| # taz.de -- Debatte Jobchancen für Flüchtlinge: Die dritte Tür | |
| > Die Zugänge zum Arbeitsmarkt müssen flexibler werden. Das wollen auch die | |
| > Unternehmen, doch die Bürokratie hinkt noch hinterher. | |
| Bild: Hello, how goes it so? Mitarbeiter in den Jobcentern können bislang nich… | |
| Es klang traurig, als es um die Jobmarktperformance dieser Zuwanderer ging. | |
| Sie gelinge diesen Leuten „weniger gut“, hieß es in einer Studie. Die | |
| Arbeitslosigkeit sei hoch, die Erwerbstätigkeit gering. Das war vor fast | |
| zehn Jahren. Doch das Blatt hat sich gewendet für die Spätaussiedler. Jetzt | |
| ist diese Gruppe „in hohem Maße auf dem deutschen Arbeitsmarkt aktiv“, | |
| heißt es in einem Forschungsbericht des Bundesamtes für Migration und | |
| Flüchtlinge. | |
| Das Beispiel der deutschstämmigen Aussiedler aus Osteuropa zeigt: | |
| Integration braucht Zeit. Das gilt erst recht, wenn Zugewanderte | |
| außereuropäische Flüchtlinge sind, die berufliche Abschlüsse haben, welche | |
| hier erst mal nicht verwertbar sind, die zu lange in Heimen leben müssen | |
| und daher sehr viel weniger Chancen haben, die deutsche Umgangssprache so | |
| schnell zu lernen wie die Russlanddeutschen vor einigen Jahren. | |
| [1][Laut einem Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung | |
| (IAB)] sind Einwanderer, die in den vergangenen 20 Jahren als Asylbewerber | |
| nach Deutschland kamen und jetzt einen politischen Schutzstatus haben oder | |
| durch Heirat oder sonst wie einen Weg zum Hierbleiben fanden, zu 55 Prozent | |
| erwerbstätig. | |
| Das ist zwar ein geringerer Prozentsatz als die Deutschen, von denen drei | |
| Viertel arbeiten, aber immerhin. „Insgesamt kann davon ausgegangen werden, | |
| dass sich die Asylbewerber und Flüchtlinge erst schrittweise, das heißt | |
| mittel- und langfristig, in den Arbeitsmarkt integrieren“, sagt | |
| IAB-Migrationsexperte Herbert Brücker. | |
| ## Die Fachkräftelücke | |
| Das heißt aber auch, dass man nicht erwarten sollte, Flüchtlinge könnten | |
| mal eben irgendeine Fachkräftelücke in Deutschland füllen. Gerade | |
| diejenigen, die aus Staaten mit Krieg und Bürgerkrieg oder gewaltsamer | |
| politischer Verfolgung kommen, also Afrika, dem Nahen und Mittleren Osten, | |
| sind häufig schwerer zu integrieren in den deutschen Arbeitsmarkt, wie die | |
| Beschäftigungsstatistik zeigt. Dies liegt an fehlenden oder unpassenden | |
| Berufsabschlüssen, an mangelnden Sprachkenntnissen oder auch an der | |
| Traumatisierung durch Gewalterfahrungen. | |
| Migranten aus den Ländern des Westbalkans hingegen, etwa Serben und | |
| Mazedonier, haben sehr viel höhere Beschäftigungsquoten in Deutschland. | |
| Oftmals hatten sie aufgrund der Gastarbeitergeschichte schon einen Bezug zu | |
| Deutschland. Asylbegehren von Leuten aus dem Westbalkan, die ein Drittel | |
| aller Anträge ausmachen, werden zu Recht meist abgelehnt, weil in diesen | |
| Ländern zwar die Diskriminierung von Minderheiten und Armut herrscht, aber | |
| kein Krieg oder eine vergleichbare gewaltsame Verfolgung. Ohne | |
| Differenzierung geht es nicht, das wird immer die hässliche Seite jeder | |
| Migrationspolitik bleiben. | |
| ## Leichter die Spur wechseln | |
| Dennoch muss es mehr Zugänge nach Deutschland geben. Es ist richtig, dass | |
| in dem gerade verabschiedeten Gesetz zum Bleiberecht Migranten mit Duldung, | |
| die schon viele Jahre hier leben und erwerbstätig sind, eine | |
| Aufenthaltserlaubnis bekommen. Junge Flüchtlinge mit Duldung, die eine | |
| Berufsausbildung begonnen haben, sind künftig etwas besser vor Abschiebung | |
| geschützt, allerdings ist die Altershöchstgrenze von 21 Jahren im neuen | |
| Gesetz viel zu niedrig. | |
| Es muss leichter werden, die „Spur zu wechseln“, also jenseits der | |
| bisherigen legalen Arbeitsmigration oder eines Schutzstatus im | |
| Asylverfahren durch „eine dritte Tür“ über eine Duldung zur | |
| Aufenthaltserlaubnis zu kommen, wenn eine Ausbildungsmöglichkeit oder ein | |
| Job gefunden sind. | |
| Genau diese Verbesserungen möchten auch die Betriebe, etwa im Handwerk, die | |
| sich für ihre Auszubildenden, die als Flüchtlinge kamen, eine dauerhafte | |
| Aufenthaltserlaubnis wünschen. So weit geht das neue Bleiberecht aber | |
| nicht. Dass die ersten Verbesserungen nun auch noch in einem Gesetzespaket | |
| stehen, das gleichzeitig die Abschiebung von Flüchtlingen mit schlechter | |
| Bleibeperspektive erleichtert, ist politisch besonders perfide. | |
| ## Jobvermittlung muss sich den Flüchtlingen anpassen | |
| Mehr als 80 Prozent der Flüchtlinge, die über das Mittelmeer kommen, | |
| stammen aus Ländern mit starker oder sehr starker politischer Verfolgung, | |
| heißt es in dem IAB-Bericht. Wenn man die Integration ernsthaft | |
| vorantreiben will, ist klar, dass Flüchtlinge aus Eritrea, Syrien und | |
| anderen Staaten, die höchstwahrscheinlich einen Schutzstatus bekommen, | |
| erheblich mehr Jobförderung erhalten müssen als bisher. | |
| Nicht nur die Flüchtlinge müssen sich dem hiesigen Arbeitsmarkt, auch die | |
| Jobvermittlung sollte sich den Flüchtlingen anpassen: Die Mitarbeiter in | |
| den Jobcentern sollten wenigstens genug Englisch können, um sich mit den | |
| Migranten zu verständigen. Das ist bisher nicht der Fall. | |
| Unternehmen haben Interesse an den Migranten, auch an denjenigen, die keine | |
| mit dem hiesigen System vergleichbaren Berufsabschlüsse vorweisen können. | |
| Für sie wären „niedrigschwelligere Angebote“ zur | |
| „Qualifikationsfeststellung“ angebracht, sagt Brücker. Denn der Weg über | |
| eine mehrjährige Berufsausbildung im deutschen dualen System kann steinig | |
| sein. | |
| ## Early Intervention | |
| In einem Zwischenbericht des IAB zum Projekt der frühzeitigen | |
| Arbeitsmarktintegration, „Early Intervention“ weisen die Autoren daraufhin, | |
| dass mangelnde Deutschkenntnisse eines der größten Hindernisse seien bei | |
| der Integration, auch weil es oft an der alltäglichen Sprachpraxis fehlt. | |
| Man stelle sich vor, man würde als deutscher Flüchtling in ein arabisches | |
| Land kommen, ohne die geringsten Kenntnisse in arabischer Sprache und | |
| Schrift, ohne Kontakt zur arabisch sprechenden Bevölkerung, kaserniert in | |
| einem Heim, und sollte dann durch ein paar Stunden Sprachkurs pro Tag nach | |
| einem Jahr so weit sein, einem arabischen Berufsschulunterricht in Sprache | |
| und Schrift zu folgen und auf dem Jobmarkt konkurrenzfähig zu sein. Es wäre | |
| sehr schwer. | |
| Mitunter hilft Qualifikation dabei wenig. Bei den Spätaussiedlern hatten | |
| manche Akademiker sogar besonders hohe Arbeitslosenquoten. | |
| Drei Millionen Spätaussiedler wurden integriert. Mit 400.000 Asylanträgen | |
| rechnen die Städte und Gemeinden in diesem Jahr, so viel gab es schon mal | |
| Anfang der 90er Jahre. 4,3 Millionen Hartz-IV-Empfänger leben hier und die | |
| Wirtschaft in Deutschland boomt. Man braucht Geduld. Ein Grund zur | |
| Panikmache besteht nicht. | |
| 10 Jul 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://doku.iab.de/aktuell/2015/aktueller_bericht_1508.pdf | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Dribbusch | |
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