# taz.de -- Hansaviertel: Leben im Experiment | |
> Gerade hat Berlin seine Bauausstellung abgesagt. Kein gutes Zeichen - | |
> denn vor 55 Jahren hat die damalige Ausstellung den Städtebau | |
> revolutioniert. Die Bewohner des so entstandenen Hansaviertels in | |
> Tiergarten leben auch heute sehr gern in der radikalen Moderne. | |
Bild: Alles hübsch hier in der Reihe: Still aus Ofir Feldmans Film „Wir Siem… | |
„Reißt es ab!“, fordern die einen – „Erklärt es zum Weltkulturerbe!�… | |
verlangen die anderen. Das Hansaviertel polarisiert, noch immer. Heute, zum | |
55. Geburtstag der „Interbau 1957“, Berlins erster Internationalen | |
Bauausstellung nach dem Zweiten Weltkrieg, hat sich die Waage wieder einmal | |
zugunsten der vielen Betonklötze inmitten des Tiergartens geneigt. Eine | |
Adresse in den Architekturen und im Design der Nachkriegsmoderne gilt als | |
cool. Man wohnt nicht einfach am Hansaplatz, sondern hier zu leben ist | |
schick und zeugt von einer Haltung. Schließlich handelt es sich bei den | |
Bauten um Zeugnisse der Zeitgeschichte, die so berühmte Architekten wie | |
Walter Gropius, Oscar Niemeyer oder Alvar Aalto realisierten. | |
Berlin ist für Mieter und Wohnungsuchende teuer geworden. Vor ein paar | |
Jahren, als das Hansaviertel noch als „Rentnerpark“ oder „Bausünde“ | |
verunglimpft wurde, die schleunigst abgerissen gehöre, gab es hier viel | |
Platz. Jetzt, nach Sanierung und Umbau vieler Gebäude, ist das einstige | |
Lehrstück vom sozialen und günstigen Wohnen zum teuren Quartier geworden. | |
Immer mehr Mietwohnungen werden in Eigentum umgewandelt. Für einen | |
Arne-Jacobsen-Bungalow von 1958, 150 Quadratmeter groß, „eine Oase – | |
schick, elegant, detailgetreu renoviert“, muss man über 1,5 Millionen Euro | |
bezahlen. 32 Quadratmeter im Hochhaus „Giraffe“ sind für 110.000 Euro zu | |
haben. | |
Dass diese Preise selbst junge Familien nicht abhalten, sich hier | |
niederzulassen, hat Gründe: Man schaut ins Grüne, hat Wiesen und | |
Spielplätze statt grauer Wohnblocks, Straßen und Hinterhöfe. Auch die | |
Schrecken anderer Großsiedlungen – Dimension, Lage an der Peripherie, | |
Leerstand und Verwahrlosung – kennt das Hansaviertel nicht. Seine baulichen | |
und sozialen Qualitäten, seine überschaubare Größe, sein „Zuhause“ für | |
2.400 Bewohner und die Zentrumsnähe navigierten das Viertel in andere | |
Richtungen. | |
„Die Stadt von Morgen“, wie das IBA-Projekt 1957 genannt wurde, um den | |
unbedingten Modernismus und die Abgrenzung von der historischen Stadt, der | |
NS-Architektur und der Ostberliner Stalinallee zu demonstrieren, war ein | |
Zeichen für alles Neue, Progressive, das höchstens Kontinuitäten des Neuen | |
Bauens der 1920er Jahre für sich reklamierte. Zugleich war und ist das neue | |
Viertel ein Modell des Wiederaufbaus und der Schaffung von Wohnraum in | |
Berlin. Um Letzteres wäre es auch bei der gerade aus Geldmangel abgesagten | |
„IBA 2020“ gegangen, deren Ziel es war, Möglichkeiten neuer Bau- und | |
Siedlungsformen in der Stadt und am Stadtrand auszuloten. Um sozialen | |
Fragen zu begegnen, Fragen der Gentrifizierung und der Verdichtung der | |
umkämpften Berliner Innenstadt, dazu hätte diese IBA wichtige Impulse geben | |
können. Nun müssen neue Modelle jenseits der Ausstellung gefunden werden. | |
Das Experiment Hansaviertel sehen Denkmalexperten heute als so bedeutsam | |
an, dass es in die Liste der Unesco-Welterbestätten aufgenommen werden | |
soll. Den Wunsch, in einem lebendigen Architekturmuseum leben zu wollen, | |
wird dies nur noch verstärken. | |
5 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Rolf Lautenschläger | |
## TAGS | |
Siedlungsbau | |
Stadtentwicklung | |
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