# taz.de -- Verfassungsschutzchef Maaßen: Der angezählte Unruhestifter | |
> Der Verfassungsschutzchef provozierte mit der Anzeige gegen | |
> netzpolitik.org bewusst einen Warnschuss – ohne Rücksicht auf die | |
> politischen Folgen. | |
Bild: In der Netzpolitik-Affäre derzeit untergetaucht: Verfassungsschutzchef H… | |
Berlin taz | Das Interview ist schon ein paar Tage alt, der | |
Verfassungsschutz aber stellte es erst am Mittwoch auf seine Internetseite | |
– auf dem Höhepunkt der Netzpolitik-Affäre. Was er, der | |
Verfassungsschutzpräsident, davon halte, dass „immer wieder vertrauliche | |
Informationen über die Arbeit der Nachrichtendienste“ im Internet landeten, | |
erkundigt sich der Fragesteller, der Beamtenverband für Bundesbehörden. „Da | |
sprechen Sie in der Tat gravierende Vorgänge an, die mich sehr | |
beschäftigen“, greift Maaßen die Vorlage gern auf. | |
Dann grollt er: „Terroristische Netzwerke oder uns feindlich gesinnte | |
Staaten brauchen gar nicht mehr groß zu spionieren, wenn sie hochsensible | |
Informationen aus den deutschen Nachrichtendiensten einfach in | |
Internetportalen nachlesen können.“ Das, so Maaßen, sei „ein fast | |
alltäglicher Skandal“, der unsichtbar bleibe. | |
Es ist die jüngste Unmutsbekundung von Maaßen über Durchstecherei. Aber bei | |
Weitem nicht die erste. Mit seiner Anzeige gegen die Netzpolitik-Artikel | |
versuchte der Verfassungsschutzchef nun den Warnschuss – und brachte eine | |
Affäre ins Rollen. Sie hat Generalbundesanwalt Harald Range das Amt | |
gekostet. Justizminister Heiko Maas (SPD) strauchelte, Innenminister Thomas | |
de Maizière (CDU) ist angezählt. Nun erreicht die Kritik auch Maaßen. Der | |
Warnschuss wird zum Bumerang. | |
Markus Beckedahl, einer der beiden Netzpolitik-Journalisten, gegen die | |
ermittelt wird, nennt den Verfassungsschutzchef den „eigentlich | |
Schuldigen“, der alles „in Gang gesetzt“ habe. Linkspartei-Chef Bernd | |
Riexinger fordert seine Entlassung: Druck auf unliebsame Journalisten | |
auszuüben sei mit dessen Amt „nicht vereinbar“. Auch die Grünen stellen | |
Maaßens „Amtsverständnis“ infrage, seine Anzeige sei „abwegig“. | |
Von dem obersten Verfassungsschützer selbst ist derzeit wenig zu hören. Die | |
Vorwürfe blieben „unwahr“, sagte ein Sprecher des Amtes am Donnerstag nur. | |
Man habe nie Anzeigen gegen Journalisten, sondern nur gegen unbekannt | |
gestellt. Aber Maaßen weiß: Ausgestanden ist die Sache noch nicht. | |
## Landesverrat? Nie die Rede von gewesen | |
Im Frühjahr hatte Maaßen Anzeige erstattet, weil das Blog netzpolitik.org | |
den Haushaltsplan des Verfassungsschutzes von 2013 und Pläne für eine | |
75-köpfige Internet-Taskforce veröffentlicht hatte. Von Landesverrat, heißt | |
es aus dem Amt, sei aber nie die Rede gewesen. Soll heißen: Es war Range, | |
der die Sache so hoch hängte. Nur stimmt das nicht ganz. | |
Denn als die Bundesanwaltschaft die Anzeige in Zweifel zog, lieferte Maaßen | |
im Mai auf Anfrage ein Gutachten nach. Es gehe um „Staatsgeheimnisse“, | |
hielt dieses fest. Veröffentlicht wurden „hochkonspirative Methoden“, aus | |
denen ausländische Dienste „Rückschlüsse“ ziehen könnten. Aus dem | |
Dienstgeheimnis wurde nun Landesverrat. Dieser Vorwurf richtete sich aber | |
nicht mehr nur gegen die Informanten, sondern auch gegen die | |
Veröffentlicher – die Netzpolitik-Journalisten. | |
Maaßen nahm das in Kauf, mindestens. Schon 2012, als im Bundestag der | |
Untersuchungsausschuss zu den NSU-Morden tagte und Medien vertrauliche | |
Dokumente zitierten, ärgerte er sich. Dann kam die NSA-Affäre, wieder | |
wurden interne Akten öffentlich. Maaßen warnte Abgeordnete, beklagte in | |
Interviews, das Vertrauen zu den US-Partnern habe „gelitten“. | |
Als Maaßen im Mai in Berlin ein Symposium seines Amtes eröffnete, hielt er | |
eine Brandrede. Er habe den Eindruck, „bestimmte Kreise“ wollten die | |
deutschen Dienste „sturmreif schießen“. Nicht alles sei ein Skandal, „nur | |
weil es den Medien unbekannt war“. Ein Skandal sei vielmehr, wenn „der | |
geheime Wirtschaftsplan“ seines Amtes abgedruckt werde. Nur wenige im Saal | |
verstanden, worauf sich dieser Verweis bezog. Maaßen aber hatte da bereits | |
seine Anzeigen wegen der Netzpolitik-Artikel gestellt. | |
## Das Image wieder richten | |
Seine Berliner Rede hatte einen Ton, den man von Maaßen bisher nicht | |
kannte. Stets nüchtern, aber zielbewusst, tritt der Jurist auf, der 21 | |
Jahre im Bundesinnenministerium arbeitete. 2012 wurde er | |
Verfassungsschutzchef. Da stand das Amt maximal ramponiert da: Maaßens | |
Vorgänger war wegen der NSU-Mordserie zurückgetreten. Der Geheimdienst war | |
trotz etlicher V-Leute den untergetauchten Rechtsterroristen nicht auf die | |
Schliche gekommen, Mitarbeiter hatten Akten geschreddert. | |
Maaßen wollte das Image wieder richten. Er versprach eine Reform und | |
Transparenz, wollte „Vertrauen zurückgewinnen“. Die Opposition zweifelte: | |
Der „empathielose Technokrat“ stehe nicht für einen Neustart. | |
Dieser Ruf war vor allem Maaßens Rolle um den deutschtürkischen | |
Guantánamo-Häftling Murat Kurnaz geschuldet. Obwohl die USA Kurnaz | |
unschuldig sahen, verhinderte ein Gutachten von Maaßen, damals Leiter des | |
Referats für Aufenthaltsrecht im Innenministerium, seine Rückkehr: Kurnaz | |
habe durch die lange Haft seine Aufenthaltsgenehmigung verwirkt. | |
Es war eine Geste der Loyalität für seinen Vorgesetzten, Innenminister Otto | |
Schily (SPD). Sie zeigte aber bereits, dass Maaßen weiß, wie man Paragrafen | |
zielgerichtet einsetzt. Sie zeigte aber auch, was ihm bisweilen fehlt: | |
politisches Gespür. Als die NSA-Affäre hochkochte, nannte Maaßen den | |
Whistleblower Edward Snowden einen „Verräter“. Bei den NSU-Verbrechen sah | |
er Fehler bei Polizei, Staatsanwaltschaften und den Thüringer | |
Verfassungsschutz, nicht aber bei seinem Bundesamt. Und nun die | |
Netzpolitik-Affäre. | |
## Linke: Verfassungsschutzreform gescheitert | |
Maaßen sieht sich bei alldem nur als Dienstherrn in der Pflicht, als erster | |
Verteidiger seines Amtes. Nützen tut es ihm nicht. Dass Maaßen reagiert, | |
wenn Vertrauliches aus seinem Amt sickert, ist das eine. Dass er aber nicht | |
kalkuliert, was es politisch bewirkt, wenn er dafür die größtmögliche | |
Attacke wählt, das andere. Die Linke erklärte am Donnerstag die | |
Verfassungsschutzreform für gescheitert. „Wenn es sie überhaupt gegeben | |
hat“, sagt Fraktionsvize Jan Korte. | |
Noch steht Maaßens Vorgesetzter, Innenminister de Maizière, hinter ihm. | |
Eine Amtsgarantie aber ist das nicht. Sollte die Affäre noch anschwellen, | |
wird er eher Maaßen gehen lassen, als dass es für ihn selbst eng wird. | |
Verloren hat Maaßen schon jetzt. Die Netzpolitik-Journalisten stehen | |
gestärkt und sind bekannter denn je. Die Bundesanwaltschaft wird sich sehr | |
genau überlegen, ob sie in solch einem Fall noch mal ermittelt. Und das von | |
Maaßen erhoffte Vertrauen für sein Amt, es rückt wieder in weite Ferne. | |
6 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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