# taz.de -- Zurück zum Beton: Material des Fortschritts | |
> Im Kunst- und Designkontext mag es immer ein Faible für diesen Baustoff | |
> gegeben haben. Im städtebaulichen Mainstream hatte es Beton schwer. | |
Bild: Ein Baustoff, der spaltet: Waschbeton, wie er auch in der Hamburger Groß… | |
Bevor es hier genau 7.693 erratische Zeichen (mit Leerzeichen) um das | |
utopische Potenzial des lange verpönten Baustoffes Waschbeton gehen soll | |
(so ein Thema kann sich nur die taz ausdenken) muss ich etwas beichten: Ich | |
habe mein Leben lang vom Bauhaus geträumt, aber meist in stuckverziertem | |
Altbau gewohnt. Das mag schizophren klingen, aber die Schizophrenie gehört | |
zur Moderne halt dazu wie die schönen aber völlig unbrauchbaren Salz- und | |
Pfefferstreuer Max und Moritz von Wilhelm Wagenfeld. Das vorab. | |
Ich bin aufgewachsen in Bremerhaven, einer Stadt mit vielen Betonfassaden. | |
Sie trotzen dem rauen Nordseewind wie der latent schlechten Laune ihrer | |
Bewohner. Das mag nicht jeder schön finden. Mittlerweile wurde natürlich | |
viel Glas und Stahl hinzugefügt. Aber diese Fassaden kamen mir immer wie | |
die sehr lebendige Metapher eines städtebaulichen und damit | |
gesellschaftlichen Prinzips vor, dass man schlicht als demokratisch | |
bezeichnen kann. | |
Im Luftkrieg des Zweiten Weltkriegs dem Erdboden gleichgemacht, in den | |
40er- und 50er- Jahren wiederaufgebaut, wurde die Stadt vor der | |
gedanklichen westdeutschen Restauration der 80er-Jahre noch mit ein paar | |
bedeutenden Solitären beschenkt. Vor allem mit dem Deutschen | |
Schifffahrtsmuseum vom Bremerhavener Jungen Hans Scharoun, seinem letzten | |
bedeutenden Bau. | |
Da lange Zeit das Geld fehlte, diese Architekturen falsch zu sanieren oder | |
gleich abzureißen, kann man in Bremerhaven noch eine in weiten Teilen | |
intakte Spätmoderne beobachten: Ob nun die Wohnanlagen der Neuen | |
Heimat-Siedlung Bürgerpark-Süd an der Bremerhavener Peripherie oder den | |
Museumsbau am Deich. Neben dem typischen Klinker war Beton hier immer das | |
natürliche Material der Wahl. Und das nicht nur aus Notwendigkeit. | |
## Keine Insignien der Herrschaft | |
Beton war der Baustoff der noch jungen, Bonner Republik wie sie Wolfgang | |
Koeppen in seinem Roman „Das Treibhaus“ schon 1953 im Untergehen begriffen | |
sieht. Eine Zeit der Selbstfindung und Demut, in der jegliche Insignien der | |
Herrschaft suspekt und die Ideale des Bauhaus noch einmal einen letzten | |
Schein werfen konnten. In einer späteren Suhrkamp-Edition sieht man auf dem | |
Treibhaus Cover bezeichnend das filigran geschwungene Treppenhaus der | |
Oberschule Bietigheim von Karl Gonser. Es ist kein Zufall, dass die | |
definierenden Beton-Bauten dieser Epoche öffentlich waren. Ob nun die | |
Akademie der Künste in Berlin, das Staatstheater Kassel oder eben das | |
Schifffahrtsmuseum. | |
Ich habe mein Abitur am Oberstufenzentrum Geschwister Scholl gemacht. Die | |
Scholl liegt gleich neben dem Bolzplatz, auf dem Bremerhaven 93 fast einmal | |
Deutscher Fußballmeister geworden sein soll. So die Legende. Auch das | |
klingt utopisch. „Die Scholl“ glich von außen einer verschachtelten | |
Trutzburg aus Waschbeton. Innen aber öffnete sie sich zu einem schwebenden | |
Raum, der zwar weniger aufwendig, aber doch genau so offen und | |
fortschrittlich wirkte wie Hans Scharouns High-End-Modernismus ein paar | |
Kopfsteinpflasterstraßen weiter. | |
## Materialität und Metaphern | |
Die Materialität eines Gebäudes und die Metaphern, die ein Raum aufruft, | |
tun etwas mit den Menschen, die hier leben und arbeiten. Es mag im | |
Nachhinein albern klingen, aber eingefasst vom da schon ruinösen Waschbeton | |
der Scholl-Schul-Fassade konnte sich so etwas wie linke Jugendkultur und | |
fortschrittliche Pädagogik einfach besser entfalten als in einem | |
neo-klassizistischen Schulbau mit Prunkfassade. Weil man sich in diesem Bau | |
auf Augenhöhe wähnt, weil der Respekt vor der Institution nicht alleine aus | |
ihrer Physis und Ornamentik, sondern durch die Menschen entsteht, die in | |
ihr wirken und ihr Leben einhauchen. Das ist die Antithese zum deutschen | |
Untertanengeist. Dass die Schule nun womöglich notwendiger-, aber eben auch | |
tragischerweise außen mit Dämmstoff saniert wurde, ist eine Pointe des | |
Fortschritts – vom Point of View des Engels der Geschichte aus gesehen. | |
Sicher ist, dass Siedlungen wie Solitäre mit Wasch- und Sichtbetonfassade | |
in Deutschland generell lange Zeit geschmäht und wenn es ging, gleich | |
abgerissen wurden. Auch das hat nicht nur ästhetische, sondern auch | |
kulturelle Gründe. Als Signifikanten eines heruntergewirtschafteten, | |
sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat-Ideals passten sie weder ins | |
Selbstverständnis der kühlen 80er-, noch der aufgeregten 90er-Jahre. Auch | |
wenn die Punkavantgarde, wie die Solinger Band S.Y.P.H., schon früh gegen | |
jedwede Juso- und Falken-Lagerfeuerromantik angrölte und lustigerweise | |
forderte: | |
„Da ist der Mensch noch | |
Mensch, | |
Da gibts noch Liebe & Glück, | |
Zurück zum Beton (…), | |
Keine Vögel, Fische. Pflanzen, | |
Ich will nur im Beton tanzen.“ | |
Die Umkodierung von uncool auf cool, weil es alle anderen gerade uncool und | |
trist finden, ist in diesem Fall so geschickt wie hellsichtig. Heute | |
arbeiten Architekten wie Peter Zumthor, Daniel Libeskind, Rem Koolhaas und | |
viele jüngere äußerst eloquent mit B eton als Material zur Gestaltung | |
elaborierter Fassaden. Ältere Strukturen dagegen werden erhalten. Ein | |
Beispiel in Berlin: die so morbide wie spektakuläre St.-Agnes-Kirche in | |
Kreuzberg des Architekten Werner Düttmann, die der Galerist Johann König | |
erst vor Kurzem aufwendig zu einem Tempel für die Kunst saniert hat. Es | |
kommt eben darauf an, so ein anderer alter Spruch über Beton, was man | |
daraus macht. | |
## Faible für Beton | |
Es mag im Kunst- und Designkontext immer einen Faible für Beton gegeben | |
haben. Im städtebaulichen Mainstream hatte es die Spätmoderne aber lange | |
schwer. Trotz einem Regierungsviertel aus Sichtbeton: Das Ideal der | |
steinernen Fassade und der geschlossenen Blockgestaltung, so wie es nicht | |
nur in Berlin nach der Wende bis zum Stadtschloss durchexerziert wurde, ist | |
ein anti-modernistisches und auch antidemokratisches. Den Fassaden dieser | |
im Modus der reinen Repräsentation stehenden Stadt wird nicht nur der | |
Beton, sondern auch der öffentliche Raum überdeckt. Das mag eine Ästhetik | |
sein, von der man bessere Postkarten drucken kann, zu einer pluralistischen | |
Gesellschaft passt sie nicht. Zurück zum Beton also auch hier. Und | |
tatsächlich lässt sich in ihm, siehe den Berliner Club Berghain, viel | |
besser tanzen! | |
Die Frage, warum man das Moderne so schön findet, aber wenn‘s hart auf hart | |
kommt doch lieber im Altbau wohnen möchte, ist nicht leicht zu beantworten. | |
Womöglich ändert sich hier auch gerade etwas in der Mentalität jüngerer | |
Menschen, denen der Altbau auch immer als Statussymbol galt. | |
Dazu noch eine letzte Beobachtung: Erst neulich hat mich ein Arbeitstag | |
nacheinander in zwei völlig gegensätzliche Wohnungen geführt. Die erste war | |
die unheimlich schöne und aufgeräumte, reich verzierte Altbauwohnung im | |
Prenzlauer Berg. Darin stand nicht viel mehr als das minimale Regalsystem | |
606 von Dieter Rams und der Tisch, an dem Adorno, Horkheimer und Alexander | |
Kluge früher im Frankfurter Institut für Sozialforschung gestritten haben. | |
Die zweite war eine Neubauwohnung im Hansaviertel, anlässlich der | |
Internationalen Bauausstellung 1957 von Oscar Niemeyer errichtet. Ein | |
reiner Betonsolitär, der, umgeben von einem Park, auf Stelzen Regelrecht zu | |
schweben scheint und dessen Balkon in den Bäumen verankert zu sein schien. | |
Von hier sah man nichts als das Grün der Blätter und den blauen Himmel. | |
Es mag eine schwer belegbare Behauptung sein, aber die Sehnsucht nach | |
solchen Lebensräumen, wie dem im Hansaviertel, scheint mir das Lebensgefühl | |
einer kommenden Generation besser zu treffen als Parkett und Stuck. Das hat | |
vielleicht mit Mobilität zu tun, mit einem neu gedachten „weniger ist | |
mehr“, mit einer Re-Politisierung der Lebensführung und einem wieder | |
geweckten Bewusstsein für das Gerechte und Kollektive. | |
So könnte das Erbe von Moderne und Spätmoderne wieder aus dem Museum zurück | |
ins Leben geholt und neu verhandelt werden. Es geht zurück zum Beton. Und | |
das ist, zumindest in diesem Sinne, erfreulich. | |
21 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Ruben Donsbach | |
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