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# taz.de -- Streit um die Nachkriegsmoderne: Zurück zum Beton
> Yuppies und Hausbesetzer haben die Altbauwohnung salonfähig gemacht. Ist
> die Zeit nun reif für eine Rückkehr zur Moderne?
Bild: Hätte man früher nicht besetzt: Frappant-Gebäude in Altona
Hamburg taz | Vor dreißig Jahren, 1985, veröffentlicht Alexander Kluge das
Drehbuch zu seinem 27. Film: „Der Angriff der Gegenwart auf die übrige
Zeit“. Der Titel sei „ein vorläufiger Arbeitstitel“, schreibt Kluge, der
Film könnte auch heißen: „Das Kino und die Illusion der Stadt“. Es gehe um
individuelle Lebenswege, die sich – zufällig – überkreuzen; um Begegnungen
in der Großstadt, exemplarisch für das Schicksal der Menschheit am Ende des
von Unmenschlichkeit geprägten zwanzigsten Jahrhunderts, so Kluge. Er
notiert dazu: „Es gibt ein Versprechen, bestehend aus umbautem Raum. Dieses
Versprechen ist etwa 8.000 Jahre alt: die Großstadt.“
Im Film ist diese Großstadt Frankfurt am Main. Weiter heißt es: „In den
letzten Jahren waren unsere Großstädte im Umbau begriffen: U-Bahnen,
B-Ebenen, neue Stadtzentren, Fußgängerzonen werden errichtet. Dieser Umbau
ist für viele Menschen von der Illusion begleitet, dass er immer weiter
führt, solange bis für unseren menschlichen Geschmack passende Städte dabei
herauskommen, die dem Idol der vielgeschäftigen, zugleich wohnlichen Stadt
entsprechen. Die wirklichen Verhältnisse zeigen in dieser Richtung keinen
Ehrgeiz. Der Umbau der Städte wird demnächst endgültig sein. Wir werden mit
Städten, die so ähnlich sind wie die, die wir vor Augen haben, ins 21.
Jahrhundert eintreten.“
## Die Unheimlichkeit der Zeit
Was Alexander Kluge schreibt und zum Gegenstand seines Films macht – Thema
ist, und dies ist durchaus wörtlich zu verstehen, die Unheimlichkeit der
Zeit – stimmt und stimmt doch nicht; denn was Kluge fünfzehn Jahre vor der
Jahrtausendwende mutmaßte, kann fünfzehn Jahre nach der Jahrtausendwende
nicht bestätigt werden: Der Umbau der Städte ist noch immer nicht
abgeschlossen. Und ebenso wenig sind es die Illusionen, nach denen die
Vorstellungen vom Leben in der Großstadt bestimmt sind, wie sie in den
allgemeinen Images von Wohnen, Gemütlichkeit, Design und Einrichtung ihren
Ausdruck haben und seither als Reklamebilder die städtebaulichen Gestaltung
begleiten.
Seit den 1980er-Jahren beschränkt sich die Inszenierung des Privatlebens
nicht mehr auf das Arrangement des hübsch und behaglich zusammengestellten
Mobiliars, das von der Hausfrau im Kittel geputzt und entstaubt wird, damit
der Mann einen entspannten Feierabend mit Bier und Sportschau haben kann;
die Bilder von der fest gefügten Einheit der Knorr-, Maggi-, Rama-Familie
sind verschwunden zugunsten von eher chaotisch anmutenden Szenarien von
Patchwork-Familien, die sich auf engstem Raum ihren gemeinsamen
Lebensabschnitt mit einfachen Wegwerfmöbeln zustellen.
Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und so weiter sind offene Räume, weitgehend
bereinigt von den alten Insignien väterlicher Autorität und mütterlicher
Fürsorge. Auch die Kinder haben die Grenzen ihrer Zimmer überschritten: Die
Spielzeugwelten von Lego und Playmobil – übrigens so brachial-dumm
gegendert wie nie – reproduzieren die allgemeine Infantilisierung und
Verhübschung nachbürgerlicher Lebensweisen; sie gehören längst zum
integralen Bestand des posturbanen Interieurs. Zwar stellt sich Papi immer
noch ein bisschen blöd an beim Kochen, doch im Prinzip können und dürfen
alle alles in dem Bereich, für den Miete gezahlt wird oder den man sogar
als Eigentum erworben hat.
Alexander Mitscherlich hatte vor 50 Jahren, also 1965, bereits
prognostiziert, dass „die Kunst, zu Hause zu sein“ drohe, sich ins
Gegenteil zu verkehren: „ins Unvermögen, es zu Hause auszuhalten“; um die
Wohnkultur ist es nicht besser bestellt als um das, was im allgemeinen
Sinne als „whole way of life“, als Kultur bezeichnet wird. „Es gibt kein
richtiges Leben im falschen“ – zu erinnern ist daran, dass Adornos
berühmt-berüchtigte Sentenz aufs Wohnen bezogen war: „Eigentlich kann man
überhaupt nicht mehr wohnen. Die traditionellen Wohnungen, in denen wir
groß geworden sind, haben etwas Unerträgliches angenommen“, heißt es Mitte
der 1940er in den „Minima Moralia“. In einer vorherigen Fassung des
Manuskript hatte Adorno geschrieben: „Es lässt sich privat nicht mehr
richtig leben.“
## Das Gerüst ist weggebrochen
Das ist mitnichten eine Einschränkung des falschen Lebens auf die
sogenannte Privatsphäre, sondern charakterisiert, ganz im Gegenteil, mit
welcher Brutalität dem bürgerlichen Ideal, dass der Mensch sich seine Welt
menschlich einrichte, buchstäblich das tragende Gerüst weggebrochen ist.
Allerdings: Auch wenn das Ich nicht Herr im eigenen Haus ist, so darf es
doch in den Mietwohnungs- und Eigenheim-Idyllen wenigstens ein bisschen
Ich-Stärke simulieren. Jede in den Werbeklischees vom urbanen Leben
vorgeführte Situation wird glücklich-lächelnd vollzogen – und je mehr der
Handlungskomplex „Wohnen“ bloß noch auf das Dauergrinsen der Leute
reduziert wird, desto weniger Architektur, desto weniger umbauter Raum, ja
desto weniger Beton ist zu sehen. Die Städte und Bauten, in denen die
Menschen hausen, sind nur noch Kulisse, Attrappen der Skylines, nach denen
die Städte als Städte identifiziert werden: Fernsehtum, fünf Hauptkirchen,
CCH – das ist Hamburg.
War die Vorstellung vom Leben in der Stadt früher von der Immobilie
bestimmt (immobil = unbeweglich), so gehört zu der eigentlich statischen,
stabilen Vorstellung urbaner Lebensweisen die Beweglichkeit, Flexibilität,
Mobilität (Möbel, nach dem lateinischen „mobilis: beweglich). Der
Etui-Mensch, den Walter Benjamin als bürgerlichen Typus im 19. Jahrhundert
entdeckte – das ganze Leben wurde mit Stofftapete, Samtdecken und
Wolkenstore gleichsam wie Brille und Taschenuhr in ein Etui eingehüllt –,
ist ausgestorben. Wie das Wohnen selbst, sind auch die Wände, die es einst
– schützend – umschlossen, beweglich geworden, haben sich die Grenzen
zwischen Innen- und Außenarchitekturen aufgelöst.
„Wohnen“ ist heute weniger eine räumliche Funktion, sondern vielmehr eine
individuelle Haltung, die den architektonischen wie sozialen Raum überhaupt
erst herstellt: Das verlangt einen Individualitätstypus, der sich erst in
den 1980er-Jahren im Zuge der als postmodern bezeichneten
gesellschaftlichen Wandlungsprozesse herausbildete; ein
Individualitätstypus indes, der zunächst noch relativ speziell und disparat
konfiguriert war, sich aber vor allem dann seit den Nullerjahren mit den
alten, zumal familiären Rollenmodellen verkoppelte und allgemein wurde.
Zunächst war dieser Individualitätstypus durch zwei Extreme gekennzeichnet,
die sich allerdings in ihren Wohnvorstellungen ähnlich waren, wenn auch mit
vollkommen entgegengesetzter sozialer Orientierung: Das eine Extrem ist der
Yuppie, der Young Urban Professional, der Anfang der Achtziger die urbane
Bühne betritt; das andere Extrem ist der autonome Hausbesetzer.
Yuppie und Hausbesetzer richten sich in den Ruinen ein, wohnen in den
Architekturen, die als Leerstand durch Stadtflucht und die innerstädtischen
Umbaumaßnahmen übrig geblieben sind: verlassene Fabriken, unrentabler
Altbau. Yuppie und Hausbesetzer bevölkern dieselben Sanierungsgebiete in
der sogenannten Kernstadt; zwar tun sie das in ihrer sozialen Konfiguration
mit allerhand Konflikten, gleichzeitig aber in der Ausgestaltung und der
Einübung der individuellen Lebensweise weitgehend in aller Ruhe (nämlich
wesentlich abgekoppelt von den mittlerweile nivellierten Lebensweisen, die
sich mit der kleinbürgerlichen Angestelltenkultur in den 1970ern
manifestierten): Bis in die ersten Jahre des 21. Jahrhunderts konnte
ausprobiert werden, welche Musik man hört, welche Kleidung modisch ist,
welche Drogen gut sind und wie man sich einrichtet; also insgesamt: wie
solche Lifestyles designt werden.
Daraus sind Lebensentwürfe entstanden, mit denen in den letzten zehn Jahren
schließlich klassische bürgerliche Sozialtypen reaktiviert und für die
aktuellen Anforderungen optimiert werden konnten – einmal davon abgesehen,
dass die konservativen wie progressiven Rebellen von einst ihren Weg zurück
ins ordinäre, stupide und trostlose Familienleben städtischer Prägung
gefunden haben. Was sich daraus für Stadt- und Stadtteilentwicklungen
ergeben hat, wird seit einigen Jahren unter dem Schlagwort
„Gentrifizierung“ diskutiert.
## Eingerichtet in Ruinen
Die Architektur für Hausbesetzungen ist in der Regel der leer stehende,
zudem meist vom Zerfall, gelegentlich auch vom Abriss bedrohte Altbau. Die
Häuser an der Hamburger Hafenstraße, aber auch Pinnasberg, Klausstraße,
Schröderstift und – bereits seit 1970 kollektiv besetzt – das Wohnhaus in
der Haynstraße 1 im Stadtteil Eppendorf, schließlich aber auch das Gebäude
der „Roten Flora“ und der Gängeviertel-Komplex sind dafür mehr als
exemplarisch: In den Resten der Architektur des bürgerlichen Zeitalters
versuchen zumeist junge Leute das Experiment einer antibürgerlichen
Lebensweise. Hier gibt es wenigstens den Platz, der in den Blöcken des
sozialen Wohnungsbaus fehlt. Entscheidend ist, dass das nicht nur die
Architektur einzelner Gebäude betrifft, sondern die Neuordnungsmöglichkeit
ganzer Straßen und sogar Stadtteile: St. Pauli, Schanzenviertel, Eimsbüttel
und auch – damals noch – Barmbek verfügten immerhin über eine
Infrastruktur, die nur angeeignet oder neudeutsch gesagt: neu bespielt
werden musste.
Postmodern war dieser Experimentierwille, sich sein Leben selbst zu
gestalten und damit „Wohnen“ neu zu definieren, insofern, als er sich
explizit von der modernen Architektur distanzierte: Was Alexander
Mitscherlich als die „Unwirtlichkeit unserer Städte“ bezeichnete,
reduzierte sich jetzt auf die Kritik am Beton in jeder Form: „Lieber
Instandbesetzen als kaputt Besitzen!“ wurde ergänzt von der Parole „Schade,
dass Beton nicht brennt!“. Mit der Ablehnung des Betons war ein Bruch mit
dem modernen Bauen vollzogen, entschiedener und entscheidender als es die
Architektur der Postmoderne selbst machte.
## Stahlbeton und „Das Kapital“
Dass es spezifische Formen des urbanen Lebens gibt, wird seit dem Ausgang
des 19. Jahrhunderts diskutiert; Stahlbeton wird 1867 als Patent
angemeldet, im selben Jahr veröffentlicht Karl Marx den ersten Band von
„Das Kapital“. Das moderne Leben in den Städten ist von Anfang an mit Beton
gestaltet, die funktionelle Stadt, die Le Corbusier in der Charta von Athen
1933 entworfen hat, ist selbstverständlich eine Siedlung aus Beton;
beziehungsweise, wie es später, ab den 1940er-Jahren, heißt, Béton brut.
Ohnehin ist die Moderne bautechnisch seit Louis Sullivan (“Form follows
function“) durch den Beton bestimmt. Überdies galt Beton recht früh schon
als leicht zu beschaffendes, günstiges Material, mit dem auch eine
sozialistische Utopie architektonisch verwirklicht werden konnte, und zwar
im Großmaßstab: die Bauhaus-Siedlung Törten, Halle-Neustadt, auch Brasilia
sind dafür die Beispiele; spätestens seit den 1970ern wusste man allerdings
auch: Es sind keine guten Beispiele!
Wenn man nun in Hamburg die Esso-Häuser oder das Frappant-Gebäude
verteidigt, kann es nicht ernsthaft um die Qualität dieser Architektur
gehen; wohlwollend wären die Versuche, für den Erhalt zu kämpfen, politisch
als Erinnerungen an die alte Planungsmacht sozialistisch gesinnter
Architekten zu interpretieren. Tatsächlich geht es banal erst einmal um
nicht mehr als die Verteidigung gewohnter und bewährter – wenn auch nicht
gelungener, geschweige denn glücklicher – Lebenszusammenhänge im Stadtteil:
Auch aus dem falschen Leben will man sich nicht vertreiben lassen. Und der
Beton, der mittlerweile verteidigt wird, ist ja rein bauhistorisch auch
Altbau, kann also architektonisch in ein Stadtteil-identitäres „Wir“
integriert werden.
Sowieso hat man dem Beton eigentlich auch nichts entgegenzusetzen. Die
genossenschaftlichen Wohnprojekte, die seit Ende der 1990er in Hamburg
errichtet wurden, sind allesamt Neubauten in Betonbauweise,
selbstverständlich klimaneutral und energiesparend, und das heißt vor
allem: hässlich, einfallslos, mit Dämmplatten aus Styropor und mit Rauputz
verkleidete „Komfortgreuel, die unsere technischen Mittel hervorzubringen
erlauben“ (Mitscherlich noch einmal, 1965).
Dann doch lieber zurück zum Beton.
6 Jul 2015
## AUTOREN
Roger Behrens
## TAGS
Design
Recht auf Stadt
Stadtentwicklung
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Niels Boeing engagiert sich schon von Beginn an für die
Recht-auf-Stadt-Bewegung, die jetzt einzuschlafen droht. Aber die Idee
lebt, schreibt er in seinem Buch.
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Im Kunst- und Designkontext mag es immer ein Faible für diesen Baustoff
gegeben haben. Im städtebaulichen Mainstream hatte es Beton schwer.
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