# taz.de -- SPD-Streit um Vorratsdatenspeicherung: Gabriel nutzt Justizminister… | |
> SPD-Chef Gabriel spielt mit allen Tricks, um die Rebellion gegen die | |
> Vorratsdatenspeicherung abzuwehren. Sein Trumpf: ausgerechnet Heiko Maas. | |
Bild: Gabriel ist überzeugt von der Vorratsdatenspeicherung, Justizminister Ma… | |
BERLIN taz | Für Johanna Uekermann gibt es keinen Zweifel, wie sich die | |
Sozialdemokratie bei der Vorratsdatenspeicherung verhalten müsste. „Das ist | |
eine Prinzipienfrage“, sagt die Juso-Vorsitzende. „Die SPD muss im Zweifel | |
für die Freiheit sein.“ Als Bürgerrechtspartei könne die SPD nicht ein | |
Vorhaben mittragen, das alle Bürger unter Generalverdacht stelle. | |
Solche Sätze, das weiß Uekermann natürlich, zielen auch auf Sigmar Gabriel | |
persönlich. Der SPD-Chef versucht seit Monaten, seine Partei von dem | |
umstrittenen Projekt zu überzeugen. Er hat betont, wie wichtig die | |
Speicherung sei, um dem Terror und anderen Gefahren zu begegnen. Er hat den | |
skeptischen SPD-Justizminister Heiko Maas dazu verdonnert, einen Kompromiss | |
mit der Union auszuhandeln. Und er will sich am Samstag auf einem | |
nichtöffentlich tagenden Parteikonvent das Ja der Basis holen. | |
Gabriel hat dabei ein paar Tricks und Gemeinheiten angewendet, die | |
erfolgreich sein könnten – doch davon später. Bisher hat die SPD in der | |
Großen Koalition geräuschlos und geschlossen agiert. Dass nun ausgerechnet | |
die Vorratsdatenspeicherung zum heiß umkämpften Symbol wird, ist allein | |
deshalb interessant, weil sie kein identitäres Thema für die SPD darstellt. | |
Etwa 100 Änderungsanträge von Bezirksverbänden, die sich gegen eine | |
„anlasslose und flächendeckende Speicherung“ wenden, liegen dem | |
SPD-Vorstand vor. Die Landesverbände Berlin und Sachsen haben sich klar | |
gegen die Speicherung gestellt. Und die SPD-nahe Initiative D64 sammelt | |
Argumente und bereitet professionell Material für Kritiker auf. Kurz | |
gesagt: Gabriel hat es mit einer ausgewachsenen Basisrevolte zu tun. | |
„Datenschutz hat Karriere gemacht“, sagt Uekermann. Vom Nerd-Thema, das vor | |
ein paar Jahren nur Informatikstudenten und ein paar Jusos interessierte, | |
zum Mainstream. „Die Sorge um unsere Daten ist in weiten Teilen der | |
Gesellschaft und auch in der SPD angekommen.“ Im Moment versucht der | |
SPD-Vorstand mit allen Mitteln, den Konflikt zu entschärfen. Dabei setzt er | |
auf eine beliebte Kombination, er droht, schmeichelt und verführt. Fürs | |
Drohen ist am Dienstag Generalsekretärin Yasmin Fahimi zuständig. | |
## Hübsche Umdeutung | |
Was Justizminister Maas in dem Gesetzentwurf vorschlage, sei eigentlich | |
keine Vorratsdatenspeicherung mehr, sagt Fahimi im Willy-Brandt-Haus. | |
Vielmehr gehe es um eine „Regulierung des staatlichen Zugriffs“ auf Daten. | |
Eine hübsche Umdeutung: So gesehen ist die SPD-Spitze also gar nicht für | |
die Vorratsdatenspeicherung, sondern für Regulierung. Schließlich setzte | |
Maas in den Verhandlungen kurze Höchstspeicherfristen von vier bis zehn | |
Wochen durch. Da dies nicht jeder interne Kritiker so sieht, argumentiert | |
Fahimi sicherheitshalber noch mal, warum der Maas-Entwurf „abgewogen und | |
maßvoll“ ist. | |
Niemand, den sie kenne, habe etwas dagegen, wenn die Polizei bei einem | |
schweren Verdacht auf einen Terroranschlag nach einem Richterbeschluss für | |
kurze Zeit Telefondaten einsehen könne. „Nicht zuletzt glaube ich, dass die | |
SPD zu klug ist, um wegen der Auslegung von Grundrechtsartikeln ihre | |
Regierungsfähigkeit aufs Spiel zu setzen.“ Da ist sie, die Drohung in | |
Richtung Kritiker. Würde der Konvent den mit der Union ausgehandelten | |
Entwurf ablehnen, wäre nicht nur der SPD-Vorsitzende und Vizekanzler | |
blamiert. Auch die Union wäre über die Aufkündigung des Kompromisses | |
empört. | |
Das Szenario einer Regierungskrise will Gabriel mit aller Macht vermeiden. | |
Er findet die kritische Haltung in Teilen seiner Partei befremdlich, aus | |
inhaltlichen und taktischen Gründen. Leute, die ihn kennen, sagen: Gabriel | |
ist vom Nutzen der Vorratsdatenspeicherung bei der Verbrechensbekämpfung | |
wirklich überzeugt. Und er möchte vermeiden, dass die SPD der Union eine | |
offene Flanke in der Innenpolitik bietet, falls tatsächlich einmal ein | |
Terroranschlag in Deutschland passiert. Diese Position hat er allerdings so | |
brachial eingebracht, dass es manchen SPDler ratlos zurücklässt. | |
Im April 2014 hatte der Europäische Gerichtshof die EU-Vorgaben für die | |
Vorratsdatenspeicherung als unverhältnismäßig kritisiert und beseitigt. | |
Linke Sozialdemokraten und Netzpolitiker witterten damals Morgenluft. | |
Justizminister Maas argumentierte, damit sei die Geschäftsgrundlage mit CDU | |
und CSU im Koalitionsvertrag entfallen, da jene lediglich vorsieht, die | |
EU-Richtlinie umzusetzen. Mit dieser liberalen Position zog Maas munter | |
durch die Lande, bis Sigmar Gabriel sich einmischte. Als die Debatte im | |
Januar nach dem Anschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo neu | |
aufflammte, warb Gabriel für eine Einigung mit der Union – und düpierte | |
seinen Minister. | |
## Gegen die eigene Überzeugung | |
Maas, der erklärte Kritiker, handelte gegen die eigene Überzeugung den | |
vorliegenden Gesetzentwurf mit der Union aus. Er verteidigte ihn | |
persönlich, erst in der skeptischen Fraktion, dann am Freitag im Bundestag: | |
„Wir haben den Eingriff in die persönliche Freiheit auf ein Minimum | |
begrenzt.“ Abends tagte die Magdeburger Plattform, in der sich SPD-Linke | |
organisieren. Auch hier versicherte Maas aufgebrachten Mitgliedern, man | |
habe das Beste herausgeholt. „Man sah ihm an, wie sehr das an seinen Nerven | |
zerrte“, bezeugen Genossen, die dabei waren. | |
Gabriel dankte ihm dieses Engagement auf sehr eigene Weise. Als die | |
Seeheimer, die wirtschaftsfreundliche Strömung in der Fraktion, am | |
vergangenen Dienstag die traditionelle Spargelfahrt auf dem Wannsee | |
veranstaltete, erwähnte Gabriel Maas in seinem Grußwort. Nach seinem | |
Eindruck werde selbst aus Maas „noch ein anständiger innerer | |
Sicherheitspolitiker.“ Vielleicht sollte die SPD erwägen, für die | |
„humorvollen Bemerkungen“ des Vorsitzendenden (Fahimi) Schmerzensgeld zu | |
zahlen. | |
Auf dem Konvent wird es also nicht nur um Gabriel und die | |
Vorratsdatenspeicherung gehen. Sondern auch um einen Justizminister, den | |
viele SPD-Linke schätzen und bemitleiden. Mehrere Landesverbände geben die | |
Abstimmung frei, ihre Gesandten sind also nicht an die Beschlusslage im | |
Land gebunden. Ein Sozialdemokrat sagt: „Viele Delegierte wollen Heiko | |
nicht weiter beschädigen.“ Damit hätte Gabriel sein Ziel erreicht. | |
17 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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