# taz.de -- Umverteilung von Flüchtlingen: Dehnbare Flüchtlingsrechte | |
> In Bremen entscheidet jedes einzelne Sozialamt anders darüber, ob es | |
> „umzuverteilenden“ Flüchtlingen Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt oder | |
> nicht. | |
Bild: Gleiche Aktenlage, unterschiedliche Bewertung - zumindest bei den Bremer … | |
BREMEN taz | Flüchtlinge, die von Bremen aus in andere Bundesländer | |
„umverteilt“ werden sollen, müssen damit rechnen, weder Geld noch eine | |
Krankenversicherung zu bekommen. Abhängig ist das laut Sozialbehörde „vom | |
jeweiligen Einzelfall“, laut Rechtsanwalt Jan Sürig allerdings vom jeweils | |
zuständigen Sozialamt. | |
Die syrische Familie Kasem zum Beispiel lebt bei ihren Verwandten in | |
Hemelingen, sollte aber nach Schleswig-Holstein „umverteilt“ werden (taz | |
berichtete). Dagegen hat ihr Anwalt Rechtsmittel eingelegt. Beim | |
zuständigen Sozialamt schien der Fall allerdings längst entschieden zu | |
sein: Kasems waren für sie bereits „umverteilt“. Lediglich eine | |
Einmalzahlung in Höhe von 290 Euro für insgesamt fünf Personen sowie eine | |
Krankenversicherung „aus humanitären Gründen“ bis Ende Juni gestand man | |
ihnen beim Sozialzentrum Hemelingen zu. Erst nach Veröffnentlichung des | |
Falles und nach massivem Einwirken ihres Anwaltes auf die Ausländerbehörde | |
war das Sozialamt bereit zu zahlen. | |
Die 77-jährige Irina S. floh im Frühjahr mit ihrem Enkelsohn aus der | |
Ukraine nach Deutschland. Seit April lebt sie bei ihrer Tochter in Bremen. | |
S. ist pflegebedürftig, kann schlecht laufen, wurde vor Kurzem von der | |
Polizei aufgegriffen, weil sie orientierungslos durch die Stadt irrte. Ihre | |
Tochter und zwei weitere, bereits in Bremen lebende Enkelkinder pflegen und | |
kümmern sich um sie. S. und ihr Enkel sollen ebenfalls „umverteilt“ werden, | |
nach Mecklenburg-Vorpommern. Aber auch sie wollen in Bremen bleiben, bei | |
der einzigen in Deutschland lebenden Verwandtschaft. Auch ihr Anwalt hat | |
Rechtsmittel gegen die geplante Umverteilung eingelegt. Das zuständige | |
Sozialamt, diesmal handelt es sich um das Sozialzentrum Süd, gewährt S. | |
bisher weder Hilfe zum Lebensunterhalt noch eine Krankenversicherung. | |
„Solange ein Verfahren dauert, ist normalerweise noch gar nichts | |
beschlossen“, sagt Jan Sürig, Fachanwalt für Ausländerrecht. „Das | |
Grundgesetz sieht das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz vor – das | |
heißt, den Menschen muss so viel Zeit bleiben, bis ein Gericht über ihren | |
Fall entschieden hat.“ Und in dieser Zeit müssten die Leute Hilfe zum | |
Lebensunterhalt bekommen. Wie die Sozialämter mit diesen Fällen umgingen, | |
sei in Bremen höchst unterschiedlich. „In Walle beispielsweise gewährt das | |
Amt in vergleichbaren Fällen ohne Probleme die nötige Hilfe zum | |
Lebensunterhalt.“ | |
Bernd Schneider, Sprecher der Sozialbehörde, weist das zurück: „Die | |
Sozialämter wenden allesamt Recht und Gesetz an“, sagt er. Warum die einen | |
keinerlei Hilfe bewilligen, die anderen ein bisschen und die nächsten | |
wiederum gar nichts, könne laut Schneider „daran liegen, dass eingelegte | |
Rechtsmittel nicht automatisch aufschiebende Wirkung haben“. Soll heißen: | |
In vielen Fällen muss ein Flüchtling, der „umverteilt“ werden soll, trotz | |
Einspruchs durch seinen Anwalt unverzüglich Bremen verlassen und sich dort | |
melden, wohin er „verteilt“ wurde – und auch nur dort hat er dann ein Rec… | |
auf Sozialleistungen. Seinen Rechtsstreit müsste er dann am zugewiesenen | |
Ort weiterführen. In welchen Fällen die aufschiebende Wirkung gewährleistet | |
ist und in welchen nicht, vermag Schneider freilich nicht zu beantworten, | |
„dafür müsste ich ganz genau die konkreten Einzelfälle kennen“. | |
„Quatsch“, sagt Sürig dazu. „Das muss er nicht und es handelt sich auch | |
nicht um Einzelfälle. Das Grundrecht auf Gleichbehandlung bedeutet immer: | |
gleichartige Fälle, weil es niemals hundertprozentig identische Fälle gibt | |
– und die mir bekannten Fälle sind gleichartig und bei unterschiedlichen | |
Sozialämtern völlig unterschiedlich behandelt worden.“ | |
Es gebe schlichtweg keine Behördenlinie, behauptet Sürig: „Und die | |
Sozialbehörde will den einzelnen Ämtern nicht reinreden, weil sie Angst vor | |
Unruhe im Haus hat.“ Es sei typisch, dass mit „Einzelfällen“ argumentiert | |
würde, „und notfalls wird dann eben auf Bundesgesetze verwiesen, gegen die | |
man auf Landesbene nichts tun könne.“ Dabei gebe es, sagt er, immer | |
Ermessensspielräume – die das eine Amt nutze, das andere eben nicht. Und | |
die Sozialbehörde, die halte sich raus. | |
6 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Simone Schnase | |
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