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# taz.de -- Ohne Aufarbeitung: Ein Ort der Ausgrenzung
> Das Oldenburger Freifeld Festival muss abgesagt werden, weil sich die
> Veranstalter mit dem Eigentümer nicht über die Ausrichtung einigen
> konnten
Bild: Ein Festivalvergnügen, auf das die Oldenburger in diesem Jahr verzichten…
Oldenburg taz | Heil- und Pflegeanstalt, Langzeitpsychiatrie, Unterkunft
für Asylsuchende: Das ehemalige Kloster Blankenburg am Rande der Stadt
Oldenburg war schon immer ein Ort der Ausgrenzung. Das sollte sich mit der
dritten Ausgabe des Freifeld Festivals ändern. Der Trägerverein wollte der
bedrückenden Geschichte kreativ begegnen. Programm- und Geländeplanung
standen, Künstler und Bands waren eingeladen. Nun ist das Festival
überraschend abgesagt, weil sich die Organisatoren und die Oldenburger
Immobilien-Firma Schwerdt als Eigentümer nicht über die Ausrichtung einigen
konnten.
Die Bedenken seien Anfang des Monats während der regulären
Organisationsgespräche aufgetaucht, so Festival-Sprecherin Katharina
Wisotzki „Der Eigner bekam Angst, dass das Festival das Gelände in ein
schlechtes Licht rückt.“ Geplant war, die belastende Geschichte des
Geländes in Teilen des Programms zu thematisieren.
Im 13. Jahrhundert als Dominikanerinnenkloster gegründet, waren dort ab
1786 psychisch kranke, behinderte, aber auch pflegebedürftige und
gebrechliche Menschen untergebracht. Nach Blankenburg seien diejenigen
gekommen, deren Anblick und Umgang man den Bürgern der Stadt nicht zumuten
wollte, schreibt Autor Ingo Harms in seinem 2011 erschienenen Buch
„Biologismus“. Isolation statt Inklusion. Und noch mehr, denn viele
Bewohner starben an Vernachlässigung, Misshandlung und an Hunger.
Im Herbst 1941 wurden 220 der damals 285 Bewohner deportiert und der
Euthanasie zugeführt, darunter auch Kinder und Jugendliche. Wie viele
überlebten, konnte laut Harms nicht geklärt werden. 1956 pachtete die
städtische Nervenklinik Bremen das Gelände und richtete eine
Langzeitpsychiatrie mit Isolierstation ein.
## Lebendige Bibliothek
Ein großer Teil der Patienten wurde zwangseingewiesen und entmündigt. Erst
1988 sind die letzten Bewohner im Zuge der Psychiatriereform ausquartiert
und in betreuten Wohngemeinschaften in Bremen untergebracht worden. Von
1990 bis 2011 lebten im Kloster schließlich asylsuchende Migranten. Eine
Zeit, in der die Unterkunft in der Kritik stand, weil die Menschen dort
schlecht untergebracht und versorgt worden sein sollen.
„Das alles wollten wir sichtbar machen“, erzählt Max Wolfs vom Pro
gramm-Team. So sollten die Besucher in der „lebendigen Bibliothek“ mit
Menschen sprechen können, die schon einmal auf dem Klostergelände gelebt
haben. In der Installation „Black Box“ des Dokumentarfilmers Ralf Jesse
sollten außerdem Filme zu sehen sein, die Menschen nach ihrer Abschiebung
selbst gedreht haben.
„Wir wollten einen Impuls setzen, auch weil die Themen Inklusion und
Ausgrenzung aktuell diskutiert werden“, sagt Vivien Schmidt, zuständig für
die Workshop-Planung. Diese Form der Auseinandersetzung war für den
Eigentümer wohl doch zu offensiv. Beide Seiten versuchten noch zu retten,
trafen sich zum Gespräch.
Doch zeitgleich wurde öffentlich, dass das ehemalige Kloster wieder als
Flüchtlingsunterkunft dienen könnte. Laut niedersächsischem
Innenministerium laufen die Verhandlungen für eine Erstaufnahmestelle für
600 Flüchtlinge. Das hätte der Ausrichtung des Festivals noch mehr
Aktualität verliehen. Das war ein Grund für das Team, umso mehr am Programm
festzuhalten.
Den Eigentümer habe die Nachricht aber wohl unter Druck gesetzt, vermutet
Katharina Wisotzki. Er habe zwar weiterhin das Festival gewollt, aber nicht
in der geplanten Form. Vor diesem Hintergrund ließ sich keine Lösung mehr
finden. „Für uns ist so eine Veranstaltung nur möglich, wenn wir unser
Programm unabhängig kuratieren können”, sagt Katrin Windheuser von der
Festivalleitung. „In diesem Punkt können wir als soziokulturelles Festival
nicht kompromissbereit sein und einzelne Programmpunkte streichen.
## „Einige Künstler sind solidarisch“
Nun müssen die Ehrenamtlichen die Absage organisieren und sich einen
Überblick über die finanziellen Verluste verschaffen. Der Verein muss durch
den Wegfall von Ticketverkäufen und Fördergeldern erst einmal haushalten.
Nach Angaben von Katharina Wisotzki wird er das aber wohl abfangen können:
„Wir hatten noch nicht alle Verträge geschlossen und einige Künstler sind
solidarisch und wollen kein Ausfallhonorar.“
Unklar ist nun, wie die Zukunft des Freifeld Festivals aussieht. Sind erst
einmal die Wogen geglättet, will das Team einzelne Programmpunkte trotzdem
in Oldenburg realisieren. Dafür will der Verein sein Netzwerk aktivieren
und mit anderen Oldenburger Veranstaltern zusammenarbeiten. Parallel dazu
muss für das Freifeld 2016 eine neue Heimat her. „Das ist eine
Herausforderung, weil wir neben freiem Gelände auch Gebäude brauchen“, sagt
Lars Kaempf von der Festivalleitung.
„Außerdem wollen wir Orte erschließen, die sonst unzugänglich sind. Wir
werden sehen, wo wir in Oldenburg noch solche Freiräume finden.“
30 Jun 2015
## AUTOREN
Manuela Sies
## TAGS
Blankenburg
Oldenburg
Adolf Hitler
Digitale Medien
Minderjährige Geflüchtete
Flüchtlinge
Kulturzentrum
Dokumentartheater
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