz in die Anfänge der 90er
Jahre zurückschauen. Die Asylbewerberzahlen steigen. Die Bild-Zeitung
zündelt, die Stimmung ist aufgeheizt. Rostock-Lichtenhagen, Mölln, zwei
Mädchen und ihre Großmutter sterben durch rechten Terror. In der
entscheidenden Plenarsitzung am 26. Mai 1993 drückt der Grünen-Abgeordnete
Konrad Weiß in einem Satz präzise die grüne Kritik am Asylkompromiss aus.
Der neue Artikel 16a im Grundgesetz ruiniere das Grundrecht auf Asyl in
seinem Wesen, ruft er, denn künftig gelte: „Politisch Verfolgte genießen
Asylrecht, aber nicht in Deutschland.“
Mit den Stimmen von CDU, CSU, FDP und SPD schränkt das Parlament das
Grundrecht auf Asyl ein. Menschen, die aus sicheren Drittstaaten kommen,
haben kein Recht mehr darauf. Menschen, die aus einem als sicher
eingestuften Herkunftsstaat stammen, können schnell zurückgeschickt werden.
Bequem ist das für Deutschland, die EU-Staaten rundherum schützen wie ein
Bollwerk vor Not.
Heute funktionieren die Drittstaatenregelung und das Dublin-Abkommen, das
Flüchtlinge aus Deutschland fernhalten soll, längst nicht mehr.
Verzweifelte Menschen suchen und finden immer Wege ins reichste Land
Europas. Die Grünen wissen das, aber wehren sie sich wirklich gegen die
neuen Regelungen?
Als Kretschmann im September 2014 die rot-grüne Front im Bundesrat aufbrach
und Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere
Herkunftsstaaten etikettierte, schrien viele in der Partei auf. Verrat! Ein
schwarzer Tag! Viele Grüne, nicht nur vom linken Flügel, empfanden das als
Tabubruch. Dieses Mal kommt es noch schlimmer. Die Koalition will das
Asylrecht viel grundsätzlicher verschärfen. Trotzdem ist von den Grünen
kaum etwas zu hören. Von Widerspruch, gar der ernsten Drohung, im Bundesrat
Nein zu sagen, fehlt jede Spur.
Als die Koalition ihr erstes Angebot vorlegte, meldeten sich Jürgen
Trittin, Volker Beck und Claudia Roth mit böser Kritik. Die drei haben
gemeinsam, dass sie zwar noch im Bundestag sitzen, im neuen Machtgefüge der
Grünen aber irrelevant sind. Kretschmann, der Bestimmer, lobte den
Vorschlag als „ordentliche Grundlage“. Ansonsten: betretenes Schweigen auf
breiter Flur, von einem Interview des NRW-Landeschefs in einer Lokalzeitung
abgesehen, der „mehr echte Hilfen“ für Flüchtende forderte.
Alle Spitzenleute sind sich einig, dass sich die Partei ein kommunikatives
Desaster dieser Größenordnung nicht mehr leisten sollte. Eine Spätfolge des
Veggie-Day-Traumas. Außerdem gab es einen Parteitag, der den
Kretschmann-GAU vergessen machen sollte. Die Delegierten verhielten sich
entschieden unentschieden, also recht grünen-typisch. Sie beklatschten den
sich rechtfertigenden Kretschmann, dann verabschiedeten sie einen
Beschluss, der seine Entscheidung für falsch erklärte. Außerdem lehnten die
Delegierten es ab, weitere Staaten auf die Liste zu setzen. Eine Zustimmung
zu den aktuellen Vorschlägen der Koalition widerspräche also der
offiziellen Beschlusslage der Grünen.
## Dissens verbergen
Die Grünen versuchen ihren Dissens vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Es
ist nämlich so: Manche Grüne sind teils auf Linie mit der Union, andere
nicht. Das beste Beispiel findet sich in einem „Fünfpunkteplan“, den der
Bundesvorstand und fast alle grün mitregierten Länder unterschrieben haben.
Auf den vier Seiten steht viel Gutes und Wahres, aber ein Satz ist
besonders wichtig. Die Grünen müssten sich der Realität stellen, schreiben
die Parteistrategen da: „Es geht darum, die Rückkehr von Menschen ohne
Bleibeperspektive in ihre Heimatländer zu beschleunigen.“ Das hat man von
Grünen so noch nie gehört: Hey Deutschland, wir sind jetzt übrigens auch
für schnellere Abschiebungen. Sie trauen sich nur nicht, es laut zu sagen.
Die Grünen in den Ländern sind sich auch nicht ganz einig. Kretschmanns
Baden-Württemberger und die Hessen, die mit der CDU koalieren, finden
schnelle Abschiebungen wichtig. Sie haben einen Verdacht, mit dem sie
wahrscheinlich richtig liegen. Natürlich findet das gut situierte und
ökoaffine Bürgertum Flüchtlinge klasse. Jedenfalls grundsätzlich. Aber wenn
in der Grundschule neben der frühgeförderten Sophie-Charlotte plötzlich
zehn Roma-Kinder sitzen, die kein Deutsch sprechen, hört der Spaß auf.
Andere Länder tragen diese Haltung murrend mit, der Geschlossenheit wegen.
Bremens Vizeregierungschefin Karoline Linnert hat den Fünfpunkteplan
dagegen nicht unterschrieben. „Die Bremer Grünen halten diesen Satz für
problematisch“, sagt sie. „Weder wollen wir mehr angeblich sichere
Herkunftsländer auflisten noch möglichst schnell abschieben.“
Die Grünen von heute haben kein Problem mehr mit Dialektik. Darüber kann
man sich lustig machen, aber dumm ist das nicht. Denn die
Rollenunterschiede zwischen Bundesopposition und Landesexekutive sind ja
nicht zu leugnen. Vor allem aber realisierte die Partei in den vergangenen
Monaten, was alle Parteien gerade erleben. Ihre Programmatik wurde von der
Realität überholt, die reine grüne Lehre stößt an Grenzen.
## Reality-Check
Um diesen Reality Clash zu begreifen, kann man sich mit Susanna
Tausendfreund zu einem Telefonat verabreden. Aus ihrem Erkerfenster winkt
Tausendfreund oft jungen Männern aus dem Senegal oder aus Syrien zu, die
auf dem Rathausvorplatz über ihre Smartphones wischen. Tausendfreund, 52
Jahre, ist die Bürgermeisterin von Pullach, einem 9.000-Einwohner-Städtchen
direkt bei München. Die Männer nennen sie „Mama“. Als Erstes hat
Tausendfreund ein paar Router gekauft, jetzt gibt es freies WLAN vor dem
Rathaus. Der Kontakt zu den Familien in der Heimat ist für viele das
Wichtigste.
Tausendfreund erzählt, ruhig, strukturiert und präzise. Es gab die
Vorwarnung des Landratsamts, aber am Ende lief im Mai dieses Jahres alles
überfallartig: „Ein Anruf, drei Tage später standen die Menschen vor der
Tür.“ 150 Flüchtlinge leben jetzt in Pullach, allein 100 junge Männer sind
in der Turnhalle der Josef-Breher-Mittelschule untergebracht. Fünf
Toiletten, Duschräume für Schulklassen.
Anfangs gab es viele Anrufe bei der Polizei, sagt Tausendfreund. Die
Musikgruppe aus dem Senegal trommelte, Geflüchtete telefonierten nachts
laut auf der Straße. „Das sind eben andere kulturelle Gewohnheiten.“ Ach
ja, das mit dem wild Bieseln sei auch so ein Problem gewesen, manchmal
gingen sie dazu in die Grünanlage nebenan.
Die Probleme einer Bürgermeisterin sind dann sehr praktisch: Tausendfreund
bespricht mit Vereinen und Schulen, wo ersatzweise Sport stattfinden kann.
Sie organisiert einen Sicherheitsdienst und klärt, dass er die Toiletten
der Schule nebenan benutzen darf. Sie lädt zur Bürgerinformation ins
Gemeindehaus ein. Sie hilft ihrem Bruder, der im Haus nebenan wohnt und
einen Nigerianer aufgenommen hat, mit dem Behördenkram. Sie überredet
private Vermieter, Wohnungen an Flüchtlinge zu vergeben.
In anderen Kommunen ist die Lage viel dramatischer als in Pullach, wo
Tausendfreund sagt, sie sei ein bisschen stolz auf ihre Pullacher und das
große Engagement. Anderswo verzweifeln Bürgermeister, dort eskaliert die
Lage. Wenn man Susanna Tausendfreund fragt, was sie vom Kurs der Grünen im
Bund und in den Ländern hält, stockt sie kurz – und lacht. „Was machen sie
denn im Moment?“
Sie finde richtig, fällt ihr dann ein, dass die Grünen auf die
Einzelfallprüfung im Asylrecht pochten. Die Spitzengrünen dürften sich von
so was bestätigt fühlen. Die Basis will jetzt keinen Schaukampf, sondern
Lösungen, heißt es da. Was Bürgermeisterinnen wie Tausendfreund überall in
der Republik brauchen, ist schnelle Hilfe. Viel mehr Geld. Weniger
Bürokratie. Und ja, auch weniger Flüchtlinge.
## Schwarz-Grün 2017
Merkels Paket enthält solche Hilfen. Würden sich die Grünen dem Kompromiss
verweigern, stünden sie als Buhmänner der Nation da. Und hier kommt wieder
Kretschmann ins Spiel, der wichtigste Grüne. Was passierte, würden die
Grünen im Bundesrat mit Nein stimmen? Sie hätten fast alle Medien gegen
sich. Die Bild-Zeitung ließe verzweifelte Landräte aufmarschieren und höbe
Kretschmann als schwäbischen Schwächling auf den Titel. Die Frankfurter
Allgemeine, die Welt oder der Spiegel stellten die Grünen als
linksromantische Spinner in die Ecke. Die Spitzenleute aus der Union
sprächen ihnen jede Regierungsfähigkeit ab, Schwarz-Grün 2017 würde in
weite Ferne rücken.
Vor allem Kretschmann würde das Schlimmste drohen, nämlich der
Machtverlust. Ihn könnte die Blockade den Sieg bei der Landtagswahl im März
2016 kosten. Denn die nun wirklich nicht gerade linksalternative
Landespresse ließe den Ministerpräsidenten fallen, den sie bisher
freundlich behandelt.
„Undenkbar. Das wissen alle.“ Das ist die Analyse, die man von dem Mann aus
Baden-Württemberg hört, aber auch von wichtigen Grünen anderswo. Zur
Wahrheit gehört also, dass sich hinter der geräuschlosen Duldsamkeit der
Grünen zwei Dinge verbergen: ein Gefühl und ein Kalkül. Die Grünen haben
Angst vor dem Mainstream, und sie rechnen sich aus, dass linke Ideale in
der Flüchtlingsfrage nicht mehrheitsfähig sind.
So surrt also Merkels Kompromissmaschine, der Donnerstag rückt näher und
näher. Und die Grünen? Sie sitzen am Hebel, der alles stoppen könnte. Aber
bisher trauen sie sich nicht, ihn auch nur anzufassen.
21 Sep 2015
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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