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# taz.de -- „Das Kongo Tribunal“: Oberhalb des Radars
> Am Wochenende inszeniert der Autor unter prominenter Beteiligung in
> Bukavu „Das Kongo Tribunal“. Notizen des Regisseurs.
Bild: Milo Rau bespricht mit Untersuchungsleiter Maître Sylvestre Bisimwa (r.)…
Seit eineinhalb Jahren sammeln wir im Ostkongo Zeugenaussagen für „Das
Kongo Tribunal“. Die Erzählungen der Minenarbeiter und Bauern, der
einfachen kongolesischen Bürgerinnen und Bürger erfüllen mich mit
Unverständnis und Wut.
Etwa der Fall einer jungen Frau, die von den Milizen und der kongolesischen
Armee, die sich die Minen streitig machen, so oft vergewaltigt wurde, dass
sie gelähmt und inkontinent ist. Oder die Erzählungen der Überlebenden
eines Massakers, veranstaltet von einem General der kongolesischen Armee.
Am verstörendsten, weil am typischsten für die Region ist aber das
Schicksal einer Dorfgemeinschaft, die ich seit mehreren Monaten filmisch
begleite. Sie wurde von einer kanadischen Firma auf eine Bergspitze
deportiert, denn unter ihrem Dorf liegt „der wohl größte nicht entdeckte
Goldgürtel Afrikas“, wie es in einem PR-Film der Firma heißt.
„Entdeckt“ wurde der Goldgürtel von den Dorfbewohnern zwar schon vor Langem
und seit vielen Jahren gemäß gültigem Bodenrecht abgebaut – bis sich die
kanadische Firma in Kinshasa mit einigen Tricks die Konzession sichern
konnte. Wer von den ehemaligen Minenarbeitern nicht nach Bukavu abgewandert
ist, geht früher oder später an Mangelernährung zugrunde. „Hier stirbst du
an Hunger, nur um dann zwischen Reichtümern begraben zu werden“, sagte mir
einer meiner Zeugen.
## Auftakt zum Wahlkampf
Normalerweise versuche ich bei meinen Projekten, unter dem Radar der
lokalen Medien zu fliegen – immerhin bis die letzte Klappe geschlagen ist.
Seit jedoch vor einer Woche bekannt wurde, dass auch der Oppositionsführer
Vital Kamerhe vor unser Tribunal treten wird, laufen die kongolesischen
Medien heiß.
Sogar die Motorradtaxi-Fahrer haben von dem dreitägigen Tribunal gehört,
das allgemein als Auftakt der nächsten Präsidentschaftswahlen wahrgenommen
wird. Vital Kamerhe stammt aus einem Dorf in der Nähe von Bukavu, das
innerhalb der Konzession der kanadischen Firma liegt. Wer könnte die
Bevölkerung besser vertreten als er?
Denn schlichtweg nichts fließt von den Abgaben der internationalen
Minenfirmen zurück in den von Bürgerkrieg geschüttelten Osten, sondern
verschwindet im Verwaltungsapparat der Hauptstadt Kinshasa. In der Region
Walikale nördlich von Goma etwa, die im Zentrum einer der Sessionen des
Tribunals steht, wurden in den vergangenen Jahren 10.000 Schürfer von der
weltweit größten Coltan-Mine vertrieben; 2016 beginnt eine Schweizer Firma
mit dem industriellen Abbau.
## Verwirklichung aller Vorurteile
Was so bei unseren Recherchen täglich sichtbarer wird, ist das soziale
Negativ zu den Wachstumsstatistiken der Weltbank. Oder um es sarkastischer
auszudrücken: Um den Ostkongo zu verstehen, stelle man sich die
Eins-zu-eins-Verwirklichung aller Vorurteile eines paranoiden linken
Globalisierungskritikers vor – und füge noch einen Bürgerkrieg mit bisher
sechs Millionen Toten hinzu.
Kamerhe selbst habe ich vergangenen Januar in Kinshasa kennengelernt, als
Präsident Kabila mit einem Verfassungstrick die Präsidentschaftswahlen auf
unbestimmte Zeit verschieben wollte. Die blutig niedergeschlagenen Unruhen
zeigten die Schwäche des Regimes: Kabilas Berater mussten zurückkrebsen,
eine dritte Präsidentschaft ist unwahrscheinlich. Ähnlich wie bei den
„Moskauer Prozessen“, die ich 2013 in Moskau durchgeführt habe, kommt diese
zerbrechliche Pattsituation zwischen Regierung und Opposition dem „Kongo
Tribunal“ zugute.
## Gesicherter Theatersaal
Jeder will sich Ende Mai in bestem Licht darstellen, vor allem, da es sein
jeweiliger Widersacher auch tut. In der Jury sitzen Befürworter der
Industrialisierung genauso wie Vertreter der Zivilgesellschaft, vors
Tribunal werden enteignete Minenarbeiter und Regierungspolitiker treten,
Mittelsmänner der großen Firmen, Bürgerrechtler und Rebellen. Erstmals in
der Geschichte des Kongo werden all diese Menschen sich Ende Mai in einem
Raum wiederfinden: im gewaltigen Theatersaal des Collège Alfajiri in
Bukavu, gesichert von kongolesischer Polizei und einer privaten
Sicherheitsfirma.
Denn die sich andeutende Reduzierung der internationalen Schutztruppen und
die Unruhen im benachbarten Burundi machen die Sicherheitslage unserer gut
40 Zeugen und Jurymitglieder äußerst sensibel. In die drei Fälle, die vor
dem Tribunal verhandelt werden – darunter ein Massaker an der Grenze zu
Burundi – sind gemäß unserer Vorrecherchen hohe Regierungsstellen und
Militärs verwickelt.
Während die Drehs im vergangenen Jahr noch verhältnismäßig einfach waren,
wird es nun wöchentlich schwieriger, an die Genehmigungen zu kommen.
Minenfirmen verweigern uns den Zutritt zu ihren Konzessionen, Flüge ins
Bürgerkriegsgebiet werden wenige Stunden vor Start aus fadenscheinigen
Gründen abgesagt. Und es gehen absurde Gerüchte um: Ich hätte den
Helikopter einer Minenfirma kapern wollen oder sei Teil von Kamerhes
Wahlkampfteam.
## Zeugen mit Schleier
Meine Anwälte haben deshalb auf Anraten der UNO ein spezielles
Zeugenschutzprogramm für das „Kongo Tribunal“ entwickelt. Für die Zeugen
wird eine Reihe geheimer, unscheinbarer Privatwohnungen angemietet: „safe
houses“, wie man das aus amerikanischen Serien kennt. Die Anreise nach
Bukavu wird an Markttagen stattfinden, wenn die Tribunalteilnehmer in den
überfüllten Bussen nicht auffallen. Und die gefährdetsten Zeugen werden mit
einem Gesamtkörper-Schleier vor die Jury treten, ihre Stimmen werden wir
verfremden.
Die Aussagen in den Minen und massakrierten Dörfern schließlich drehen wir
anonym: Zu sehen sind nur unsere Untersuchungsleiter, die Zeugen bleiben
unscharf. Zu Anfang kamen mir die meisten dieser Vorsichtsmaßnahmen
übertrieben vor, typisch für die UNO, die nichts so fürchtet wie schlechte
Presse. Doch je näher das Tribunal rückt, desto größer werden die Ängste
der Beteiligten. Zu oft schon sind im Kongo Belastungszeugen in Militär-
und Wirtschaftsprozessen einfach verschwunden, manche direkt aus dem
Gerichtssaal heraus.
„Ein Menschenleben ist hier so viel wert wie ein Scheißdreck“, sagte mir
jüngst einer meiner Hauptzeugen, der sich in einer Hütte außerhalb Bukavus
versteckt.
Mein eigentlicher Gradmesser für die Einschätzung der Lage ist aber Maître
Sylvestre Bisimwa, der Untersuchungsrichter des Tribunals. Unter den
charismatischen Bürgerrechtlern, Anwälten und Politikern, die ich in den
letzten Jahren im Kongo kennengelernt habe, ist er der charismatischste und
zugleich ruhigste.
## Ein wahrhaft Gerechter
Würde man in diesem in jeder Hinsicht unüberschaubaren Wirtschaftskrieg, in
dem sich ökonomische und ethnische Konfliktlinien überschneiden, einen
wahrhaft „Gerechten“ benennen wollen, so wäre das sicher er: Bisimwa, der
lokale Landstreitigkeiten ebenso verhandelt wie große Milizenprozesse in
Den Haag und Professor ist an der Universität von Bukavu.
Was das kongolesische Justizsystem angeht, macht er sich keine Illusionen.
„Ich dachte nicht, dass das möglich ist“, sagte er mir letzthin, „aber d…
junge Generation ist noch korrupter, als es meine Generation in ihren
Träumen war.“ Vergewaltigte werden, wenn es ihnen an Geld mangelt, wegen
übler Nachrede oder Rebellion verurteilt, das Bodenrecht wird zugunsten des
Meistbietenden gebeugt.
Jedes Urteil hat seinen Preis, was bei den lächerlich niedrigen Löhnen von
Staatsanwälten und Richtern kein Wunder ist. Vor einigen Tagen filmte ich
Maître Bisimwa bei einer Verhandlung. Auf dem Hauptbeweisstück (eine
Kaufurkunde für ein Stück Land) waren die Unterschriften der Minister nicht
nur gefälscht, sondern schlichtweg falsch geschrieben.
„Entweder wir stellen fest, dass unsere Minister ihren eigenen Namen nicht
buchstabieren können“, sagte Bisimwa in seinem Plädoyer, „oder wir erklä…
dieses ganze Verfahren für illegal.“ Die Richter lächelten nachsichtig, als
ginge es um eine juristische Haarspalterei, Bisimwa verlor den Prozess. Das
„Kongo Tribunal“ wird das erste Mal sein, dass er wirklich frei und mit
offenem Ausgang wird verhandeln können.
## Was haben wir hier zu suchen?
Trotzdem: Mehr als bei all meinen bisherigen Projekten frage ich mich, ob
die Sache den Einsatz wert ist. Welches Ergebnis kann die unkontrollierbare
Gefährdung aller Beteiligten rechtfertigen, den megalomanischen technischen
und organisatorischen Aufwand, den ein Dreh mit fünf Kameras und 40
Beteiligten an einem Ort bedeutet, an dem es nicht einmal 100-Watt-Birnen
zu kaufen gibt?
Was haben wir, frage ich mich, wenn wir wieder mal von einem Minenmanager
als Ratten beschimpft oder nach fünf Stunden Fahrt von plötzlich
auftauchenden Milizionären verjagt werden, hier eigentlich zu suchen?
Natürlich: Eine globale Wirtschaft braucht auch eine global agierende
Kunst, die den europäischen Provinzialismus genauso hinter sich lässt, wie
es die Weltbank, die großen Minenfirmen und die OECD längst getan haben.
Wer über Europa sprechen will, muss zuallererst über den Kongo sprechen,
denn in den Minen Zentralafrikas entscheidet sich die wirtschaftliche
Zukunft nicht nur Europas und Nordamerikas, sondern der ganzen Welt.
Letztlich aber ist es die moralische Leidenschaft eines Bisimwa, sind es
die Bürgerrechtler und Minenarbeiter aus allen Teilen des Ostkongo, die uns
immer wieder von der Notwendigkeit des Tribunals überzeugen. Ihr Pathos,
ihre Hoffnung trägt uns – und die Tatsächlichkeit ihres Leidens, die in
nichts anderem begründet liegt als im Reichtum ihres Landes.
26 May 2015
## AUTOREN
Milo Rau
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