# taz.de -- Nach dem Mietenkompromiss in Berlin: Aktivisten bleiben skeptisch | |
> Die Einigung mit dem Senat ist für viele Miet-AktivistInnen zwar ein | |
> Erfolg. Doch ein neues Volksbegehren könnte schon bald kommen. | |
Bild: Für viele sozial schwache Mieter sieht es in Berlin nicht rosig aus. Das… | |
An der Holzhütte der Initiative Kotti & Co am Kottbusser Tor sieht es Ende | |
der Woche aus wie immer: Drei Frauen sitzen bei einem Tee zusammen, ein | |
Plakat ruft zur nächsten Demo auf. Moment – ist mit dem Kompromiss zwischen | |
Senat und der Initiative Mietenvolksentscheid, an der Kotti & Co maßgeblich | |
beteiligt ist, nicht „das Beste für die Mieterinnen und Mieter“ schon | |
erreicht, wie es Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) formuliert | |
hat? Können sich die mietenpolitischen Gruppen nicht zurücklehnen, weil sie | |
ein Umdenken in der Wohnungspolitik erzwungen haben? | |
Nein, sagt Ulrike Hamann. „Wir sind erstaunt, dass die Politik sich so weit | |
bewegt hat“, so die Mitbegründerin von Kotti & Co. „Aber wir haben auch | |
gelernt, dass vieles, das zunächst gut aussieht, sich später als | |
Mogelpackung entpuppen kann.“ Es sei noch nicht klar, wer wie stark von dem | |
Gesetzentwurf profitiere – und ob dieser tatsächlich so vorgelegt wird, wie | |
vereinbart wurde. „Möglicherweise steckt der Dissens im Detail – deswegen | |
wird es keine endgültige Einigung geben, so lange wir den Entwurf nicht | |
kennen“, sagt Hamann. | |
## Die Skepsis bleibt | |
Für Kotti & Co, eine vor vier Jahren aus der nachbarschaftlichen Vernetzung | |
am Kottbusser Tor entstandene Initiative, würde es bei einem Volksentscheid | |
um ihr Kernanliegen gehen: Verbesserungen für die MieterInnen im sozialen | |
Wohnungsbau. Unermüdlich hat die Gruppe in den letzten Jahren demonstriert, | |
Gespräche geführt, Wissen erarbeitet und die Nachbarschaft mobilisiert. | |
Neben viel Aufmerksamkeit ist die mit dem Senat vereinbarte | |
Mietenbegrenzung die erste handfeste Verbesserung, die die Initiative | |
erwirken konnte: Die Kaltmiete für SozialmieterInnen mit einem | |
Haushaltsnettoeinkommen unter 1.400 Euro soll maximal 30 Prozent des | |
Einkommen betragen. Ist sie höher, zahlt das Land. | |
Dass der angestrebte Mietenvolksentscheid die Politik so vor sich | |
hertreiben konnte, liegt auch an der stadtpolitischen Expertise seiner | |
Initiatoren: von Kotti & Co über den einstigen hessischen | |
Grünen-Abgeordneten Jan Kuhnert hin zum Sprecher Rouzbeh Taheri, einst | |
Wortführer der Berliner WASG. Doch längst nicht alle Ziele sind erreicht, | |
gerade für die MieterInnen am Kotti: „Das Problem der extrem hohen | |
Betriebskosten bleibt bestehen“, betont Hamann. | |
Der Wohnungsgesellschaft Deutsche Wohnen, Eigentümerin vieler Häuser, wirft | |
die Initiative schon lange vor, die MieterInnen über steigende | |
Betriebskosten verdrängen zu wollen. Die Sonderregelung zur Entlastung bei | |
hohen Betriebskosten (siehe Kasten rechts) greift bei diesen Wohnungen | |
nicht, weil die Kosten hier nicht auf mangelnde energetische Sanierung | |
zurückzuführen sind. | |
Ein weiterer Knackpunkt aus Sicht der Bewegung ist die Frage der | |
Mitbestimmungsrechte für MieterInnen. Zwar sieht die Vereinbarung vor, dass | |
im Aufsichtsrat der landeseigenen Unternehmen erstmals auch die MieterInnen | |
einen Sitz haben sollen. Wie viel Bedeutung dieser in dem neunköpfigen | |
Gremium haben wird, ist aber offen. „Durch ihre Minderheitenrolle wird die | |
MieterInnenvertretung keine Chance haben, die Geschäfte der Unternehmen | |
wirklich zu beeinflussen“, kritisiert Hannah Schuster von der | |
Interventionistischen Linken, ebenfalls Teil des Bündnisses. „Der Senat | |
behält alles in der Hand. MieterInnen und soziale Bewegungen sollen nur | |
minimal beteiligt werden.“ | |
Auch jenseits des Entwurfs: Die Skepsis gegenüber parlamentarischer Politik | |
sitzt tief in der stadtpolitischen Bewegung. Einige Gruppen beteiligten | |
sich gar nicht erst an dem Bündnis – zu reformistisch seien die | |
Forderungen, zu beschränkt der Gestaltungsspielraum. Dennoch gab der | |
Volksentscheid der gesamten Bewegung Aufwind, nicht zuletzt durch den | |
immensen Erfolg bei der Unterschriftensammlung, die sichtbar machte, wie | |
viele Menschen das Thema umtreibt. „Wenn es wirklich zu einer Einigung | |
kommt, bleibt natürlich die Frage, ob der Wille der vielen Unterstützer | |
damit umgesetzt ist“, sagt Susanne Torka von der Initiative „Wem gehört | |
Moabit“, einer weiteren Gruppe im Bündnis. | |
Dass dieser Aufwind, sollte der Entscheid zurückgezogen werden, ein | |
schnelles Ende findet, glaubt Ulrike Hamann nicht. „Der Entscheid war immer | |
nur ein Zwischenschritt für uns“, sagt sie. Denn die weitergehende | |
Forderung nach einer Rekommunalisierung des Wohnungsmarkts bleibt bestehen | |
– und auch das Mittel Volksentscheid könnte schneller wieder kommen, als es | |
der SPD lieb ist: „Wir haben noch einige Gesetzesentwürfe zu anderen | |
Mieten-Themen in den Schubladen“, sagt Hamann. Einen zweiten | |
mietenpolitischen Volksentscheid, womöglich mit einem Startschuss schon im | |
kommenden Jahr, hält sie für nicht unwahrscheinlich. | |
Dieser Text ist Teil des Themenschwerpunkts in der Wochenendausgabe der | |
taz.berlin. Ab Sonnabend in Ihren Briefkasten und am Kiosk. Darin außerdem: | |
Ein Essay über die Möglichkeiten direkter Demokratie und die Frage, was die | |
Opposition im Wahlkampf plant. | |
21 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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