| # taz.de -- Klopapier statt Politik: Wenn „das Volk“ übernimmt | |
| > Bremens jüngste Flüchtlingsinitiative organisiert übers soziale Netzwerk, | |
| > was in Unterkünften fehlt. Aber die Motive fürs Helfen sorgen für Unmut. | |
| Bild: Obwohl es in Flüchtlingsunterkünften an vielem fehlt, wird längst nich… | |
| BREMEN taz | In Bremen gibt es zahlreiche Vereine und Initiativen, die | |
| Hilfe für Flüchtlinge organisieren – viele machen das seit mehr als 20 | |
| Jahren. Die momentan populärste Initiative aber gibt es erst seit knapp | |
| einem Monat. Das Erfolgsrezept der [1][Flüchtlingshilfe Bremen] (FHB) | |
| heißt: unbürokratische Hilfe über das soziale Netzwerk Facebook | |
| organisieren. | |
| Jeden Tag veröffentlicht die FHB [2][aktualisierte Bedarfslisten] für die | |
| Flüchtlingsunterkünfte in den Stadtteilen. Da werden etwa Fußballschuhe, | |
| Badelatschen und Fahrräder in Arsten gesucht, Spielsachen in Bremen-Ost, | |
| ein Kleiderschrank und eine Waschmaschine in Gröpelingen. Fast 11.000 | |
| Menschen folgen der Facebook-Gruppe von FHB, zahlreiche Kommentare und | |
| Anfragen zeugen von großer Spendenbereitschaft. | |
| ## Fehlende Zahnpasta | |
| Auf diesen veröffentlichten Bedarfslisten finden sich immer wieder auch | |
| Dinge, die eigentlich nicht fehlen dürften. Laut FHB mangelt es | |
| beispielsweise in Gröpelingen an „Hygieneartikeln für Kinder und Frauen“, | |
| in Blumenthal fehlen Handtücher und in der Bahnhofsvorstadt Windeln. | |
| Gehören diese Dinge nicht zur Grundausstattung von Flüchtlingsheimen? Und | |
| was bekommen die Menschen, die aus der Zentralen Erstaufnahmestelle (Zast) | |
| in die Unterkünfte der Stadt verteilt werden, mit auf den Weg? „Sie | |
| bekommen eine Erstausstattung mit – aus Sicht der Behörde ist der | |
| Grundbedarf also gesichert“, sagt David Lukaßen, Sprecher der Bremer | |
| Sozialbehörde. Alles Weitere sei dann aber Sache der Flüchtlingsheimträger. | |
| Einer dieser Träger ist der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB). Jutta Becks, | |
| Geschäftsführerin des ASB Bremen, räumt ein, es habe in der Zast | |
| zwischenzeitlich Probleme mit der Versorgung gegeben: „Aufgrund der hohen | |
| Flüchtlingszahlen sind viele Menschen von dort direkt und ohne | |
| Erstausstattung in andere Unterkünfte verteilt worden.“ Die Träger und | |
| Einrichtungsleitungen müssten sich dann um diese Dinge kümmern, „und das | |
| tun sie auch“, sagt Becks. | |
| Auch andere Heimbetreiber bestätigen das auf Nachfrage der taz. Einer von | |
| ihnen, der ungenannt bleiben möchte, bietet sogar Zahnpasta an: „Seitdem | |
| auf dieser Facebook-Seite behauptet wurde, bei uns würde Zahnpasta fehlen, | |
| haben wir mehrere Kartons übrig – brauchen Sie welche?“ | |
| Der taz will Christian, wie sich der Initiator der FHB-Facebook-Gruppe | |
| nennt, weder seinen Nachnamen verraten noch Auskunft erteilen. Man wolle, | |
| teilt er lediglich im Facebook-Chat mit, „nicht politisch werden“ und | |
| verweist auf die Überschrift eines Kommentars im Bremer Weser-Kurier: „Das | |
| Volk übernimmt.“ | |
| Auf erneute Nachfrage reagiert nicht mehr er, sondern FHB-Aktivist Konrad, | |
| der ebenfalls seinen Nachnamen nicht nennen will. Und der fragt per Chat, | |
| ob die taz eine „Hetzkampagne gegen den Staat“ plane. Er ergänzt: „Es ge… | |
| uns nicht darum, Missstände an den Tag zu bringen“, schreibt er im Chat, | |
| sondern darum, „dort zu helfen, wo etwas fehlt – das kann aus | |
| unterschiedlichen Gründen alles mal sein, aber deswegen muss man das nicht | |
| in der Presse aufbauschen“. Drei Tage später steht auf der Bedarfsliste der | |
| FHB, in einem Übergangswohnheim in Bremen-Hastedt werde Toilettenpapier | |
| gebraucht. | |
| ## Durchdachte Hilfe | |
| „Das Problem ist sicherlich, dass auf Facebook jeder weitestgehend | |
| ungeprüft alles veröffentlichen kann“, sagt Lucina Bogacki, die im Auftrag | |
| der Bremer Sozialsenatorin als Koordinatorin für zivilgesellschaftliches | |
| Engagement im Flüchtlingsbereich und als Koordinatorin für Migration für | |
| die Landesarbeitgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (LAG) arbeitet. | |
| Das Engagement der FHB sei toll, sagt sie, „aber es muss auch abgestimmt | |
| und vernünftig durchdacht werden“. | |
| Bogacki hat sich vor Kurzem mit Christian und anderen FHB-AktivistInnen | |
| getroffen. „Es gibt in Bremen Initiativen wie den Verein Zuflucht, der seit | |
| über 20 Jahren arbeitet und sehr gut vernetzt ist oder auch Portale wie | |
| Gemeinsam in Bremen, die tolle Arbeit leisten“, sagt sie. „Es ist ganz | |
| wichtig, dass alle Flüchtlingshilfeorganisationen an einem Strang ziehen | |
| und zusammenarbeiten und ich hoffe, dass das auch mit der Flüchtlingshilfe | |
| Bremen funktioniert.“ | |
| Sie habe der FHB angeboten, Infoveranstaltungen abzuhalten und Kontakte zu | |
| vermitteln, „und das fanden die auch gut“. Der taz schrieb Christian indes: | |
| „Wir wollen mit keiner Hilfsorga direkt und exklusiv zusammenarbeiten. | |
| Unser Konzept geht hervorragend so auf.“ | |
| Der Satz „Das Volk übernimmt“ aus dem Weser-Kurier ärgert Bogacki: „Das | |
| hört sich an, als sei das etwas Neues – dabei tut es das bereits seit über | |
| 20 Jahren.“ Jedes Ehrenamt benötige darüber hinaus immer auch ein Hauptamt, | |
| „sonst kann vernünftig koordinierte Arbeit nicht gewährleistet werden“. | |
| Hinzu kommt, dass andere Flüchtlingsinitiativen stets, wenn auch in | |
| unterschiedlicher Ausprägung, auf die Verantwortung des Staates für die | |
| Flüchtlinge hinweisen. | |
| Bestes Beispiel ist die seit 23 Jahren aktive Flüchtlingsinitiative Bremen: | |
| „Wir übernehmen Aufgaben, für die der Staat eigentlich zuständig ist – | |
| insofern ist unsere Arbeit mit Blick darauf sogar falsch. Bloß: Den | |
| Menschen muss ja trotzdem geholfen werden“, sagt Mit-Initiatorin Gundula | |
| Orter. Deswegen hat die Initiative vor knapp zwei Jahren eine Ehrung des | |
| Senats für ihr Engagement abgelehnt. Beratungsstellen wie ihre sollten | |
| nicht geehrt, sondern durch den Staat überflüssig gemacht werden, sagte | |
| Oerter damals. | |
| ## Zugang zu Ressourcen | |
| Vielleicht, so mutmaßt Oerter heute, begründe sich der Erfolg der FHB auch | |
| aus dem „Bedürfnis von Nicht-Geflüchteten heraus, sich zu engagieren und | |
| eine gute Atmosphäre zu schaffen“. Darum ginge es letztlich aber gar nicht, | |
| „sondern um Rechte und um den Zugang zu Ressourcen – und zwar für alle | |
| Menschen“. | |
| 22 Aug 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.facebook.com/fluechtlingshilfe.bremen | |
| [2] https://www.facebook.com/notes/fl%C3%BCchtlingshilfe-bremen/bedarfsliste-de… | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schnase | |
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