# taz.de -- Flüchtlinge in Deutschland: „Der Umgang miteinander ist anders“ | |
> Wie ist es, nach Deutschland zu fliehen? Wie reagieren Nachbarn und | |
> Behörden? Drei Geflüchtete erzählen von ihren Ängsten und der Fremde. | |
Bild: Fadi Rayes, Sharmila Hashimi und Khal Hakimi erzählen von ihrem Leben in… | |
In der öffentlichen Diskussion um Flucht und Flüchtlinge in Deutschland | |
dominieren oft Angst, Sorgen und Hass. Häufig geht es dabei nicht um | |
konkrete Begegnungen mit Flüchtlingen, sondern um entpersonalisierte | |
Emotionen – die Flüchtlinge selbst werden in den seltensten Fällen gehört. | |
Aber auch bei denen, die in Deutschland ankommen, gibt es Unsicherheit und | |
Angst. Wie wird sie das fremde Land aufnehmen? Wie werden die Menschen auf | |
sie reagieren? Wovon werden sie leben? Wird man sie willkommen heißen? Drei | |
Geflüchtete erzählen von ihren Erlebnissen in Deutschland. | |
Fadi Rayes, 21, hat in Damaskus Elektrotechnik studiert | |
Ich vertraue Deutschland, weil ich weiß, dass mir hier nichts passiert. Ich | |
fühle mich hier ein bisschen wie zu Hause – nur ohne Familie, weil ich | |
alleine hergekommen bin. Ich finde allerdings, dass recht viele Menschen | |
hier in Deutschland nach den Prinzipien einer Wegwerfgesellschaft leben. | |
Die Deutschen könnten von den Syrern das Gegenteil lernen: Wenn in Syrien | |
zum Beispiel ein Fahrrad oder ein elektronisches Gerät kaputt ist, | |
versuchen wir erst, es selbst zu reparieren. Dabei geht es uns nicht ums | |
Geld, sondern vor allem um die Umwelt. | |
Auch die zwischenmenschlichen Beziehungen funktionieren anders in | |
Deutschland. Ich habe hier beobachtet, dass die Deutschen in öffentlichen | |
Verkehrsmitteln zum Beispiel selten alte Leute respektieren. Ich bin | |
mehrmals mit der U-Bahn oder S-Bahn gefahren, alte Leute stiegen ein, aber | |
die Deutschen nehmen davon einfach keine Notiz und bleiben sitzen. | |
Das Miteinander ist hier auch mit den Nachbarn anders. Die meisten | |
Deutschen kennen ihre Nachbarn nicht. Sie wohnen nebeneinander, aber | |
trotzdem interessieren sie sich nicht für sie. In Syrien laden die Nachbarn | |
einander zum Essen ein. Sie helfen sich und kümmern sich um kleine | |
Probleme. Ich habe in Damaskus gewohnt und kannte fast alle Nachbarn. | |
Sharmila Hashimi, 28, ist Juristin und Journalistin kommt aus Afghanistan | |
und lebt seit Ende 2013 in Deutschland | |
Als ich hierher kam, wusste ich nicht, wie der gesellschaftliche Umgang | |
miteinander funktioniert und hatte große Angst vor der Bürokratie. Ich | |
wusste nicht, wie Sozialamt, Schulamt oder Versicherung auf mich reagieren | |
würden. | |
Weil ich nach einer Wohnung für meinen Sohn und mich suchte, war ich | |
täglich beim Amt. Dort hatte ich immer Angst, dass ich missverstanden werde | |
oder den Mitarbeitern nicht gefällt, wie ich etwas gemacht habe. Gearbeitet | |
wird auf dem Amt nur nach dem, was auf dem Papier steht – die Menschen | |
versuchen nicht, einen zu verstehen. | |
Auch das Leben in der Nachbarschaft machte mir Sorgen. Ich hatte gehört, | |
dass man hier in einer Wohnung nicht laut reden darf, die Kinder leise sein | |
müssen und man nach 22 Uhr keine laute Musik hört. Ich kenne zwei Familien, | |
die deswegen ihre Wohnung verloren haben. Den Nachbarn waren die Kinder zu | |
laut, und sie riefen mehrmals die Polizei, bis die Hausverwaltung einen | |
Brief schickte, dass sie ausziehen müssen. | |
Als ich meine Wohnung bekam, habe ich immer aufgepasst, dass mein Sohn und | |
ich leise sind und die Nachbarn nicht stören. Langsam weiß ich, was meine | |
Rechte und Pflichten hier sind und bin beruhigter. | |
Khal Hakimi, 28, kommt aus Afghanistan und lebt seit 2013 in Deutschland. | |
Er spricht sieben Sprachen und gibt heute selbst Deutschkurse für | |
Geflüchtete | |
Angst habe ich eigentlich nicht, weil ich die Angst hier immer mit der | |
vergleiche, die ich in meinem Land hatte. So gesehen gibt es hier nichts, | |
wovor ich Angst zu haben bräuchte. Wovor denn auch? Ich fühle mich hier | |
ganz in Frieden, ich fühle mich wohl. Deswegen verschließe ich meine Augen | |
vor den vielen kleinen negativen Dingen. | |
Wenn ich abgeschoben würde, hätte ich allerdings Angst, denn das wäre | |
gefährlich für mich. Afghanistan ist gefährlich. In Berlin habe ich bisher | |
nicht erlebt, dass mich jemand zum Beispiel schräg angeschaut oder etwas | |
Komisches gesagt hätte. Allerdings – und davor habe ich dann doch Angst – | |
denke ich, dass es schlimmer wird, dass die Stimmung gegen Flüchtlinge | |
kippen könnte. | |
Ich höre ab und zu, dass Leute sich vor Pegida fürchten oder davor, in | |
manchen Berliner Bezirken unterwegs zu sein. Der Respekt gegenüber | |
Flüchtlingen wird kleiner, und die Menschen positionieren sich gegen sie. | |
Warum das so ist, das kann ich leider nicht beantworten. | |
Aufnahmen: Marion Bergermann; Bearbeitung: Lalon Sander | |
19 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Marion Bergermann | |
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