# taz.de -- Unerwünschtes Engagement: Hausverbot statt Hilfe | |
> Weil sie sich für die Rechte einer Risikoschwangeren eingesetzt hat, darf | |
> eine Ehrenamtliche die Flüchtlings-Zeltstadt Überseetor nicht mehr | |
> betreten. | |
Bild: Eine solche Flüchtlingsunterkunft wird selbst Risikoschwangeren zugemute… | |
BREMEN taz | Susanne Wagner* darf die Flüchtlingsnotunterkunft Überseetor | |
nicht mehr betreten. Will sie einen der Zelt-Bewohner besuchen, muss sie | |
sich mit ihm auf der anderen Straßenseite treffen. Wagner unterstützt | |
ehrenamtlich Flüchtlinge – und das kommt beim Betreiber der Unterkunft | |
nicht gut an. | |
Als im Juli die ersten Flüchtlinge in die Zelte zogen, organisierte Wagner | |
Spenden über Facebook – recht unkoordiniert und auf eigene Faust. „Das hat | |
Chaos verursacht“, räumt sie ein, und dafür wurde sie von Milton Bona, dem | |
Leiter der von der Inneren Mission getragenen Unterkunft, bereits | |
„angezählt“. Sie hielt sich fortan zurück, kümmerte sich aber weiter um … | |
dort lebenden Flüchtlinge. | |
Zum Beispiel um Hussein M.: „Der lebte schon seit drei Wochen in der | |
Zeltstadt, als der Arzt bei ihm Tuberkulose feststellte“, erzählt sie. M. | |
kam ins Krankenhaus, in Quarantäne. Wagner besuchte ihn dort: „Eine | |
Krankenschwester gab mir eine Liste mit, auf der alle Menschen eingetragen | |
werden sollten, die in der Zeltstadt näheren Kontakt zu ihm hatten“, | |
erzählt Wagner. Die Liste habe sie Bona gegeben, „aber er hat gesagt, die | |
müsse nicht ausgefüllt werden, weil das Gesundheitsamt ja eh in ein paar | |
Tagen vorbeikäme“. | |
## Tagelang ohne Medikamente | |
Sie kümmert sich bis heute um M., obwohl er nach seiner Entlassung aus dem | |
Krankenhaus nicht mehr in die Zeltstadt, sondern in die Zentrale | |
Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge (Zast) kam. Von einem | |
Lungen-Spezialisten bekam er mehrere Rezepte: „Hussein hat die aber nicht | |
eingelöst, weil er dachte, er müsste dafür bezahlen“, sagt Wagner. | |
Tagelang habe er keine Medikamente genommen. Wagner telefonierte wegen der | |
Dosierungen mit dem Arzt, ließ sich erklären, welche Untersuchungen M. in | |
den nächsten Monaten benötigt und ließ einen ehemaligen Zelt-Nachbarn von | |
M. dolmetschen. | |
Der lebt mittlerweile nicht mehr in Bremen: „Nachdem er fünf Wochen lang in | |
der Zeltstadt gewohnt und als Dolmetscher geholfen hatte, wurde er | |
innerhalb eines Tages nach Bremerhaven verlegt – Widerspruch zwecklos“, | |
erzählt Wagner. Um ihr im „Fall Hussein M.“ zu helfen, sei er extra mit dem | |
Zug nach Bremen gekommen. | |
Unangekündigte Verlegungen wie diese habe sie in der Zeltstadt öfter | |
erlebt, erzählt Wagner. Und umgekehrt gebe es dort Menschen, die gern nach | |
Bremerhaven ziehen würden – aber deren Wunsch nicht berücksichtigt werde. | |
## Nicht zuständig | |
So wie bei der Frau, die von Wagner „Yamama“ genannt wird: Sie ist | |
schwanger, fast in der neunten Woche. Ende Juli bekam sie Blutungen und | |
erfuhr, dass sie Zwillinge erwartete, von denen einer gesundheitlich | |
ernsthaft gefährdet war. Die Bescheinigung über ihre | |
„Risikoschwangerschaft“ vom 31. Juli liegt der taz vor. Yamama habe Bona | |
aufgrund der Diagnose gebeten, in eine andere Unterkunft verlegt zu werden, | |
sagt Wagner: „Aber nichts geschah.“ | |
Wagner intervenierte, schlug vor, Yamamas Zelt-Pritsche gegen einen | |
unbedenklicheren Platz in einer anderen Unterkunft zu tauschen. Das sei | |
nicht möglich, habe er geantwortet. | |
Und auch den Wunsch Yamamas, dann wenigstens nach Bremerhaven verlegt zu | |
werden, schlug er aus: Dafür sei er nicht zuständig. Wagner hakte so lange | |
nach, bis Bona genug hatte und ihr Hausverbot erteilte. | |
Sie kümmerte sich dennoch weiter, fuhr mit Yamama in die Zast und bat dort, | |
die Schwangere zu verlegen: „Die haben sich richtig gefreut, dass sich | |
jemand freiwillig für den Umzug meldet“, erzählt Wagner. Yamama wurde | |
sofort in eine „Transferliste“ eingetragen: Nächste Woche wird sie mit | |
ihrem Mann nach Bremerhaven umziehen. | |
## „Eine passende Lösung“ | |
Bona ist für die taz trotz mehrerer Versuche telefonisch nicht erreichbar | |
und antwortet nur per Mail. Zur Situation Yamamas schreibt er: „Wir wissen | |
schon von dem Fall und sind daran sehr interessiert, eine passende Lösung | |
für die Familie zu finden“ – offenbar in Unkenntnis darüber, dass Yamama | |
und ihr Mann mit Hilfe von Susanne Wagner mittlerweile selbst eine Lösung | |
gefunden haben. | |
Für Umverteilungen und Transfers, heißt es in Bonas Mail weiter, sei nicht | |
die Notunterkunft, sondern die Zast zuständig: „Wir arbeiten allerdings in | |
enger Kooperation mit der Zast zusammen und leiten alle | |
Bewohnerinformationen an den zuständigen Ansprechpartner bei der Zast | |
weiter“– bloß die Information über Yamamas Verlegungsbitte scheint er nic… | |
weitergeleitet zu haben. | |
Einen ihrer beiden Zwillinge hat Yamama mittlerweile verloren. Ob die | |
Fehlgeburt das Ergebnis des unnötig langen Aufenthaltes in der | |
Zelt-Unterkunft war, wird wohl nie jemand beantworten können. „Yamama ist | |
jetzt einfach nur froh, dass es dem anderen Kind gut geht und dass sie | |
endlich raus aus diesem Lager kann“, sagt Wagner. | |
Die Sozialbehörde kann oder will sich zu den Zuständen nicht äußern: Mehr | |
als zwei Tage nach einer entsprechenden Anfrage der taz heißt es vom | |
zuständigen Ressortsprecher David Lukaßen: „Ich habe leider noch nicht alle | |
Rückmeldungen zu Ihren Fragen.“ | |
*Name geändert | |
27 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Simone Schnase | |
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