# taz.de -- Kolumne Leuchten der Menschheit: Stalin, Hitler, Syrien | |
> War Hitler ein Psychopath und ist der Historikerstreit schon 29 Jahre | |
> her? Im Körber-Forum werden Diktaturen verglichen. | |
Bild: Und jetzt im Vergleich: Stalin, Hitler und Kim Jon-Il beim Fallas Festiva… | |
Die Angst vor Störern ist spürbar, aber unbegründet. Jörg Baberowski | |
diskutiert mit Norbert Frei darüber, ob Stalinismus und Nationalsozialismus | |
„verwandte Diktaturen“ sind. Die Gastgeber vom Körber Forum im Schatten der | |
Elbphilharmonie mahnen vorab eine „faire Diskussion“ an. Baberowski gilt | |
als „streitbar“, weil einer trotzkistischen Studentengruppe an der Berliner | |
Humboldt-Universität, wo er lehrt, seinetwegen dauernd die Kapuze hochgeht. | |
Der Historiker verharmlose den NS, weil er bestreite, dass Hitler ein | |
Psychopath gewesen sei. Als würde der Holocaust erst dadurch singulär, dass | |
beim Führer irgendwo im Hirn eine Lampe ausgeknipst war. | |
Nun also Hamburg, und alle bleiben vernünftig. Man steckt den Rahmen weit, | |
geht unter Moderation des Potsdamer Zeitgeschichtlers Martin Sabrow zurück | |
bis zum Historikerstreit, der sich vor unvordenklichen 29 Jahren ereignet | |
hat. Viele im Publikum sind danach geboren. | |
Ihnen schrieb man in die Lehrpläne, die Debatte durchzunehmen, die 1986, | |
mitten im restaurativen Klima der ersten Kohl-Jahre, die Gemüter erhitzte – | |
ausgelöst durch Ernst Noltes spekulative These, das Massentöten der | |
Stalinisten im Gulag sei eine Art Blaupause für den Holocaust gewesen. | |
Inzwischen, da sind sich auf dem Podium alle einig, hat sich die | |
Forschungslage durch die Öffnung der sowjetischen Archive verbessert. | |
## Unterscheidung ist sinnvoll | |
Damals tobte mangels Quellen eine Art Glaubenskrieg zwischen denjenigen, | |
die schon das Vergleichen für eine Relativierung des organisierten | |
Massenmords der Nazis hielten, und allen, die den Vergleich der Systeme | |
ergiebig fanden. | |
Baberowski, der das wegweisende Buch „Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft | |
der Gewalt“ (C. H. Beck, 2012) geschrieben hat, macht sich heute noch mal | |
dafür stark, dass nur das Nebeneinanderstellen der Systeme ihre jeweilige | |
Singularität zum Vorschein bringe. NS-Historiker Norbert Frei, eingeladen, | |
ihm Paroli zu bieten, geht an dem Punkt d’accord, sieht aber weiter keinen | |
Nutzen im Vergleich. | |
Die Diskussion kreist dann auch um heutige Diktaturen, etwa in Weißrussland | |
oder Syrien. Und sie zeigt, dass es sehr wohl im Konkreten sinnvoll ist, | |
sich die unterschiedliche Einbindung der Bevölkerung beziehungsweise ihr | |
Leiden unter Terrormaßnahmen anzusehen. Sie belegt, wie aufschlussreich es | |
ist, zu untersuchen, was im Unterschied zur deutschen Geschichte daraus | |
folgte, dass die Sowjetunion durch die Stalin nachfolgenden Autoritäten | |
schrittweise reformiert wurde, ohne der Bevölkerung ein Recht auf | |
Mitsprache einzuräumen: eine nachhaltige Beschädigung nämlich von | |
demokratischen Impulsen. | |
Und wie die Erzählung vom „Großen Vaterländischen Krieg“ und vom Sieg ü… | |
den Faschismus sogar in den „Bloodlands“ (Timothy Snyder) bis heute für | |
viele wirksam die klaffenden Wunden zukleistern konnte, die das eigene | |
System geschlagen hatte. Ursache, Wirkung, Weltgeschichte: Weniger | |
akademisch geht es kaum. | |
8 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Christiane Müller-Lobeck | |
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