# taz.de -- „Recht auf Stadt“ fürs Bücherregal: „Rathaus ist irgendwann… | |
> Niels Boeing engagiert sich schon von Beginn an für die | |
> Recht-auf-Stadt-Bewegung, die jetzt einzuschlafen droht. Aber die Idee | |
> lebt, schreibt er in seinem Buch. | |
Bild: Um sie ist es stiller geworden: Recht-auf-Stadt-AktivistInnen, hier noch … | |
taz: Man hört in letzter Zeit wenig von Recht auf Stadt (RaS). Aber Sie | |
veröffentlichen Ihr zweites Buch – ist die Bewegung von der Straße ins | |
Bücherregal gewandert? | |
Niels Boeing: Nein, das würde ich nicht sagen. Also ins Bücherregal | |
vielleicht schon, aber in die Tagesschau jedenfalls nicht. Es stimmt, das | |
RaS immer wieder sporadische Aufwallungen hat und nochmal sichtbar ist, | |
aber nach meinem Eindruck ist der Drive raus. Ich find‘s schade, aber es | |
hat keinen Sinn, dem nachzujammern. | |
Ziehen Sie in Ihrem Buch Bilanz nach sechs Jahren RaS und Gängeviertel? | |
Schon, jedenfalls war mir das ein Bedürfnis. Vor einem Jahr hatte ich das | |
Gefühl, dass bestimmte Sachen nicht weiter diskutiert werden. Ich liebe es, | |
an der Theorie weiter zu denken. Manchmal ist mir das bei RaS zu | |
aktionistisch gewesen: „Da ist ne Baustelle, da gehen wir jetzt hin.“ Die | |
Parole, die 2009 ganz schön was bewirkt hat, ist in all den Jahren recht | |
diffus geblieben. Manche Diskussionen sind auch verplätschert. | |
Was ist das Beste, das aus der Bewegung hervorgegangen ist? | |
RaS ist ein sehr breites Spektrum, das ist für die linke Szene nicht | |
selbstverständlich. Gut ist auch, dass eine Menge Aktionsformate | |
reingekommen sind, die ich mit „situationistisch“ bezeichnet habe. Park | |
Fiction hat da einen starken Einfluss gehabt. Und das Gängeviertel war ja | |
auch eine andere Art der Besetzung. Da wurde überlegt: Wie kann man das | |
machen, dass es erst mal nicht aussieht wie eine Besetzung? Dass man erst | |
mal drin ist? Ein Gedanke: Kann man mit der Kunstfreiheit argumentieren? | |
Das Dritte ist, dass im Ausgangspunkt der Gentrifizierungskritik darauf | |
geachtet wurde, dass wir nicht über Sachen reden wie die „Eigenart eines | |
Viertels“ zu bewahren oder das „gute alte St. Pauli“ zu retten. Es wurde | |
mehr darauf geachtet, die Unterschiedlichkeiten auszuhalten. | |
Wurde RaS von der Vereinnahmung durch das System eingeholt? | |
In einer Weise schon: Du öffnest ein Diskursfeld, da geht’s zum Beispiel um | |
Leerstand, um Wohnen. Davon, dass sich die andere Seite nicht bewegt, | |
sollte man nicht ausgehen. Klar macht dann die SPD ihren Wahlkampf mit | |
Wohnungsbau. Wenn man in die Statistik guckt, ist das immer noch | |
Augenwischerei, weil immer noch mehr Sozialwohnungen wegfallen. Die anderen | |
nehmen das Thema und ziehen es zu ihren Bedingungen durch. Aber wenn du das | |
Gegen-Gedankenexperiment machst: Ohne RaS gäbe es vielleicht keine Soziale | |
Erhaltungsverordnung, vielleicht würden immer noch keine neuen Wohnungen | |
gebaut. Es würde nicht so ein Experiment wie die Planbude gemacht. | |
Bei der Planbude, die Vorschläge für den Neubau auf dem Areal der | |
Ex-Esso-Häuser gesammelt hat, hat RaS Zugeständnisse gegenüber der Stadt | |
gemacht. | |
Die Politik geht auf eine Bewegung zu und umgekehrt gehen die AktivistInnen | |
auf die Politik zu. Gerade jetzt finde ich es wichtig, das neu aufzureißen | |
und zu sagen: Es ist nicht nichts, wo wir stehen, aber das kann es noch | |
nicht sein. Eigentlich geht‘s schon ums Ganze. Und damit meine ich: Dass es | |
irgendwann kein Rathaus mehr gibt, keinen Senat mehr. Dass es kein | |
Privateigentum an Grund und Boden gibt. | |
Da sind wir ja noch nicht. Wo steht die Planbude auf dem Weg dahin? | |
Ich finde es erst mal gut, dass es sie gibt. Nicht gut wäre, wenn sie so | |
ein komisches Zugeständnis wäre: Bei der Rindermarkthalle seid ihr leer | |
ausgegangen, jetzt geben wir euch mal wieder was. Die Frage ist ja: Wer | |
plant? Die Architekten? Die Eigentümer? Oder gibt es für die, die irgendwo | |
wohnen, die Möglichkeit zu sagen: „Wir planen.“ Die Planbude ist eine | |
Antwort. Mit Sicherheit eine vorläufige. Aber wenn ich die Wahl gehabt | |
hätte zwischen Planbude oder nichts, würde ich taktisch sagen: Dann lass | |
erst mal die Planbude machen. | |
Wie stellen Sie sich denn die transformierte Stadt im Gegensatz zur | |
kapitalistischen Stadt vor? | |
Wenn man das Rätesystem weiter denkt, wäre es ja vorstellbar, dass es | |
Versammlungen gibt, auf einer kleinen Ebene, die sich pyramidenartig | |
zusammensetzen. Und bestimmte Themengruppen, wie jetzt bei der | |
Flüchtlingshilfe, organisieren zusammen Themen des Alltags. | |
Komplementär zum Staat? | |
Nein, das wäre dann im Idealfall der Staat. Den Staat, wie wir ihn jetzt | |
haben, gibt’s dann nicht mehr. Ich glaube nicht, dass es eine Zukunft ohne | |
eine Form von Staat gibt, es ist nur die Frage, ob er so sein muss, wie er | |
sich in den letzten 300 Jahren durch die Aufklärung herausgebildet hat. Ich | |
sehe eigentlich keine andere Chance, gewisse Hoheit über den Stadtraum zu | |
kriegen, wenn du diesem parlamentarischen System wie es heute ist, nicht | |
mal in Ansätzen etwas entgegensetzt. | |
Ab wann kann man von der befreiten Stadt reden? | |
Zwei notwendige Bedingungen müssten erfüllt sein: Dass es kein | |
parlamentarisches System und kein Eigentum an Grund und Boden gibt. Vorher | |
ist es nur eine Variation dessen, was wir jetzt haben. | |
21 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
Lena Kaiser | |
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