| # taz.de -- Flüchtling Khaled A. übers Ankommen: „Es ist vollkommen willkü… | |
| > Khaled A. floh aus Syrien, als eine Bombe neben ihm explodierte. Er | |
| > spricht über Privatsphäre in der Hamburger Messe, Warten und die Angst | |
| > nach den Anschlägen. | |
| Bild: Wohnt zurzeit mit 1.000 anderen Flüchtlingen in den Hamburger Messehalle… | |
| taz: Herr A., Sie wohnen gemeinsam mit 1.000 Menschen in einer großen Halle | |
| der Hamburg Messe. Wie ist die Lage drinnen? | |
| Kaled A.: Es ist okay, es gibt nur ein großes Problem: die Behörde. | |
| Was ist das Problem? | |
| Mitarbeiter kommen unangemeldet vorbei, um die Asylanträge zu bearbeiten. | |
| Wenn man dann nicht da ist, ist das schlecht. Es gibt Leute, die seit 30 | |
| oder 40 Tagen in Hamburg sind und nicht wissen, ob sie in ein anderes | |
| Bundesland kommen oder in eine andere Unterkunft in Hamburg oder wann sie | |
| ihren Gerichtstermin für die erste Anhörung haben. Andere sind nicht mal | |
| einen Monat hier und haben schon ihren Gerichtstermin. Es ist vollkommen | |
| willkürlich. | |
| Was machen die Menschen den ganzen Tag? | |
| Es gibt Anwohner, die Sport- und Freizeitaktivitäten mit uns organisieren. | |
| Aber sonst: rumsitzen. Handy und so. Die Leute sprechen ja kein Deutsch, | |
| sie sind schüchtern und viele trauen sich nicht allein nach draußen. | |
| Wie eng ist es in der Halle? | |
| Man versucht, uns Privatsphäre zu geben. Es gibt Unterteilungen für 25 | |
| Leute in einer Kabine. Frauen und Männer sind getrennt, Familien zusammen. | |
| Zwischen zwei Feldbetten ist jeweils ein Meter Abstand. Drei Mal am Tag | |
| gibt es Essen. | |
| Was bekommen Sie? | |
| Zum Frühstück gibt es Toast mit Käse, Aufschnitt, Honig. Abends Fladenbrot, | |
| Salat und Aufschnitt. Mittags gibt es warmes Essen, deutsche Küche. | |
| Hähnchen oder Gulasch zum Beispiel, es gibt immer auch eine vegetarische | |
| Option. | |
| Wird man satt? | |
| Manche Leute nicht. Die Essgewohnheiten sind halt anders. Ich esse meistens | |
| außerhalb, weil mir die Essenszeiten viel zu früh sind. Bei uns in Syrien | |
| isst man erst um 14 Uhr Mittag. Hier ist es um 14 Uhr schon vorbei. | |
| Abendbrot ist hier von 17.30 Uhr bis 19.30 Uhr, das ist sehr früh für mich. | |
| Und wenn man eine Mahlzeit verpasst? | |
| Hat man Pech. | |
| Bekommen Sie Geld? | |
| Taschengeld gibt es erst, wenn man einen Gerichtstermin hat. Viele bekommen | |
| also noch nichts. Man ist ja versorgt. Aber wenn man zum Beispiel raucht, | |
| hat man Pech. | |
| Wie sind die hygienischen Zustände? | |
| Es wird regelmäßig sauber gemacht, aber die Toiletten sind halt Dixies. Es | |
| gibt Astronautenduschen, also kleine, mobile Duschen. Manchmal gibt es kein | |
| warmes Wasser, dann muss man kurz warten. Man kriegt ein Hygienepaket, da | |
| sind Seife, Shampoo, Rasierer und Handtücher drin. Seit die Anwohner uns | |
| versorgen, haben wir auch Deodorant und so. Wir haben jetzt WLAN, aber es | |
| ist ständig überlastet. Aber für Whatsapp reicht es. | |
| Wie ist die medizinische Versorgung? | |
| Es gibt jetzt ein Zelt für medizinische Untersuchungen. Da bekommt man die | |
| Impfungen gegen Tetanus und eine andere, ich weiß nicht welche. Es gibt | |
| einen Arzt, der fast immer da ist, und Dolmetscher für arabisch und | |
| afghanisch. Die Dolmetscher sind andere Flüchtlinge, Sozialarbeiter oder | |
| Freiwillige. Viele Medikamente sind gespendet. Es kann passieren, dass das, | |
| was du brauchst, gerade nicht vorhanden ist. | |
| Wie sind Sie nach Deutschland gekommen? | |
| Im Dezember 2000 als Student. Ich wollte hier Pharmazie studieren, das war | |
| ein Traum von mir. Ich habe in Essen angefangen, Deutsch zu lernen, habe | |
| mich beworben und einen Studienplatz in Münster bekommen. Ein Cousin von | |
| mir, der in Deutschland als Arzt arbeitet, hat mein Studium finanziert. | |
| Aber Sie mussten abbrechen? | |
| Ja, mir fehlten nur noch zwei Scheine bis zum ersten Staatsexamen. Aber ich | |
| hatte Schwierigkeiten damit, Latein zu lernen. Und ich wusste nicht, dass | |
| man seinen Aufenthalt verliert, wenn man über die Regelstudienzeit kommt. | |
| Wenn man als Ausländer mehr als drei Semester überzieht, muss man ausreisen | |
| oder wird abgeschoben. | |
| Sie sind ausgereist? | |
| Ja, ich bin nach Katar gegangen, weil ich nicht zum Wehrdienst in Syrien | |
| eingezogen werden wollte. 2011 lebte ich lange genug im Ausland, sodass ich | |
| keinen Wehrdienst mehr leisten musste und darum bin ich dann zurück nach | |
| Syrien. Da hatte die Krise schon angefangen, aber ich dachte nicht, dass es | |
| so schlimm wird. | |
| Wie schlimm war es? | |
| Damals ging es noch. Ich war in Damaskus. Die Anschläge waren klein, es | |
| sind Leute gestorben, aber nicht so viele wie jetzt. 2012 wurde es richtig | |
| schlimm. Nach 17 Uhr konnte man das Haus nicht mehr verlassen. Sonst | |
| riskierte man, wegen seiner politischen Meinung verhaftet zu werden. Oder | |
| wegen Lösegeld entführt oder einfach so getötet zu werden. Als eine | |
| Autobombe 100 Meter von mir entfernt explodiert ist, habe ich entschieden, | |
| zu fliehen. Mir hat es gereicht. Syrien ist zwar mein Land, aber ich will | |
| nicht sterben, weil irgendwelche Leute sich bekämpfen. Wenn es keinen | |
| sicheren Platz gibt, hat man seine Würde und sein Menschenrecht verloren. | |
| Wohin sind Sie gegangen? | |
| In die Türkei. | |
| Wie? | |
| Normal. Also geflogen. In Istanbul habe ich zwei Jahre auf dem großen Basar | |
| gearbeitet. Illegal, also ohne Versicherung. Als Migrant wird man | |
| ausgenutzt, wird schlecht bezahlt, hat Zwölf-Stunden-Schichten und nur eine | |
| Pause am Tag. Ich habe versucht, legal nach Deutschland zu kommen, aber es | |
| war unmöglich. | |
| Wie haben Sie es geschafft? | |
| Ich bin mit einem Schlauchboot auf die griechische Insel Kos gefahren. 14 | |
| Tage später sind wir mit dem Schiff nach Athen und dann mit dem Bus zur | |
| mazedonischen Grenze. Die haben wir zu Fuß überquert, bis zu dem Punkt, an | |
| dem uns das Militär aufgegriffen hat. In kleinen Gruppen sind wir mit dem | |
| Zug zur serbischen Grenze gebracht worden. Da hat man uns gezeigt, wo wir | |
| hin laufen müssen, um mit dem Bus nach Belgrad zu fahren. | |
| Und wie ging es weiter? | |
| Dort musste ich die Polizei mehrmals bestechen, damit sie uns nicht | |
| abschieben. 300 Euro hat das gekostet. Dann sind wir mit einem Schleuser | |
| von Belgrad nach Passau, dafür habe ich 1.600 Euro bezahlt. Wir waren 30 | |
| Leute in einem Lieferwagen. Es war dunkel, man hat nichts gesehen, sieben | |
| Stunden lang, wir wussten nicht, wo der uns hinbringt. An der Grenze hat | |
| uns die deutsche Polizei abgefangen. | |
| Was fühlen Sie, wenn Sie sehen, wie in Heidenau, Freital oder | |
| Salzhemmendorf Rechtsradikale Flüchtlingsunterkünfte attackieren? | |
| Das sind halt Nachrichten. Es gibt gute und schlechte Menschen. Die guten | |
| Taten überwiegen immer über die schlechten. Aber ich habe schon ein | |
| bisschen Angst. Vielen Flüchtlingen fällt es schwer, zuzugeben, dass sie | |
| traumatisiert sind. Aber die meisten sind es. Wenn dann etwas passiert wie | |
| in Heidenau, sieht man, dass sie Angst haben. Ich bin froh, dass ich hier | |
| bin – es war ein Traum von mir, in Hamburg zu leben. Und ich wollte in St. | |
| Pauli sein. Ich wusste, hier sind die Menschen solidarisch und hilfsbereit. | |
| 31 Aug 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Schipkowski | |
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