# taz.de -- Fabrikbrand bei KiK-Zulieferer: 259 Opfer verlangen Schadensersatz | |
> KiK hat sich kaum um Missstände in seiner pakistanischen Zulieferfabrik | |
> gekümmert. Nun steht ein Pilotverfahren beim Landgericht Dortmund an. | |
Bild: Klage folgt: Die ausgebrannte Fabrik in Pakistan. | |
BERLIN taz | Muhammad Jabir hat seinen Sohn verloren. Er starb beim Brand | |
der Textilfabrik Ali Enterprises im September 2012 in der pakistanischen | |
Stadt Karachi. Nun verklagt Jabir den deutschen Textilhändler KiK auf | |
Schadensersatz und Zahlung eines Schmerzensgeldes von 30.000 Euro – ein | |
Präzedenzfall der hiesigen Justiz. | |
Der Berliner Anwalt Remo Klinger hat die Zivilklage am Freitag beim | |
Landgericht Dortmund eingereicht. Fälle wie diese kommen in der Regel nicht | |
vor deutsche Gerichte. Den Beschäftigten in den ausländischen | |
Zulieferfabriken deutscher Konzerne fehlen meist die rechtliche | |
Unterstützung und die finanziellen Mittel. Zusammen mit Klinger will die | |
juristische Bürgerrechtsorganisation ECCHR (European Center for | |
Constitutional and Human Rights) den Anspruch jetzt jedoch erstmals | |
durchfechten. | |
Wenn die Kläger Erfolg haben, könnten ähnliche Forderungen auch auf andere | |
deutsche Unternehmen zukommen. Laut Klageschrift produzierte Ali | |
Enterprises vornehmlich im Auftrag von KiK. Als die pakistanische | |
Textilfabrik vor zweieinhalb Jahren abbrannte, starben 259 Menschen. Zu den | |
Toten und Verletzten gehörten Angehörige der vier Kläger, die nun | |
stellvertretend für ihre Leidensgenossen die Klagen einreichen. | |
Die meisten Fenster der pakistanischen Fabrik waren vergittert, in die | |
oberen Stockwerke habe nur eine Treppe geführt, so Anwalt Klinger. Es | |
hätten unter anderem Feuermelder und Notausgänge gefehlt. Die meisten Opfer | |
erstickten am Rauch des Brandes. KiK wies die Anschuldigungen zurück. | |
## „Sie wollen vor allem Gerechtigkeit“ | |
Jabir hat bislang rund 11.000 Euro durch die Entscheidungen pakistanischer | |
Gerichte erhalten. Ein Teil davon stammte von KiK. Die Firma mit Hauptsitz | |
in Bönen, Nordrhein-Westfalen, stellte rund eine Million Euro zur | |
Verfügung, umgerechnet etwa 4.000 Euro pro Todesopfer. Kürzlich hat sie | |
weitere etwa 1.000 Euro pro Kopf für den Verdienstausfall eines Jahres | |
angeboten. | |
Den Hinterbliebenen der Toten und den beim Brand verletzten Arbeitern ist | |
das aber zu wenig. „Sie wollen vor allem Gerechtigkeit“, sagte | |
ECCHR-Juristin Miriam Saage-Maaß, die den Fall aufgearbeitet hat. Viele der | |
Opfer-Familien sind heute in finanzieller Not. Die beim Brand umgekommenen | |
Beschäftigten waren häufig die Haupternährer im Haushalt – so auch in der | |
Familie von Muhammad Jabir. | |
Eine Zahlung von 30.000 Euro pro Kopf sei gerechtfertigt, weil KiK seine | |
Sorgfaltspflicht verletzt habe, argumentiert Anwalt Klinger. Das deutsche | |
Unternehmen habe sich nicht ausreichend darum gekümmert, dass die | |
Arbeitssicherheit bei seinem pakistanischen Zulieferer gewährleistet war. | |
„Die Beklagte nahm ihre Verantwortung nicht wahr“, so Klinger. | |
## 1,6 Milliarden Euro Umsatz | |
Zwar hat KiK sich selbst Regeln gegeben, um die Zustände in den Fabriken zu | |
verbessern. Auch Ali Enterprises wurde mehrmals von Kontrolleuren im | |
KiK-Auftrag überprüft. An manchen Missständen wie den vergitterten Fenstern | |
änderte sich offenbar aber nichts. Anwalt Klinger sagt: „Die Mängel hätten | |
jedem sorgfältig prüfenden Auditoren auffallen müssen.“ Das deutsche | |
Textilunternehmen begrüßte die Klage, weil ihm an der juristischen | |
Aufarbeitung gelegen sei, sagte ein Firmenvertreter. | |
Die Vorwürfe der Kläger wies KiK aber zurück. Man habe Entschädigungen | |
gezahlt. „Außerdem ist KiK zu weiteren Hilfszahlungen im Sinne einer | |
Langzeitentschädigung bereit“, hieß es. Dass es dazu bisher nicht gekommen | |
sei, liege unter anderem an mangelnden Informationen seitens der | |
pakistanischen Organisation, die die Familien der Opfer vertrete. Mangelnde | |
Sorgfalt habe man sich nicht zuschulden kommen lassen, erklärte KiK. | |
Schließlich sei Ali Enterprises mehrmals überprüft worden. Laut den | |
Kontrollberichten hätten keine Fehler beim Brandschutz vorgelegen. Nach | |
Angaben von KiK war die Ursache der Katastrophe möglicherweise | |
Brandstiftung. Das könne auch erklären, warum die Notausgänge blockiert | |
waren. | |
2013 erwirtschaftete KiK einen Umsatz von knapp 1,6 Milliarden Euro, vor | |
allem mit dem Verkauf von Billigtextilien. Zum Gewinn tragen auch die | |
niedrigen Löhne in den Zulieferfabriken bei. Muhammad Jabirs Sohn verdiente | |
etwa 130 Euro pro Monat. Dem Bündnis für nachhaltige Textilien, das | |
Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) im vergangenen Jahr gegründet hat, | |
ist KiK nicht beigetreten. | |
Müller möchte erreichen, dass Produzenten und Händler mehr tun, um die | |
ökologischen und sozialen Bedingungen in ihren weltweiten Produktionsketten | |
zu verbessern. Unter anderem die Organisation ECCHR fordert schärfere | |
Gesetze, um beispielsweise die Sorgfaltspflichten hiesiger Unternehmen | |
strenger zu regeln und Klagen der Beschäftigten der Zulieferfabriken vor | |
deutschen Gerichten zu erleichtern. | |
13 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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