| # taz.de -- „Kongo-Tribunal in Berlin“: „Machen wir mal ein Weltgericht“ | |
| > Regisseur Milo Rau bringt sein Tribunal zu den Verbrechen im Kongo nach | |
| > Berlin. Ein Gespräch über Nürnberger Prozesse und symbolisches Sprechen. | |
| Bild: Chefankläger Sylvestre Bisimwa verhört einen Zeugen. | |
| taz: Milo Rau, Ihre Inszenierung des „Kongo-Tribunals“ in Bukavu im Mai hat | |
| für Aufsehen gesorgt. Was hat man sich unter einem Theater-Tribunal im | |
| Kongo vorzustellen? | |
| Milo Rau: Juristisch betrachtet haben wir ein richtiges Tribunal in Bukavu | |
| organisiert, basierend auf tatsächlichen Vorgängen im Ostkongo sowie | |
| bestehenden Gesetzen und Verfassungsartikeln. Die Jury bestand aus | |
| Vertretern von Regierung, beteiligten Firmen, Menschenrechtlern und | |
| internationalen Experten, geleitet von zwei Juristen aus Den Haag. Im Lauf | |
| der dreitägigen Hearings gab es circa 35 Verhöre von Akteuren und Zeugen zu | |
| drei Fällen, bei denen es um Streitigkeiten und Menschenrechtsverbrechen | |
| geht. Verhandelt wurden ein Massaker, in das die Armee verwickelt war und | |
| bei dem die UNO eine sehr unschöne Rolle gespielt hat. Sowie zwei Vorfälle, | |
| bei der große Minenfirmen mit Unterstützung der Zentralregierungen Leute | |
| vertrieben und umgesiedelt haben. | |
| Was ist Ihr Anspruch dabei? | |
| Das Tribunal ist gewissermassen ein lebendiges Porträt dessen, was in einer | |
| globalisierten Gesellschaft vorgeht. Wie hängt das eine mit dem anderem | |
| zusammen, internationalen Akteure, ein Massaker, Bauern, Rebellen, | |
| Regierung, gewaltige Vertreibungen und Flüchtlingsströme? | |
| Wie lange haben Sie recherchiert? | |
| Sehr lange, etwa eineinhalb Jahre, mit einem großen Team. Auch wegen der | |
| Vordrehs, es entsteht gleichzeitig ein Film. Bei den Recherchen bin ich | |
| zufällig Zeuge eines Massakers geworden, dieses Verbrechen haben wir dann | |
| untersucht. Wir haben mit Armeeangehörigen und Überlebenden gesprochen und | |
| gedreht. Oder wir sind zu den Minen im Bürgerkriegsgebiet gefahren, um zu | |
| gucken, was im Übergang von einer traditionellen Wirtschaftsweise zu einem | |
| industrialisierten Rohstoffabbau geschieht, vorangetrieben von der | |
| Weltbank. Das geht ja meist zuungunsten der lokalen Bevölkerung aus. Wir | |
| lassen aber auch Wirtschaftsliberale und Regierungsvertreter ihre Sicht der | |
| Dinge vertreten: Gib dem Neoliberalismus eine Chance! | |
| Aber wie setzt man so etwas als Theater in Szene, wie hat man sich den | |
| Ablauf des Tribunals vorzustellen? | |
| Es gibt eine Geschichte von unabhängigen Tribunalen, beginnend mit dem | |
| Russell-Tribunal von 1966 gegen die Verbrechen der amerikanischen | |
| Streitkräfte im Vietnam-Krieg. Wir haben das verbunden mit juristischen | |
| Verfahrensweisen des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, mit | |
| Artikeln aus der kongolesischen Verfassung und Erfahrungen, die wir bei | |
| kleineren Projekten wie den „Moskauer Prozessen“ gemacht haben. Wir haben | |
| in drei Tagen Dinge verhandelt, für die man sonst Monate braucht. | |
| Sie lassen dabei einen Staatsanwalt auftreten, der tatsächlich Staatsanwalt | |
| ist? | |
| Es sind reale Personen, aber im Unterschied zu einem Prozess im | |
| juristischen Sinne gibt es keinen Beklagten. Es geht um soziale und | |
| ökonomische Grundfragen, die wir symbolisch, anhand konkreter Fälle klären | |
| wollen. Etwa die Verantwortlichkeit für das beobachtete Massaker. | |
| Angehörige der Armee haben sich dazu befragen lassen? | |
| Genau. Im Verlauf des Tribunals schälten sich zwei Meinungen heraus. Die | |
| einen vertreten die Meinung, dass Regierung und Armee damit | |
| privatwirtschaftliche Interessen durchsetzen. Die anderen aus dem | |
| Regierungslager sagen: Was sollen wir tun, wenn die Leute sich gegenseitig | |
| umbringen, wir sind zu schwach, um dies zu verhindern. Die Jury versuchte, | |
| durch eine harte Befragung beider Seiten, die Wahrheit herauszuarbeiten. | |
| Warum lassen sich tatsächliche Täter auf so einen Theaterprozess überhaupt | |
| ein? | |
| Am schwierigsten war es, Vertreter der großen Firmen zu bekommen. Wir haben | |
| aber zwei aufgetrieben, die anonymisiert, komplett verhüllt und mit | |
| verzerrten Stimmen auftraten. | |
| Eine Art Wistleblower? | |
| Ja, die machten die Haltung der Firmen sehr deutlich. Einer hat aber auch | |
| die Leute, die ihn beklagt haben, seinerseits in Widersprüche gebracht. Für | |
| bestimmte Opfer oder Zeugen haben wir ein Schutzprogramm angewendet, das | |
| bereits bei Kriegsverbrecherprozessen zum Einsatz kam. | |
| Bei der Hinterfragung der Aussagen durch die Jury ging nicht alles 1 zu 1 | |
| auf? | |
| Nein, auf keinen Fall. Eine Bäuerin, die umgesiedelt worden war, hatte sich | |
| an unser Tribunal gewandt. Bei der Befragung zeigte sich, dass sie damit | |
| einverstanden gewesen war und eine entsprechende Entschädigung bekommen | |
| hatte - und jetzt eben einfach mehr herausholen wollte. Vor allem | |
| interessant war aber, wie sich auf höherer Ebene die Verantwortlichen | |
| gegenseitig die Schuld in die Schuhe schoben. Die Vertreter der Provinz- | |
| den Vertretern der Zentralregierung, die Armee der Polizei, die Firmen der | |
| Lokalregierung. Der Gouverneur meinte, die Umsiedlung der Minenarbeiter | |
| wäre ihnen von Firmen und Zentralregierung aufgezwungen worden – während | |
| aber nur er der Armee die entsprechenden Befehle geben konnte. | |
| Klingt nach einem bekannten Spiel: Wenn etwas Schlimmes passiert, will es | |
| niemand gewesen sein? | |
| Ja, das nimmt absurde Ausmaße an. Die kongolesischen Eliten bedienen sich | |
| einer marxistischen Rhetorik, gemäß der die großen Firmen an allem Schuld | |
| sind - ein Trick, der ja seit den 70er Jahren hervorragend funktioniert. | |
| Doch beim Tribunal wendete sich das Blatt gegen Regierung und Armee. Die | |
| Jury enttarnte sie als aktive Täter, der Uno wurde ihre Passivität | |
| angelastet. Und den Firmen, dass sie in so einem korrupten Umfeld agierten | |
| und es sich zunutze machten. Als hauptverantwortlich galt am Ende eindeutig | |
| der kongolesische Staat. | |
| Wie lief die Urteilsfindung ab? | |
| Wir hatten eine gemischte Jury, internationale und kongolesische | |
| Intellektuelle aus den verschiedenen Lagern: Bürgerrechtler genauso wie ein | |
| Mitarbeiter des Provinzgouverneurs oder den Anwalt einer der größten | |
| Minenfirmen MPC (Mining and Processing Congo). Sogar der Anwalt musste dann | |
| eingestehen, dass seine Firma kriminell agiert hatte. | |
| Das Tribunal als symbolischer Raum, ein herrschaftsfreier Diskurs an einem | |
| Ort, wo keine Rechtsstaatlichkeit herrscht? | |
| Mit gewissen Einschränkungen, ja. Wir mussten die Etikette gegenüber dem | |
| Gouverneur einhalten. Der hat sich zunächst Freiheiten herausgenommen, sich | |
| aber dann klugerweise den Spielregeln des Tribunals angepasst. Aber ganz | |
| vermeiden liess sich eine Hierarchisierung nicht, etwa bei der Sitzordnung. | |
| Der anwesende Armee-General sagte es mir unumwunden: „Entweder, Sie räumen | |
| die erste Reihe frei für uns, oder das alles endet hier.“ Natürlich haben | |
| wir das alles mitgedreht. | |
| Wie haben die Leute in Bukavu auf das Tribunal reagiert? | |
| Es war wahnsinnig schwierig, den Ansturm der Leute aufzuhalten. Wir hatten | |
| 500 Plätze, durch externe Bildschirme konnten wir am Ende etwa 1000 | |
| Zuschauer zufriedenstellen, mehr ging nicht. | |
| Wie reagierten die kongolesischen Medien? | |
| Es waren viele Print- und Bildjournalisten da. Im Ostkongo gibt‘s keine | |
| reguläre Finanzierung für Medienleute, viele sind Idealisten. Es gibt viele | |
| kleine Sender in Garagenstudios, die machen Radio und Fernsehen parallel, | |
| mit ganz einfacher Technik. Da habe ich an Dutzenden von Talkshows | |
| teilgenommen. Und mit der einzigen gedruckten unabhängigen Wochenzeitung, | |
| dem „Souverain“, arbeiteten wir zusammen - übrigens jetzt auch für Berlin. | |
| Teilweise wurden von den Zeugen die Namen von an Massakern beteiligten | |
| Polizei- oder Militärangehörigen genannt. Gefährdet sie das nicht zu sehr? | |
| Sie riskieren sehr viel. Wir haben aber, soweit das geht, alles | |
| unternommen, um sie zu schützen. Aber es gibt auch Personen, die ihre | |
| gesamten Familien verloren haben und die darauf bestanden, ungeschützt | |
| aufzutreten. | |
| Inwieweit ist ihr dokumentarisches in Szene-Setzen von politischen | |
| Protagonisten noch Theater, kulturelles Sprechen? | |
| Es ist ein symbolischer, fiktiver Prozess, quasi Konzeptkunst. Das Seltsame | |
| ist doch: Erst in einem völlig künstlichen Raum kann das Reale sich | |
| entfalten. Wir stellen konkrete Fragen, nach dem Wirtschaftssystem, den | |
| Ursachen für Menschenrechtsverbrechen, der Abwesenheit eines | |
| funktionierenden Rechts- und Staatssystems, in einer Weltregion die bei der | |
| Ausbeutung von Rohstoffen von zentraler Bedeutung ist. | |
| Es gab hier in Deutschland Kritik, weil Sie in Ihrer Eröffnungsrede in | |
| Bukavu, Ihr künstlerisch angelegtes Kongo-Tribunal in eine Linie mit den | |
| Nürnberger Prozessen gegen die deutschen Nazi-Eliten stellten. | |
| Vergleichen heisst ja nicht gleichsetzen. Ich denke, dass es in einer | |
| globalisierten Welt Instanzen geben muss, die über den Interessen von | |
| Einzelnationen stehen. Die Nürnberger Prozesse waren ein Versuch, ein | |
| Anfang, aber die ideologische Zwangsläufigkeit und damit den Umfang der | |
| deutschen Kriegsverbrechen konnten sie nicht ausdrücklich untersuchen. | |
| Genauso ist es bei anderen Tribunalen oft gewesen. Ich nahm letzthin in | |
| Brüssel an einem Russell-Tribunal gegen Kriegsverbrechen in Palästina teil. | |
| Das war total einseitig ausgerichtet, die israelische Position war nicht | |
| präsent. Meine Position zu den Nürnberger Prozessen oder dem | |
| Palästina-Tribunal ist kein Revisionismus, wie unterstellt wurde. Ich halte | |
| sie juristisch betrachtet für unvollständig. | |
| Ist es wirklich sinnvoll, für ein künstlerisch angelegtes Kongo-Tribunal so | |
| große Parallelen zu ziehen? | |
| Im Sinne der Traditionslinie schon. Und hier kommt jetzt die Fortsetzung am | |
| 26. Juni in Berlin ins Spiel. In Europa haben wir national ansässige und | |
| international agierende Firmen, aber es gibt kein international gültiges | |
| Recht, das die Einhaltung gewisser Standards durchsetzen würde, wie es | |
| beispielsweise unser Berliner Jury-Mitglied, der Anwalt Wolfgang Kaleck | |
| fordert. Künstlerisch gesehen, geht es um einen Akt der symbolischen | |
| Rechtssprechung: Jetzt ist es mal vorbei mit dem Betroffenheits-Theater, | |
| jetzt gehen wir da mal hin und machen ein Weltgericht! | |
| Was haben wir von einem nach Berlin verpflanzten Kongo-Tribunal zu | |
| erwarten, werden Teilnehmer aus Bukavu eingeflogen? | |
| Es werden keine Zeugen aus dem Kongo eingeflogen. Es handelt sich ja bei | |
| ihnen nicht um „Experten“, die einfach mal auf Tour gehen könnten. Da geht | |
| es um Leben und Tod. Formal betrachtet ist also der Berliner Teil kein | |
| Tribunal, eher ein intellektueller Kongress. Ein analytischer Wurmfortsatz | |
| der Menschheits-Performance, die wir im Kongo veranstaltet haben. Wir | |
| greifen Fragen heraus wie die der rechtlichen Verantwortlichkeit von großen | |
| Firmen. Die PR-wirksamen internationalen Vereinbarungen gegen | |
| „Blutmineralien“ befördern doch kaum verschleiert die Monopole der großen | |
| Multis. Und wir stellen die Frage nach der Rolle der UNO. | |
| Und ihre Staatsanwälte aus Bukavu, sind die mit von der Partie? | |
| Doch, doch. Neben internationalen Experten wird natürlich auch wieder unser | |
| Untersuchungsleiter aus dem Kongo, Sylvestre Bisimwa, dabei sein. Und | |
| natürlich Jean-Louis Gilissen, der Gründer des Strafgerichthofs in Den Haag | |
| und unser Tribunal-Präsident. Aber: In Berlin geht es weniger um das | |
| Dokumentarische als um ein dreitägiges Gespräch, eine differenzierte | |
| Analyse des Weltwirtschaftssystems am Beispiel des Kongo. Vom | |
| dokumentarischen oder künstlerischen Standpunkt her hat es aber nicht im | |
| Entferntesten diesen Anspruch wie das irre Tribunal im Kongo. | |
| Kongo Tribunal, 26. bis 28. Juni, Berlin, Sophiensaele, | |
| www.sophiensaele.com | |
| 24 Jun 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Fanizadeh | |
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