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# taz.de -- Kulturzentrum für alle: Angepackt statt abgerissen
> Vor gut einem Jahr rettete die Genossenschaft Polygenos das "Poly-Haus"
> in Oldenburg. Seitdem kämpft sie darum, es als Treffpunkt für alternative
> Stadtkultur zu erhalten.
Bild: Fremdköper in der Oldenburger Innenstadt: das Poly-Haus. Im zukünftigen…
OLDENBURG taz | Zwischen Pferdemarkt und Lappan gelegen, hat das
„Poly-Haus“ in Oldenburg einen prominenten Standort. Aber so richtig will
sich das Gebäude nicht in seine Umgebung aus modernen Neubauten einfügen.
Die Fassade ist verwittert. Überreste alter Efeuranken durchziehen das
Mauerwerk wie graue Adern. Ja, das Poly-Haus ist in die Jahre gekommen.
Aber trotzdem ist es ein belebter Ort. Das Gebäude ist seit einem Jahrzehnt
ein Treffpunkt für die alternative Szene der Stadt. Vor allem durch den
Club Polyester im Erdgeschoss des Gebäudes, von dem es auch seinen Namen
hat. Mit seinem Kulturprogramm aus Konzerten, Lesungen und Slam-Poetry ist
er zu einem festen Anlaufpunkt geworden. Die Gäste mögen ihr liebevoll
genanntes „Poly“, und damit auch das Haus.
Entsprechend groß war dann im Herbst 2013 auch das Echo, als es hieß:
Gebäude sanierungsbedürftig, zu hohe Kosten, Verkauf. „Investoren waren
sofort da, aber die hätten das Haus abgerissen und neue Fassaden
hochgezogen“, erzählt Nicole Gast. Sie gehörte zu den ersten Unterstützern,
die sich damals um Polyester-Inhaber Stefan Mühlhaus zusammentaten. „Ein
Verkauf hätte das Aus für den Club und Rausschmiss für die Mieter, zum
Beispiel das Freifeld Festival, bedeutet.“ Bezahlbaren Raum in
vergleichbarer Lage zu finden, wäre schwierig gewesen, so Gast. Auf lange
Sicht wäre also ein Stück Stadtkultur verloren gegangen. Deshalb war den
Unterstützern schnell klar, dass das Haus erhalten werden muss. „Uns ging
es nicht nur darum, den Club und den vorhandenen Mietraum zu retten“,
erklärt Nicole Gast. „Wir haben damals schon langfristig gedacht und hatten
die Idee, hier eine Plattform für alternative Stadtkultur zu schaffen.“ Das
Poly-Haus sollte zu einem Kulturraum werden, in dem sich Menschen
austauschen, Ausstellungen, Diskussionen und kreative Projekte stattfinden
können.Und dafür würden sie die Hilfe vieler Menschen benötigen, wussten
die Unterstützer. Der Kaufpreis lag bei 275.000 Euro, die sie innerhalb von
vier Monaten aufbringen mussten.
Ein ehrgeiziges Ziel, das die Unterstützer ganz im Geiste ihrer
Zukunftsvision vom Poly-Haus organisierten wollten: basisdemokratisch und
aus der Gemeinschaft heraus. Also gründeten sie innerhalb kürzester Zeit
die Genossenschaft „Polygenos Kulturräume eG“ und begannen, öffentlich um
Genossen und Genossinnen zu werben, mit deren Hilfe sie den Kaufpreis
aufbringen wollten. „Diese Zeit war wie ein Krimi. Optimismus und Zweifel
haben sich abgewechselt. Niemand von uns konnte sich zurücklehnen“,
erinnert sich Nicole Gast, heute Polygenos-Sprecherin. Die Gründung und
Arbeit einer Genossenschaft sei für alle neu gewesen. „Wir hatten vorher
locker im Team gearbeitet. Und auf einmal mussten Organe benannt und
rechtliche Vorgaben eingehalten werden.“ Zu diesen internen Prozessen sei
der Zeitdruck gekommen.
Polygenos startete öffentliche Aufrufe, informierte in der Presse und auf
Veranstaltungen im Polyester, um den Betrag aufzubringen. Ein
Genossenschaftsanteil ist für 100 Euro zu haben, jeder darf so viele
erwerben, wie er möchte. Das Engagement fruchtete: Über 800 Menschen aus
ganz Deutschland erwarben Anteile, teils allein, teils gemeinsam. Damit
ermöglichten sie tatsächlich den Kauf des Poly-Hauses. Am 27. März 2014
bekam die Genossenschaft offiziell die Schlüssel. „Das war großartig“,
erinnert sich Nicole Gast. „Als wir starteten, wussten wir, dass wir etwas
Großes lostreten. Aber mit dieser Dynamik hat keiner gerechnet.“
Seit diesem Erfolg ist ein Jahr vergangen, das Polyester ist an Ort und
Stelle geblieben. Im Club finden regelmäßig auch Polygenos-Veranstaltungen
wie Afterwork-Partys statt. Auch die anderen Mieter aus der Kreativbranche
sind geblieben. Die öffentliche Präsenz sei nach dem Hauskauf zwar etwas
zurückgegangen, das Engagement der Polygenos-Mitglieder und -Unterstützer
aber nicht, meint Nicole Gast: „Wir arbeiten gut und eng zusammen.“ Dieses
Engagement braucht Polygenos auch, denn um die Grundidee vom alternativen
Kulturraum zu verwirklichen, muss erst einmal viel am Haus getan werden.
Während der erste Stock schon vor dem Kauf weitgehend instand und vermietet
war, sind nun die übrigen Räume, die Dachterrasse und die Fassade dran.
Erste Renovierungsarbeiten sind schon gestartet und zum Teil auch
abgeschlossen. So gibt es im zweiten Stock mittlerweile einen komplett
ausgestatteten Raum für die Treffen der Polygenos-Arbeitsgruppen. Hier
entwickeln sich ganz im Sinne der Grundidee außerdem erste Ansätze von
Vernetzung und Begegnung: Oft treffen sich Mitglieder für spontane
Kreativkurse, zum Beispiel Nähen oder Siebdruck. Weitere Arbeiten sind voll
im Gange. „Wir machen so viel wir können selbst, zum Beispiel Wände
einreißen und andere renovieren, wir erneuern Böden und bauen Möbel“, sagt
Nicole Gast.
Auf diese Weise entsteht ein Kultur- und Kommunikationsraum. Dieser soll
flexibel und zu fairen, bezahlbaren Preisen vermietet werden können, zum
Beispiel für Ausstellungen oder Seminare. Das Wissen für die Arbeiten kommt
aus den Reihen der GenossInnen. Sie arbeiten durchweg ehrenamtlich für
Polygenos. Einige Aufträge, zum Beispiel für Elektrik und die Dämmung der
Fassade, müssen aber doch an Fachleute vergeben werden. Die aktuelle
Sanierungsphase wird daher trotz aller Eigenleistung rund 60.000 Euro
kosten. Der Gesamtbetrag wird sich auf 160.000 Euro belaufen. Das Geld kann
Polygenos bisher noch nicht aufbringen. „Wir brauchen daher mehr Menschen,
die sich mit uns engagieren“, so Gast. Also müssen mehr Genossen und
Genossinnen her. Für diese Unterstützung muss nun erneut Öffentlichkeit
hergestellt werden. „In der Gründungsphase herrschte eine andere Dynamik“,
sagt Nicole Gast. „Aber wir glauben an unsere Idee. Wenn ich mir für das
zweite Jahr etwas wünschen könnte, dann das wir unsere Räume fertigstellen
und mit Leben füllen können.“
## Wer Interesse an Polygenos hat, kann sich beim Tag der offenen Tür am
26. April vor Ort ein Bild machen. Es gibt Live-Musik, eine Ausstellung und
ein Kinderprogramm. Näheres unter:
26 Mar 2015
## AUTOREN
Manuela Sies
## TAGS
Kulturzentrum
Oldenburg
Blankenburg
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