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# taz.de -- Doku-Theater zu polnischen Pflegekräften: Der Dienst am Deutschen
> Die Werkgruppe 2 bringt unter dem Titel "Polnische Perlen" die
> Geschichten osteuropäischer Pflegerinnen auf die Bühne des Staatstheaters
> Braunschweig.
Bild: Erkunden Biografien akribisch und emotional: Julia Roesler, Insa Rudolph …
BRAUNSCHWEIG taz | Nach dem Einsatz in Afghanistan haben Soldaten ihnen
erzählt vom Leben und Sterben dort, vom Erleben und Erleiden des Krieges
außerhalb und innerhalb des Menschen. Vom Alltag am Markt der bezahlten
Liebesdienste berichteten Sex-Arbeiterinnen, vom harten Leben unterwegs
Mitglieder aus Zirkus-Familien. Und im Zentrum der ersten größeren Arbeit
der [1][Werkgruppe 2] aus Göttingen stand das Grenzdurchgangslager
Friedland.
Am Deutschen Theater in Göttingen, Partner der freien Gruppe in den
vergangenen Jahren, wechselt im Sommer der Intendant – Mark Zurmühle geht,
Erich Sidler kommt. Und die Werkgruppe 2 nimmt Abschied auf Zeit – und
wechselt für zwei Jahre ans [2][Staatstheater Braunschweig], das für die
Kooperation zwei Jahre Mittel aus dem „Doppelpass“-Programm der
Bundeskulturstiftung erhält.
Wie bei vielen innovativen Theater-Projekten steht am Beginn die Ausbildung
an der Universität Hildesheim. Hier wie im ähnlich orientierten Gießener
Studiengang entsteht regelmäßig strukturell neues Verständnis von Stück und
Spiel als Material im Theater.
Julia Roesler, Regisseurin der Werkgruppe 2, hat mit dem Hildesheimer
Rüstzeug den Weg der Recherche beschritten – sie und die Dramaturgin Silke
Merzhäuser erkunden akribisch und sehr emotional die Biografien der
Menschen, deren Schicksal sie interessiert: Derzeit in Braunschweig zum
Beispiel die Geschichten osteuropäischer Pflegekräfte, die unverzichtbar
geworden sind in der Betreuung alter und hilfloser Menschen in deutschen
Haushalten. „Polnische Perlen“ ist das Ergebnis.
Nach aktuellem Stand wird zum Beispiel Polen die europäische
Gemeinschaftswährung, den Euro, erst in den 20er-Jahren dieses Jahrhunderts
einführen wollen und können; ganz zu schweigen von den Neu-Europäern in
Bulgarien und Rumänen. Noch also lohnt die Arbeitsreise ins wohlhabende
Deutschland, legal oder nicht – wo sich die Kosten für die Pflege
hilfsbedürftiger Familienmitglieder längst nicht mehr alle Haushalte
leisten können.
## Arbeit unter erschwerten Bedingungen
„Polnische Perlen“ sind also willkommen – die Frauen aus Europas
Nachbarschaft, vermittelt direkt und per Anzeige, oft aber auch von nicht
immer legal agierenden Agenturen, arbeiten preiswert auch unter erschwerten
Bedingungen. Rund um die Uhr sind sie im Einsatz, die freie Zeit ist knapp.
Oft arbeiten sie sozusagen im Akkord, um danach in die Heimatländer
zurückzukehren. Wer fragt, wie die „Perlen“ bezahlt und sozial abgesichert
werden, gelangt schnell in undurchsichtige Grauzonen. Selbst in feineren
und feinsten Kreisen riskieren die Arbeitgeber Grenzgänge in die
Illegalität.
Auch darum bleiben die Frauen in dieser Recherche namenlos. Das kommt der
Arbeitsweise der Werkgruppe 2 sogar eher entgegen: Roesler und Merzhäuser
weisen immer wieder darauf hin, dass die Form der Dokumentation bei ihnen
nie direkt und „eins zu eins“ erfolgen soll. Darum hat auch noch kein
Auskunftgeber persönlich auf der Bühne gestanden.
Das Team befragt beharrlich und lange, bevor die eigentliche Arbeit an der
Inszenierung beginnt. Die Recherche markiert dabei immer einen klar
umrissenen Ausschnitt des Themas. Zusätzliche Distanz gewinnt die
Werkgruppe 2 durch das Beharren auf professioneller Darstellung –
Schauspielerinnen und Schauspieler sind immer im Einsatz als Interpreten
des dokumentarischen Materials. Die Dokumentation ist so eher ein
Versuchslabor; und das Publikum schaut den Laboranten beim Erforschen zu.
## Spezielle Spielstätten
Insa Rudolph, als Musikerin die dritte feste Größe im Team der freien
Gruppe, verstärkt noch die Distanz schaffenden Maßnahmen: Sie komponiert
und musiziert, und sie kommentiert damit meist das Thema der Recherche und
die Arbeit insgesamt. Für „Polnische Perlen“ etwa hat sie jetzt
Klang-Collagen entworfen, die die Lieblingslieder der pflegebedürftigen
Alten zitieren. Mancher im Publikum wird eigene Erinnerungen wieder- oder
neu entdecken.
Überhaupt war auch das Zuschauen selbst ein Ereignis der besonderen Art bei
der Werkgruppe 2, schon weil die Gruppe in Göttingen – jenseits vom
Deutschen Theater selbst – über eine sehr spezielle Spielstätte verfügte:
eine alte Wagenhalle gleich neben der Salz-Produktion in der Göttinger
Saline Luisenhall.
Die ist als älteste noch Salz produzierende Pfannen-Saline in Europa
ihrerseits ein Kulturgut. Premierenbesuche dort wurden oft durch eine
Besichtigung der Salzproduktion in der Saline bereichert. Auch die
Friedland-Produktion war site specific, machte also den Ort der Recherche
zu deren Thema – und so wird es auch im Juni sein, wenn die Werkgruppe 2 in
Oldenburg zu Gast ist.
Dort nämlich wird das örtliche Kloster Blankenburg zum Spielort – die
Werkgruppe 2 recherchiert mit dem Zeitzeugen-Blick von heute die Geschichte
dieses Ortes, der seit dem 13. Jahrhundert das Zwangsexil der
Ausgestoßenen, der Gefährlichen, Kranken und Verrückten war. In Blankenburg
führte später dann die SA „Euthanasie“-Morde durch; die Klosteranlage war
Lazarett, Psychiatrie, Alten- und Flüchtlingsheim: ein Ort ganz aus
Geschichte.
Dagegen ist das Staatstheater in Braunschweig ein wirklich beschützter Ort.
## Die Premiere „Polnische Perlen“ eröffnet die „Themenwoche Interkultur…
20. März, weitere Vorstellungen am 25. und 27. März, Staatstheater,
Braunschweig
18 Mar 2014
## LINKS
[1] http://www.werkgruppe2.de/
[2] http://staatstheater-braunschweig.de/startseite/
## AUTOREN
Michael Laages
## TAGS
Dokumentartheater
Pflege
Polen
Schauspiel
Theater
Blankenburg
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