# taz.de -- Film über Familienalltag in Damaskus: Staubwischen im Bombenhagel | |
> Banal bis brutal: Regisseur Philippe Van Leeuw erzählt im Spielfilm | |
> „Innen Leben“ eindringlich vom Alltag der syrischen Familie Yazan. | |
Bild: Delhani (Juliette Navis) und Oum Yazan (Hiam Abbass) blicken auf den Krieg | |
Wie geht Alltag im Krieg? Zunächst einmal ganz normal, wie Alltag eben: | |
Geschwister streiten darüber, wer zuerst ins Bad darf, die Mutter nervt, | |
weil sie zum Essen ruft, wenn es nicht passt, heimlich knutschen mit dem | |
Freund ist schwer, weil immer irgendwer zuguckt, und das Internet | |
funktioniert auch schon wieder nicht. | |
Der belgische Regisseur Philippe Van Leeuw zeigt in seinem Film „Innen | |
Leben“ einen Tag im Leben der syrischen Familie Yazan. Die Handlung ist auf | |
deren Wohnung in Damaskus beschränkt. Dort harren aus: die Mutter, ihr | |
Schwiegervater, ihre drei Kinder, der Freund der Tochter und die | |
Haushälterin. Dann ist da noch eine Nachbarin, die mit Mann und Baby bei | |
der Familie Yazan Zuflucht gefunden hat, nachdem bei ihr eine Bombe | |
eingeschlagen hat. Der Mann der Nachbarin sowie Herr Yazan sind weg, sie | |
sind draußen, im Krieg. | |
Weg sind auch alle anderen Bewohner des Hauses. Scharfschützen schießen von | |
den Dächern, und Plünderer ziehen von Wohnung zu Wohnung. Mutter „Oum“ | |
Yazan will nicht einsehen, dass sie ihre Familie in Gefahr bringt. Freunde | |
reden ihr ins Gewissen: „Zumindest die Kinder müssen weg.“ | |
Oum hängt an ihrem Zuhause, es ist das Einzige, das sie, Kind | |
palästinensischer Flüchtlinge (im Film wie übrigens in echt), je hatte. | |
Unerschöpflich kämpft sie dafür, den Anschein von Normalität | |
aufrechtzuerhalten. Während draußen Bomben hageln, wird drinnen gekocht, | |
gestickt, gezankt und Staub gewischt. Und dennoch ist da viel Zeit übrig. | |
Alle tigern sie von Wand zu Wand, lethargisch wie Raubtiere in Käfigen. | |
## Licht anmachen bedeutet Lebensgefahr | |
Die Kamera transportiert dieses Gefühl von Enge. Immer ist der Blick | |
beschränkt – durch einen Vorhang, eine halb geöffnete Tür oder ein Guckloch | |
in der Haustür. Wenn die Kamera im Wohnzimmer eine Kreisfahrt macht, | |
versteht man, wie eng der Radius der Familie Yazan ist. Viele Bilder sind | |
düster, wie von einem Blauschimmer überzogen, Licht dringt nur durch | |
Vorhänge gefiltert in die Wohnung. Gegen Abend wird es dunkel – Strom gibt | |
es zwar mit Unterbrechungen, aber Licht anmachen bedeutet Lebensgefahr, | |
deshalb brennen Kerzen. | |
Der Zuschauer weiß von Anfang an, dass die vermeintliche Normalität eine | |
Illusion ist. Bereits in den ersten Filmminuten wird der Mann der Nachbarin | |
im Hof von Scharfschützen getroffen. Die Szene sieht man aus der | |
Perspektive der Haushälterin: durch ein Fenster. Von dem Vorfall wissen | |
sonst nur die Mutter und deren Schwiegervater; alle anderen, inklusive der | |
Frau des Opfers, dürfen vorerst nichts erfahren, so will es die Mutter. | |
Der Ton legt nahe, dass sich eine Katastrophe anbahnt: Ein | |
Hintergrundrauschen aus Helikoptern, Kugel- und Bombenhagel zieht sich | |
durch alle Szenen, übertüncht wird es nur kurz von Vogelgezwitscher. Und | |
von Kinderlachen, das jäh verstummt, als Glas zerspringt und Plünderer in | |
die Wohnung einfallen. | |
## Töne des Grauens | |
Die Szene, in der sie die Nachbarin vergewaltigen, während sich die Familie | |
in der Küche verbarrikadiert, ist vor allem der Tonspur wegen so brutal. | |
Ihr Flehen, das in ein Schreien übergeht und nach einem letzten Klagelaut | |
in Stille endet, ist nur schwer zu ertragen. Das erinnert entfernt an den | |
ungarischen Holocaust-Film „Sauls Sohn“ von László Nemes. Darin macht die | |
Kamera vor der Gaskammer Halt. Wieder sind es Töne, die das Grauen | |
einfangen: die verzweifelten Hilferufe, das Kratzen der Finger an den | |
Wänden, das letzte Ringen nach Luft – und dann: Totenstille. | |
Auf der Bildebene zeigt Van Leeuw die Vergewaltigung lediglich in | |
Ausschnitten. Die Kamera hält ganz nah auf das Gesicht des Opfers, dort | |
verweilt sie minutenlang, um zwischendrin nur kurz zu den anderen in der | |
Küche zu schwenken. Mehr sieht man nicht. Muss man auch nicht. | |
## Die Eile war unnötig | |
Van Leeuws Herangehensweise könnte man in weiten Teilen als dokumentarisch | |
bezeichnen: Musik setzt er spärlich ein, das Erzähltempo ist oft langsam | |
und spannungsarm, so als hätte jemand die Realität abgefilmt. | |
Die wenigen Kritiker, die der Film hatte, als er auf der Berlinale Premiere | |
feierte, warfen ihm eine konventionelle Herangehensweise vor. Sicher wird | |
„Innen Leben“ nicht als der innovativste Film in die Geschichte eingehen, | |
aber seine scheinbar einfache Erzählweise funktioniert: Was Krieg konkret | |
für eine Familie bedeutet, wird nicht oft derart eindringlich dargestellt. | |
Empathie entsteht gerade, weil Van Leeuw weitgehend auf Wertungen und | |
übertriebene Emotionalität verzichtet. | |
2013 begann er, das Drehbuch zu schreiben. Um in Europa auf einen Krieg | |
aufmerksam zu machen, über den kaum berichtet wurde. Damals habe er eine | |
große Eile verspürt, sagt er. Der Zynismus daran: Die Eile war unnötig – | |
vier Jahre sind vergangen, noch immer ist kein Ende in Sicht, und die | |
Gleichgültigkeit der Weltbevölkerung könnte kaum größer sein. | |
26 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Lea Wagner | |
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Schwerpunkt Rassismus | |
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