# taz.de -- SPD und Vorratsdatenspeicherung: Ein Opfer für Sigmar Gabriel | |
> Der kommende SPD-Konvent diskutiert die geplante Vorratsdatenspeicherung. | |
> Die Partei lässt sich von Gabriels Alleingang demütigen. | |
Bild: Justizminister Heiko Maas lenkt ein. Er unterstützt Gabriels Plan der Vo… | |
Arme SPD! Nur aufgrund einer Laune von Sigmar Gabriel muss sie jetzt die | |
Vorratsdatenspeicherung einführen. Vor dem Parteikonvent am Samstag haben | |
zwar über hundert Parteigliederung Gegenanträge gestellt, aber am Ende wird | |
der Vorsitzende wohl eine zähneknirschende Mehrheit bekommen. | |
Es wäre nicht so schlimm für die SPD, wenn es wenigstens ein Ultimatum der | |
Union gegeben hätte, ein Machtwort der Kanzlerin oder ein irres | |
Wahlversprechen von Horst Seehofer. Die Zustimmung zur unsinnigen CSU-Maut | |
fiel den Sozis sicher leichter, weil jeder weiß, dass die SPD so etwas | |
freiwillig nie gemacht hätte. Aber die Vorratsdatenspeicherung hat nun mal | |
Sigmar Gabriel durchgesetzt. Ohne Not. Ohne Absprache. Und ohne Ahnung vom | |
Thema zu haben. | |
Gabriel behauptete, man hätte weitere NSU-Morde verhindern können, wenn es | |
bei den ersten Taten schon die Vorratsdatenspeicherung gegeben hätte. Was | |
für ein Unsinn! Damals suchte die Polizei die Täter im Umfeld der Opfer, | |
bei einer angeblichen Türken-Mafia. Deshalb ging die Polizei jahrelang | |
dramatisch in die Irre, nicht wegen fehlender Daten. | |
Außerdem argumentierte Gabriel mit den Erfahrungen aus Norwegen. Allerdings | |
ist der Rechtsradikale Anders Breivik, der 2011 mehr als 70 Menschen | |
tötete, nicht dank Vorratsdatenspeicherung ermittelt worden, vielmehr wurde | |
er auf frischer Tat festgenommen. Außerdem gab es damals gar keine | |
Vorratsdatenspeicherung in Norwegen. | |
## Nach den Snowden-Enthüllungen | |
Ein Schwadroneur bestimmt also die Richtlinien der SPD-Kriminalpolitik. Und | |
der zuständige Justizminister Heiko Maas folgte Gabriels Vorgabe wie ein | |
braver Parteifunktionär. Vor einem halben Jahr hatte er noch getwittert: | |
„#VDS lehne ich entschieden ab – verstößt gg Recht auf Privatheit u | |
Datenschutz.“ Jetzt muss er Gabriels Projekt durchsetzen. Gabriel scheint | |
die Demütigung zu gefallen. „Selbst aus Heiko Maas wird noch ’n anständig… | |
Innere-Sicherheits-Politiker“, frotzelte er. | |
Natürlich ist Gabriel nicht der einzige Befürworter der | |
Vorratsdatenspeicherung in der SPD. Die SPD-Innenminister aus den Ländern | |
waren schon immer dafür. Auch gab es einen SPD-Parteitagsbeschluss aus dem | |
Jahr 2011. Doch die Stimmung in der Partei hatte sich längst gedreht, vor | |
allem nach den Enthüllungen von Edward Snowden. Die SPD war ernsthaft | |
empört und machte einen beherzten Wahlkampf gegen Massenüberwachung. 11 von | |
16 Landesverbänden haben inzwischen Beschlüsse gegen die | |
Vorratsdatenspeicherung gefasst. | |
Zwar steht die Vorratsspeicherung im schwarz-roten Koalitionsvertrag – | |
allerdings nur zur Umsetzung der EU-Richtlinie. „Dadurch vermeiden wir die | |
Verhängung von Zwangsgeldern durch den EuGH“, hieße es im Vertrag. Immerhin | |
hatte die EU-Kommission Deutschland bereits verklagt. | |
## Vernünftige EU | |
Dann aber kippte der Europäische Gerichtshof im April 2014 die | |
EU-Richtlinie. Ab da war das Thema Vorratsdatenspeicherung in Deutschland | |
eigentlich durch. Und als die EU-Kommission erklärte, sie werde keine neue | |
Richtlinie vorschlagen, wäre das Thema sogar mausetot gewesen – wenn nicht | |
Sigmar Gabriel zu seinem verhängnisvollen Alleingang angesetzt hätte. | |
Die Regierung will, dass die Telefon- und Internet-Verbindungsdaten von 80 | |
Millionen Menschen in Deutschland vorsorglich zehn Wochen lang gespeichert | |
werden, die Standortdaten aller Handys vier Wochen lang. Und das alles nur | |
für den Fall, dass die Polizei die Daten vielleicht brauchen könnte. Erst | |
sollen also anlasslos Daten von allen Bürgern gesammelt werden und dann | |
schaut man, was wirklich relevant ist. So denkt ein Überwachungsstaat. | |
Und wo soll dieses Denken enden? Auf EU-Ebene wird bereits über eine | |
fünfjährige Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdaten verhandelt. Eine | |
Gesellschaft, in der jeder sich permanent beobachtet fühlt, ist keine freie | |
Gesellschaft mehr. Wir produzieren bereits Datenschatten genug, der Staat | |
sollte dafür sorgen, dass die Daten möglichst schnell gelöscht werden, | |
nicht dass sie zwangsweise gespeichert bleiben. | |
Nun heißt es, zehn Wochen seien doch nicht so schlimm. Die kurze | |
Speicherfrist sei ein Erfolg der SPD. Dank Sigmar Gabriel darf sich die SPD | |
also wieder Mal als kleineres Übel präsentieren. Doch NSA und russischen | |
Geheimdiensten dürften auch zehn Wochen genügen, die Daten abzugreifen. | |
## Kein einziger Fall von Terrorismus | |
Der Nutzen für die Sicherheitsbehörden wiegt die Gefahren jedenfalls nicht | |
auf. In Staaten mit Vorratsdatenspeicherung hat sich die Aufklärungsquote | |
von Straftaten nicht erhöht. In Österreich etwa wurden die | |
zwangsgespeicherten Telefon- oder Internetdaten von der Polizei kaum | |
angefordert. Und aufgeklärt wurde damit vor allem Kleinkriminalität – kein | |
einziger Fall von Terrorismus. | |
Die Vorratsdatenspeicherung ist ein Musterbeispiel für unverhältnismäßige | |
Kriminalpolitik. Gut möglich, dass sie erneut vor Gericht gestoppt oder | |
korrigiert wird – wie so viele Sicherheitsgesetze vorher. In Belgien hat | |
das Verfassungsgericht erst vorige Woche die Vorratsdatenspeicherung für | |
verfassungswidrig erkärt. Aber interessiert so etwas die SPD-Spitze? | |
Gabriels Generalsekretärin Yasmin Fahimi erkärte vor dem Konvent, die SPD | |
werde nicht „wegen der Auslegung eines Grundrechtsartikels“ ihre | |
Regierungsfähigkeit aufs Spiel setzen. | |
Allerdings ist die Stimmung in Deutschland unter dem Eindruck vieler | |
Karlsruher Urteile längst gekippt. Überzogene Sicherheitsgesetze sind kein | |
Winner-Thema mehr. Aber fürs Gewinnen ist Sigmar Gabriel ja auch nicht so | |
der Experte. | |
Neulich versuchte Gabriel die Kanzlerin wegen ihrer möglichen Verwicklung | |
in den BND-Überwachungs-Skandal anzugreifen. Manche sehen darin eine der | |
wenigen Chancen der SPD, die Glaubwürdigkeit von Angela Merkel anzugreifen. | |
Doch wie schal klingen solche Vorwürfe aus dem Mund eines Politikers, der | |
gerade in Deutschland die Vorratsdatenspeicherung durchsetzt? Mit Heuchelei | |
gewinnt man keine Wahlen. | |
19 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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