# taz.de -- Juristin über Textildiscounter und Tote: „Das deutsche Recht gre… | |
> Miriam Saage-Maaß versucht, KiK & Co. für Todesfälle in Zulieferfabriken | |
> haftbar zu machen. Die Anwältin sieht das Problem in den Gesetzen. | |
Bild: Billiger geht immer. Das hat Konsequenzen auf Arbeits- und Sicherheitsbed… | |
taz: Frau Saage-Maaß, Sie haben vor Gericht Klage eingereicht gegen den | |
Textil-Discounter KiK. Es geht um den Brand in der Zulieferfabrik in | |
Pakistan 2012, bei dem 259 ArbeiterInnen starben. Was ist das Neue an | |
diesem Verfahren? | |
Miriam Saage-Maaß: Wir setzen auf die Nutzbarkeit des Rechts und gebrauchen | |
es, um ungerechte Verhältnisse zu ändern. KiK profitiert von den | |
Produktionsbedingungen in Pakistan, nun soll die Firma auch für die Folgen | |
haften. Unserer Ansicht nach ist KiK mitverantwortlich für den Tod der | |
Beschäftigten. | |
Das deutsche Unternehmen hatte der Firma Ali Enterprises in Karatschi aber | |
nur den Auftrag erteilt für die Produktion der Textilien und nicht etwa | |
selbst in einem Tochterbetrieb gefertigt. | |
Ja, das ist rechtlich eigentlich eine eher schwache Verbindung. Wir sagen | |
jedoch: Wegen ihres großen Einflusses auf die Fabrik müssen sie trotzdem | |
haften. | |
Können Sie das einfach mal so definieren? | |
Wir ergreifen Partei in einer weltweiten wirtschaftlichen, sozialen und | |
politischen Auseinandersetzung. Unser Ziel ist es, mit juristischen Mitteln | |
den Menschenrechten bessere Geltung zu verschaffen. Dabei betreten wir | |
Neuland. | |
Welchen globalen Konflikt meinen Sie? | |
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich neue Zulieferbeziehungen | |
herausgebildet. Handelsunternehmen wie Walmart, H&M oder auch KiK, ein | |
Ableger von Kaiser’s-Tengelmann, haben Organisationen und rechtliche | |
Konstrukte aufgebaut, mit denen sie ihre Verantwortung ausgliedern. Sie | |
vergeben die Aufträge für die Produktion der Kleidung in Schwellen- und | |
Entwicklungsländer. Diese findet dort unter oft sehr schlechten Arbeits- | |
und Umweltbedingungen statt. Wir üben nun Druck aus, damit die hiesigen | |
Konzerne ihre Verantwortung für die Zustände in der Produktion wieder | |
wahrnehmen. | |
Wie funktioniert dieses Outsourcing durch die Firmen? | |
Juristisch betrachtet verlagern die Konzerne die Produktion aus dem | |
deutschen Rechtsraum in den anderer Staaten. Dort gilt hiesiges Recht | |
nicht. | |
Sie versuchen, die Globalisierung juristisch einzufangen. Warum wäre es ein | |
Fortschritt, wenn es Ihnen gelänge? | |
Bisher ist die Globalisierung nur einseitig abgesichert durch | |
internationales Wirtschaftsrecht, beispielsweise | |
Investitionsschutzabkommen. Die sozialen und ökologischen Rechte der | |
Beschäftigten und BürgerInnen kommen dagegen zu kurz. Das wollen wir | |
ändern. | |
Wie reagiert die deutsche Justiz auf dieses Ansinnen? | |
Skeptisch. Die Schadenersatzklage gegen KiK von Opfern und Angehörigen des | |
Fabrikbrandes in Pakistan entspricht ja nicht dem klassischen Konzept. Das | |
deutsche Zivilrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch stammt vom Ende des 19. | |
Jahrhunderts. Es reflektiert die damals engen wirtschaftlichen Beziehungen. | |
Der Standardfall war, dass sich ein Malermeister mit seinem | |
Farbenlieferanten stritt und beide in Bochum saßen. Die heutigen | |
transnationalen Handelsbeziehungen und weltweiten Lieferketten werden im | |
deutschen Recht nicht ausreichend erfasst. Und nur wenige Juristen | |
beschäftigen sich mit solchen Fragen aus Sicht der betroffenen Menschen. | |
Neigt die hiesige Justiz dazu, solche Verfahren auf die lange Bank zu | |
schieben? | |
Im Strafrecht ja. Im Falle des Ingenieur-Konzerns Lahmeyer, dem wir | |
vorwerfen, beim Staudammbau im Sudan einheimische Bauern vertrieben zu | |
haben, ermittelt die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main nun schon im fünften | |
Jahr. Bei Schadenersatzklagen im Zivilrecht geht es schneller, wenngleich | |
Forderungen oft zurückgewiesen werden. | |
Kann man sagen, dass sich die Menschenrechte durch soziale Kämpfe, | |
beispielsweise der ArbeiterInnen in Pakistan, weiterentwickeln? | |
Als abstrakte Normen sind die Rechte auf eine menschenwürdige Arbeit, auf | |
Nahrung und angemessenes Wohnen, genauso wie die Rechte auf Leben und | |
körperliche Unversehrtheit, in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte | |
von 1948, den Pakten der Vereinten Nationen über politische und soziale | |
Rechte oder den Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation klar | |
definiert. Was sich allerdings weiterentwickelt, ist die Anwendung. Was | |
bedeutet ein Menschenrecht in einer konkreten Konfliktlage? Welche Akteure | |
müssen was tun, damit die Opfer des Fabrikbrandes Gerechtigkeit erfahren | |
und Schadenersatz erhalten? Da versuchen wir, vor Gericht Fortschritte zu | |
erzielen, die durch soziale Auseinandersetzungen ausgelöst werden. | |
Woher beziehen die Menschenrechte ihre grundsätzliche Legitimation, warum | |
gelten sie universell für alle Menschen? | |
Dafür existieren verschiedene Begründungsmuster. Beispielsweise das | |
rechtspositivistische. Demnach gilt Recht einfach deshalb, weil es durch | |
Verträge oder Gesetze festgelegt wird. Weil 162 beziehungsweise 168 Staaten | |
die UN-Pakte für soziale und politische Rechte ratifiziert haben, müssen | |
sie sich daran halten. Daneben gibt es die viel grundsätzlichere, | |
naturrechtliche Begründung, wonach jeder Mensch von Natur aus göttlich | |
bestimmte Rechte genießt, die man ihm nicht nehmen kann. Oder man | |
argumentiert anthropologisch, dass Grundwerte, wie beispielsweise die | |
körperliche Unversehrtheit, in den meisten Kulturen anerkannt werden. | |
Außerdem lässt sich die vernunftrechtliche Begründung heranziehen nach dem | |
Motto: Die Vernunft zeigt, dass alle Menschen gleich sind und ihnen | |
identische, unveräußerliche Rechte zustehen. | |
Dieses Konzept ist während der Aufklärung des 18. Jahrhunderts entstanden – | |
eine sehr europäische Art des Denkens. | |
Teilen die GewerkschafterInnen, mit denen Sie in der KiK-Sache in Pakistan | |
zusammenarbeiten, die Idee der universellen Menschenrechte? | |
Sicherlich, die kommen ja aus einer klassischen linken Tradition. Sie | |
kämpfen für Rechte wie Meinungs- und Vereinigungsfreiheit, | |
Gleichberechtigung der Frauen, Nahrungssouveränität und angemessenes | |
Wohnen. Wie viele unserer Partner im globalen Süden verweigern sie sich | |
aber der Gleichsetzung von Menschenrechten und liberaler Demokratie, wie | |
wir sie in Europa und Nordamerika haben. | |
Die Demokratie ist doch die politische Ausgestaltung der universellen | |
Menschenrechte? | |
Ich würde sagen, unsere parlamentarische Regierungsform ist eine Variante, | |
um dies zu tun. Andere sind ebenfalls denkbar. Man muss politische | |
Partizipation nicht mit Bundestag und Bundesrat organisieren. Entwicklungs- | |
und Schwellenländer fordern ein, dass sie die Umsetzung der Menschenrechte | |
selbst bestimmen können. Vor allem lehnen sie vermeintlich humanitäre | |
Interventionen ab, mit denen die USA in den Irak einfallen, um dort | |
liberale Demokratien westlichen Zuschnitts und neoliberale | |
Wirtschaftssysteme zu etablieren. | |
In der Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam von 1990, die auf dem | |
islamischen Recht der Scharia basiert, ist beispielsweise die | |
Meinungsfreiheit eingeschränkt, und Frauen haben weniger Rechte als Männer. | |
Wie gehen Sie mit diesem konkurrierenden Konzept um? | |
Diese Erklärung hat das Königshaus von Saudi-Arabien initiiert. Ein | |
autoritäres, religiöses Regime will damit die eigene Macht stärken. | |
Herrschaftslogik wurde in Recht gegossen. | |
Was sagen Sie zu den Inhalten? | |
Ein Bestandteil der universellen Menschenrechte ist die Religionsfreiheit. | |
Diese muss aber mit den anderen Freiheiten koexistieren. Den Koran über die | |
übrigen Rechte zu stellen, geht deshalb nicht. Ein wesentlicher Sinn der | |
Menschenrechte besteht ja gerade darin, Freiräume für Aushandlungsprozesse | |
zwischen unterschiedlichen Meinungen und gesellschaftlichen Gruppen zu | |
schaffen. Die Schwächeren gewinnen damit Verhandlungsspielräume gegenüber | |
den Mächtigen. Diese Funktion darf durch die Definition der Menschenrechte | |
nicht eingeschränkt werden. Damit diese gewahrt bleiben, ist die Trennung | |
von Staat und Religion eine wesentliche Voraussetzung. | |
Wenn es Fortschritte bei der Umsetzung der Menschenrechte geben kann, so | |
kommt es sicherlich mitunter auch zu Rückschritten. Fällt Ihnen ein | |
Beispiel ein? | |
Der oberste Gerichtshof der USA hat kürzlich den Anwendungsbereich des | |
Alien Tort Claims Act erheblich eingeschränkt. Dieses Gesetz ermöglicht es | |
Ausländern, andere Nicht-US-Bürger wegen Menschenrechtsverletzungen, die | |
sie außerhalb der USA begangen haben, vor amerikanischen Gerichten zu | |
verklagen. | |
US-Gerichte konnten Weltjustiz spielen? | |
Aber auf eine positive Art. Beispielsweise kamen dadurch Folteropfer | |
lateinamerikanischer Diktaturen zu ihrem Recht. An solchen Fällen sieht | |
man: Juristische Auseinandersetzungen sind Teile größerer sozialer und | |
politischer Konflikte. Einerseits vollziehen sie Kämpfe nach. | |
Gerichtsprozesse können soziale Entwicklungen aber auch befördern. Die | |
Verhaftung des chilenischen Diktators Augusto Pinochet 1998 in London hat | |
beispielsweise die Aufarbeitung der Diktatur-Verbrechen in Chile und | |
Argentinien vorangebracht. Die Auschwitzprozesse im Deutschland der 1960er | |
Jahre lösten eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus aus. Die | |
Justiz reagiert nicht nur, sondern kann Fortschritt auch vorantreiben. | |
27 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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