Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Das „Kongo-Tribunal“ 2: Nachgeschichte des Menschlichen
> Regisseur Milo Rau bereitet vor Ort sein Projekt „Das Kongo-Tribunal“
> vor. Das Massaker von Mutarule ist einer der Fälle, die verhandelt werden
> sollen.
Bild: Eine Szene aus dem im Text erwähnten Trailer zum „Kongo-Tribunal“.
Kurz vor meinem Abflug nach Kinshasa schrieb mir ein befreundeter
kongolesischer Studentenführer: Wir sollen ihm bitte die Aufnahmen
schicken, die wir vergangenen Sommer anlässlich des Massakers von Mutarule
gemacht haben – einem Dorf in der Nähe Bukavus im Ostkongo. In Mutarule
sind vergangenen Sommer 35 Kinder und Frauen von Milizen ermordet worden.
Durch eine Verwicklung von Zufällen waren wir das erste Kamerateam vor Ort.
Die Einwohner hatten die mit Kalaschnikows und Macheten getöteten,
teilweise verbrannten Leichen aus Protest auf die Straße gelegt: eine lange
Reihe toter Körper, bis auf eine Ausnahme handelte es sich um Mütter und
ihre Kinder, das jüngste war zwei Monate alt. Die Bevölkerung war völlig
außer sich. Hätte der Studentenführer nicht für uns Partei ergriffen, die
Dorfjugend hätte uns wohl umgebracht, als Antwort auf die absurde
Abgebrühtheit und Tatenlosigkeit der Welt.
Doch nun wurde unser Kameramann aufgefordert, jede einzelne Leiche, jedes
verbrannte Haus zu filmen. Einige Stunden später traf endlich der
Innenminister der Provinz ein. Auch er wäre sofort massakriert worden,
hätten ihn nicht bis an die Zähne bewaffnete Elitetruppen begleitet.
Im Flugzeug aus Kinshasa in den Ostkongo erinnere ich mich wieder an jenen
Tag im vergangenen Sommer: Ein Bagger hob ein Massengrab aus, die Leichen
wurden hineingelegt, der Minister warf unter dem Hohngeschrei der
Dorfbevölkerung eine Handvoll Dreck hinterher. Der süßliche Leichengeruch
war tagelang nicht aus den Kleidern (und sogar dem Mund) zu kriegen.
Seltsamerweise sollte das Schlimmste aber die Montage des Materials werden:
als wir aus den weinenden Müttern und gestikulierenden Politikern eine
„Szene“ für den Produktions-Trailer schneiden mussten.
## Ein auf tragische Weise typischer Fall
Denn Mutarule ist einer der drei Fälle, die wir im Mai im Rahmen des
Kongo-Tribunals verhandeln werden. Der Fall ist auf tragische Weise
typisch: Die UNO-Truppen waren, trotz zahlreicher Warnungen, gerade mit
einer ihrer üblichen Versöhnungsaktionen beschäftigt und trafen erst vier
Tage nach dem Massaker in Mutarule ein.
Die kongolesische Armee, die aus ökonomischen Gründen mit den Angreifern
paktierte, hatte sich in der Nacht vor dem Angriff zurückgezogen. Die
Mörder ihrerseits wurden gefasst und wieder freigelassen. Das Dorf, das auf
einer zentralen Route des Coltan- und Goldschmuggels liegt, ist unterdessen
von seinen Bewohnern verlassen worden – was ja der Sinn des Ganzen gewesen
war.
Am Nachmittag vor dem Abflug in den Ostkongo esse ich in Kinshasa mit
Martin Kobler zu Mittag, dem Leiter der UNO-Mission. Das fast
programmatische Scheitern der UNO-Truppen vom ruandischen Genozid bis
Mutarule ließ mich einen hilflosen Diplomaten des Stils Boutros
Boutros-Ghali erwarten. Der charismatische Kobler jedoch flößt Respekt ein,
er hat aus Mutarule ein Fanal gemacht: Die Blauhelmtruppen haben seit dem
Massaker endlich eine Schießerlaubnis erhalten. „Nächste Woche greifen wir
an“, prophezeit Kobler.
Kommt man im Ostkongo an, so trifft man auf niemanden, der sich von Koblers
Optimismus hat anstecken lassen. Die Rebellen überhaupt zu finden sei quasi
unmöglich, meint ein örtlicher Militärexperte – sie gruppieren sich ständ…
um und mischen sich unter die Zivilbevölkerung. Die kongolesische Armee
ihrerseits, wichtigster Alliierter der Blauhelme, arbeitet mit den
Milizionären zusammen.
## Das Ganze sei eine Prestige-Aktion
Einer der Administratoren der Blauhelme bringt es recht offenherzig auf den
Punkt: Das Ganze sei eine Prestige-Aktion. „Im Sommer geht unser Chef
sowieso wieder woandershin. Bis dahin tun wir eben so, als würden wir das
durchziehen. Und dann vergessen wir es einfach.“
So wird es also trotz Koblers Anstrengungen noch viele Mutarules geben. Es
scheint, als würden auf deprimierende Weise jene Oldstyle-Marxisten recht
behalten, die in den UNO-Truppen und ihren „Aktionen“ nur die humanistische
Deko einer völlig aus den Fugen geratenen Welt sehen.
Von Jean Ziegler, der in der Jury des Kongo-Tribunals sitzen wird, stammt
ein Satz, der mich immer sehr beeindruckt hat: „Wir befinden uns in der
Vorgeschichte des Menschlichen.“ Wir sind noch unfertig, gierig, grausam
und gedankenlos wie Tiere, erst auf halbem Weg zum Menschen. Manchmal
fürchte ich jedoch, dass wir unsere Chance verpasst haben – und uns bereits
in der Nachgeschichte des Menschlichen befinden.
3 Feb 2015
## AUTOREN
Milo Rau
## TAGS
Theater
Kongo-Tribunal
Milo Rau
Kongo-Tribunal
Dschihad
Milo Rau
Coltan
Milo Rau
## ARTIKEL ZUM THEMA
„Das Kongo Tribunal“: Oberhalb des Radars
Am Wochenende inszeniert der Autor unter prominenter Beteiligung in Bukavu
„Das Kongo Tribunal“. Notizen des Regisseurs.
Dramatikfestival in Berlin: Dschihad und Gesellschaft
Wie man wird, was man ist: Milo Raus „The Civil Wars“ eröffnet das
F.I.N.D.-Festival. Das Stück beschäftigt sich mit biografischen Formungen.
Das „Kongo-Tribunal“ 4: Schöne Lügen, bittere Wahrheiten
Regisseur Milo Rau bereitet vor Ort sein Projekt „Das Kongo-Tribunal“ vor.
Begegnung mit dem Gouverneur der Provinz Südkivu.
Das „Kongo-Tribunal“ 3: Wie ein Bruegel’sches Bild
Regisseur Milo Rau dreht derzeit im Osten Kongos. Für die taz berichtet er
über seine Reise in ein kriegsgeplagtes Niemandsland.
Das „Kongo-Tribunal“: Für nichts gestorben
Als Regisseur bin ich derzeit im Kongo unterwegs und bereite das Projekt
„Das Kongo-Tribunal“ vor. Davon werde ich regelmäßig in der taz berichten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.