| # taz.de -- Trash-Film „Iron Sky“: Nazis leben hinterm Mond | |
| > In „Iron Sky“ flüchten Nazis auf den Mond und kehren 2018 zurück auf die | |
| > Erde. Das Trash-Abenteuer macht sich über besonders dumme | |
| > Verschwörungstheorien lustig. | |
| Bild: Die Mondnazis sehen gut aus. Sie sind verführerisch und sexy. Und rechts… | |
| „Die Mondnazis kommen! Sie kommen, um uns zu holen!“, ruft der | |
| heruntergekommene Eckensteher mit dem Pappschild in der Hand. Die Passanten | |
| beachten ihn nicht mal. Ein verrückter, bärtiger Penner, der das Ende der | |
| Welt verkündet? Davon haben sie in New York genug. | |
| Die Szene ist ein Schlüsselmoment in „Iron Sky“, einem Film, der sich über | |
| besonders dumme Verschwörungstheorien lustig macht – „Die Mondnazis kommen, | |
| haha!“ –, zugleich aber mit deren Grundannahme sympathisiert, in einer Welt | |
| des falschen Scheins zu leben. | |
| „Iron Sky“ ist die erste große Produktion des finnischen Regisseurs Timo | |
| Vuorensola. Hergestellt wurde der als „Sci-Fi-Komödie“ vermarktete Film | |
| unter anderem mit Mitteln der deutschen Filmförderung und durch sogenanntes | |
| Crowd Funding im Internet: Tausende Fans von Vuorensola, der durch einen | |
| mit Laiendarstellern realisierten Low-Budget-Film namens „Star Wreck“ | |
| bekannt wurde, haben 10 Prozent der Produktionskosten bezahlt. | |
| Unter dem Motto „Black to the moon“ wird eine Mondmission, bestehend aus | |
| einem echten Astronauten und dem gut aussehenden schwarzen Model James | |
| Washington (Christopher Kirby), auf die dunkle Seite des Mondes geschickt. | |
| Die nicht so ganz helle Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika | |
| denkt, das sei ein Teil ihrer Kampagne zur Wiederwahl, weiß aber nicht, | |
| dass es in Wirklichkeit darum geht, die Helium-3-Vorkommen auf dem Mond für | |
| zu reklamieren. | |
| Auf dem Mond entdecken die Astronauten tatsächlich gleich Helium 3 – so | |
| heißt die riesige, hakenkreuzförmige Mondbasis der Nazis. Sie sind nach | |
| verlorenem Krieg hierhergeflüchtet und bereiten unter der Führung von | |
| Wolfgang Kortzfleisch (Udo Kier) ihre Rückkehr auf die Erde vor. (Wer | |
| meint, ein Naziführer mit dem Namen Kortzfleisch sei zu viel des Guten, sei | |
| hiermit darüber belehrt, dass der erste Kommandant der Festung Berlin im | |
| Jahr 1945 ein regimetreuer General der Infanterie namens von Kortzfleisch | |
| war. Er hatte zuvor entscheidend zum Scheitern des Putschs vom 20. Juli | |
| beigetragen.) | |
| ## Große Liebe zum Detail | |
| Die Ledermäntel und Gasmasken tragenden und auch sonst hinterm Mond | |
| lebenden Nazis finden heraus, dass das Smartphone von Astronaut Washington | |
| im Gegensatz zu ihren eigenen Computern genügend Rechenleistung bringt, um | |
| endlich das Kampfschiff „Götterdämmerung“ in Gang zu setzen, das mit sein… | |
| riesigen Zahnrädern und seiner rostbraunen Farbe an Industrieanlagen des | |
| frühen 20. Jahrhunderts erinnert. Die ganze Welt der Mondnazis ist mit | |
| großer Liebe zum Detail im Sinne der retrofuturistischen Idee des Steampunk | |
| designt worden, der die Technik von gestern weiterdenkt. | |
| Dummerweise ist der Akku von James Washingtons Telefon bald leer, woraufhin | |
| der kalte, von Götz Otto wie das Abziehbild eines Filmnazis gespielte Klaus | |
| Adler den Entschluss fasst, zur Erde zu fliegen. Dort besorgt er ein iPad, | |
| um die „Götterdämmerung“ zu starten. Zu irgendwas müssen die Dinger ja g… | |
| sein. | |
| Dass Adler die Erde erobern will, versteht seine Verlobte, das Fräulein | |
| Renate Richter (Julia Dietze), nicht. Denn die naive Blondine hält den | |
| Nationalsozialismus für eine Bewegung, die das Gute will. Sie fliegt als | |
| blinde Passagierin mit, als Adler und Washington in einer Reichsflugscheibe | |
| zur Erde fliegen. Washington führt die Mondnazis zur Präsidentin (Stephanie | |
| Paul). Die sieht Sarah Palin ziemlich ähnlich und bringt ihre Tage in | |
| ultraengen Höschen auf einem Trainingsgerät zu. | |
| ## Die Mondnazis sind schon da | |
| Man mag sich über die Irren von den Straßenecken und aus den Foren im Netz | |
| lustig machen, aber sie behalten recht: Die Mondnazis sind schon da. Die | |
| Zuschauer im Kino wissen es an dieser Stelle längst und haben Anlass zur | |
| Heiterkeit. | |
| Die Mondnazis sehen gut aus. Sie sind verführerisch und sexy. Renate | |
| Richter legt der Präsidentin dar, was der Nationalsozialismus will: „The | |
| world is sick, and we are the doctors! We are here to make the world | |
| healthy again! We are the answer to the question!“ Und schon bald kann man | |
| der Präsidentin auf dem Times Square bei einer faschistischen Wahlkampfrede | |
| zuhören. | |
| Es gibt im weiteren Verlauf Szenen mit Naziweltraumzeppelinen, die | |
| Meteoriten auf die Erde werfen, spannende Actionmomente, ein paar nette | |
| Gags und viel Kitsch, als Renate Richter die fehlgeleiteten Volksgenossen, | |
| die nach alliiertem Bombenterror auf dem Mond übrig geblieben sind, auf den | |
| rechten Weg zurückbringt. | |
| Das „Dritte Reich“ hat zwölf Jahre gedauert. Im Film haben die Nazis | |
| bedeutend länger überlebt. Seit Charlie Chaplins Film „The Great Dictator�… | |
| der in „Iron Sky“ selbst für einen Gag gut ist, sind 72 Jahre vergangen. | |
| Jean-Paul Belmondo war schon Nazi, David Niven hat einen gespielt, auch | |
| Klaus Kinski, Anthony Hopkins, Michael Caine, Roger Moore, Michael Douglas | |
| und Omar Sharif sind mal Nazis gewesen. | |
| ## Technokraten, Schreibtischtäter und Sadisten | |
| Seit 1940 stehen Filmnazis nicht nur für die reale Geschichte des | |
| Nationalsozialismus, sondern für beinahe alles Mögliche: Sie stehen für das | |
| Böse schlechthin, sehen dabei aber oft ziemlich lächerlich aus; sie | |
| personifizieren die Macht, die unbedingten Gehorsam verlangt, sie | |
| verkörpern eine rassistische Ideologie; Filmnazis sind Technokraten, | |
| Schreibtischtäter und Sadisten. Ihr Körperpanzer ist so fest, weil sie | |
| Angst vor Frauen und vor Sex haben. Sogar Captain Kirk und Mr. Spock trugen | |
| schon mal SS-Uniform. | |
| Umso mehr muss man an einen Film aus dem Jahr 2012, der wilde | |
| B-Movie-Fantasien aus den fünfziger Jahren wahr macht, die Frage stellen, | |
| wofür er Nazis braucht. Was erzählt er uns eigentlich? Die Antwort lautet: | |
| Nichts Neues. | |
| 1. Nazis sind hoffnungslos veraltet. 2. Demokratien sind auch verlogen, und | |
| wenn die Welt untergeht, sind sie daran schuld. 3. Am wenigsten verlogen, | |
| weil naiv, sind die Finnen. (Sie sind die Einzigen, die ihre Raumstation | |
| nicht heimlich bewaffnet haben.) 4. Am verlogensten sind die US-Amerikaner. | |
| Sie schrecken nicht mal davor zurück, Kinder, Frauen und Greise mit | |
| Atombomben zu bewerfen. Das nennen sie „Kampf gegen den Terror“. | |
| ## Film für ein netzaffines Mainstreampublikum | |
| Es ist absolut logisch, dass die slowenische Konzeptkunstband Laibach, | |
| deren affirmative Kritik am Totalitarismus und seiner Ideologie in den | |
| Achtzigern ihre große Zeit hatte, den Soundtrack zu „Iron Sky“ geschrieben | |
| hat. „Iron Sky“ ist ein Film für ein junges, netzaffines | |
| Mainstreampublikum, das weiß, dass Ideologien einen Schleier über die | |
| Wirklichkeit legen, den es durch Kritik und Dekonstruktion, durch | |
| Wiederholung und Übertreibung sichtbar zu machen gilt. | |
| Die Frage ist nur, ob das noble Projekt der Kritik nicht inzwischen selbst | |
| zu einem Medium der Verschleierung deformiert worden ist. | |
| Popideologiekritik ist eine handliche Waffe, die in jedem Webforum beliebig | |
| benutzt werden kann, um mal den Klimawandel, mal die Urheberschaft | |
| islamistischer Mittelklassetypen beim Angriff auf das World Trade Center, | |
| um die Validität jeder beliebigen Tatsache infrage zu stellen, die einem | |
| nicht passt. | |
| Der französische Theoretiker Bruno Latour hat das Problem so formuliert: | |
| Die Gefahr liegt heute nicht mehr im exzessiven Vertrauen auf ideologische | |
| Argumente, die sich als Tatsachen ausgeben, sondern im Misstrauen gegen | |
| Tatsachen, die man als ideologische Vorurteile ausgibt, um sie denunzieren | |
| zu können. | |
| Die Nazis sind dagegen wirklich auf der dunklen Seite des Mondes | |
| zurückgeblieben. „Iron Sky“ sagt uns aber nicht nur, dass es die Nazis | |
| nicht mehr gibt, was immerhin eine korrekte Feststellung wäre. In „Iron | |
| Sky“ sind sie eine Chiffre für die Verlogenheit der alten Massenmedien, die | |
| als Handlanger der Mächtigen und ihrer PR-Strategen falsches Bewusstsein | |
| erzeugen, das nur der am Netz hängende Nerd durchschaut. | |
| An die alten Medien glauben Menschen aus dem 21. Jahrhundert genauso wenig | |
| wie an die Rente, die Keuschheit vor der Ehe, das Copyright oder eine | |
| korrekt ausgefüllte Steuererklärung. Niemand, das lernen wir in „Iron Sky�… | |
| lebt hinter dem Mond wie Renate Richter – außer den Fans von Sarah Palin | |
| natürlich. Das ist das nerdistische Credo der Gegenwart: An Ideologien | |
| glauben immer nur die anderen. | |
| „Iron Sky – Wir kommen in Frieden!“. Regie: Timo Vuorensola. Mit Julia | |
| Dietze, Götz Otto, Udo Kier, Christopher Kirby u. a. Finnland, Deutschland, | |
| Australien 2012, 93 Minuten. | |
| 5 Apr 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Gutmair | |
| ## TAGS | |
| Schauspieler | |
| Adolf Hitler | |
| Crowdfunding | |
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