# taz.de -- G-7-Treffen in Elmau: Der Gipfel der Gesundheit | |
> Erstmals befasst sich ein G-7-Gipfel mit dem Kampf gegen tropische Viren | |
> und multiresistente Killerbakterien. Das ist auch für die Wirtschaft | |
> relevant. | |
Bild: Ein internationales Versagen wie bei Ebola soll es nicht wieder geben. | |
BERLIN taz | Der Schock, dass über 11.000 Menschen in Westafrika während | |
der jüngsten Ebola-Epidemie an der tückischen Viruserkrankung gestorben | |
sind, sitzt tief bei den Verantwortlichen der internationalen Gemeinschaft: | |
Hilfswerke, allen voran die Weltgesundheitsorganisation (WHO), hatten die | |
Katastrophe viel zu lang unterschätzt. | |
Die Gesundheitssysteme der drei am meisten betroffenen Länder Guinea, | |
Liberia und Sierra Leone – nach zahlreichen Bürgerkriegen ohnehin in | |
desolatem Zustand – waren der Versorgung der Kranken nicht gewachsen. Und | |
auch die Geberländer reagierten viel zu spät: Erst als die Sorge wuchs, | |
dass Ebola aufgrund des internationalen Reiseverkehrs auch nach Europa oder | |
in die USA gelangen könnte, mobilisierten sie Mittel und Helfer. | |
Dieses Versagen auf allen Ebenen immerhin soll nicht folgenlos bleiben: | |
Frei nach dem Motto „Gesundheit global denken“ will Kanzlerin Angela Merkel | |
(CDU) die Gesundheitspolitik künftig auf der internationalen Agenda fest | |
verankern – ähnlich wie zuvor schon beim Umwelt- und Klimaschutz geschehen. | |
Was tun gegen die bislang vernachlässigten Tropenkrankheiten? Diese Frage | |
soll die Staats- und Regierungschefs auf dem G-7-Gipfel Anfang Juni im | |
bayerischen Elmau ebenso beschäftigen wie das Problem, wie den weltweit | |
rasant wachsenden Resistenzen gegen Antibiotika zu begegnen ist. | |
Das ist ein Novum. Bislang spielten Gesundheitsthemen auf internationalen | |
Wirtschaftsgipfeln eher eine Nebenrolle. Inzwischen aber hat nicht nur die | |
deutsche Regierung erkannt: Gesundheit ist die zentrale Voraussetzung für | |
Ausbildung, Arbeitsfähigkeit – und damit den ökonomischen Wohlstand von | |
Gesellschaften schlechthin. | |
## Arzneimittel wirken nicht mehr | |
Die Warnungen, die Medizin- und Pharmawissenschaftler seit Jahren | |
aussprechen und die nun die internationale Politik erreichen, sind dabei | |
keineswegs übertrieben: Inflationärer und häufig unsachgemäßer Einsatz von | |
Antibiotika in der Humanmedizin wie in der Tiermast haben inzwischen dazu | |
geführt, dass viele Bakterien gegen die Medikamente resistent sind. | |
Die Arzneimittel wirken schlicht nicht mehr. Infektionskrankheiten werden | |
damit wieder zur tödlichen Bedrohung. Jedes Jahr sterben laut WHO etwa | |
700.000 Menschen weltweit als Folge einer Antibiotikaresistenz. Gibt es | |
kein Umdenken, dann werden nach einer Berechnung der britischen Regierung, | |
2014 veröffentlicht in der Review on Antimicrobial Resistance, im Jahr 2050 | |
weltweit 10 Millionen Menschen an Antibiotikaresistenzen und | |
Infektionskrankheiten wie Malaria, Tuberkulose oder HIV/Aids sterben – das | |
wären mehr Tote als durch Krebs (2050: 8,2 Millionen prognostizierte | |
Krebstote weltweit). | |
Die Folgen nicht nur für die Gesundheitssysteme wären verheerend. Einer | |
Prognose der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG werden sich | |
Antibiotikaresistenzen auch auf das Bruttosozialprodukt der Länder | |
auswirken – mit 5 bis 10 Prozent Minderung weltweit rechnet KPMG für das | |
Jahr 2050. „Resistenzen fressen Wirtschaftswachstum“, nennt der | |
Geschäftsführer des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller, Siegfried | |
Throm, diese Entwicklung. | |
Aber das ist noch nicht alles: Radikale Eingriffe durch Menschen in bislang | |
abgeschottete, exotische Lebensräume von Pflanzen und Tieren, gepaart mit | |
global zunehmender gesellschaftlicher Mobilität, führen dazu, dass bislang | |
unbekannte Keime und Viren zu einer weiteren tödlichen Bedrohung für | |
Menschen werden. | |
## Es fehlen Beratung, Aufklärung und Einnahmehilfe | |
Dazu kommen vernachlässigte Tropenkrankheiten, die besonders jene treffen, | |
die in Armut leben – wie die Afrikanische Schlafkrankheit, bodenübertragene | |
Würmer, Bilharziose, Flussblindheit oder Lepra. Rund eine Milliarde | |
Menschen in 149 Ländern leiden unter diesen Krankheiten. Jährlich sterben | |
500.000 an ihnen – und zwar nicht etwa, weil es keine Arzneimittel zur | |
Behandlung gäbe oder die Medikamenten-Spendenbereitschaft von | |
Pharmakonzernen zu wünschen übrig ließe. | |
Der Mangel liegt andernorts begründet. Oft scheitert der Zugang zu den | |
rettenden Medikamenten am Fehlen von Logistik- und Transportmöglichkeiten | |
sowie ärztlicher Beratung, Aufklärung, Einnahme- und Erklärhilfe vor Ort | |
bei den Betroffenen. 1,4 Milliarden US-Dollar fehlen laut WHO, um das Ziel | |
zu erreichen, bis 2020 die 10 wichtigsten vernachlässigten | |
Tropenkrankheiten zu bekämpfen und die Verteilung der gespendeten | |
Medikamente in den oft entlegenen Regionen sicherzustellen. | |
Als Konsequenz aus diesen Schwierigkeiten kündigte die Generaldirektorin | |
der WHO, Margaret Chan, jüngst auf der Weltgesundheitsversammlung der mehr | |
als 190 Mitgliedsstaaten in Genf an, bis Jahresende zunächst ein Programm | |
zur Krisenbekämpfung von Epidemien wie Ebola zu schaffen. | |
Dafür solle ein Fonds mit 100 Millionen US-Dollar aus freiwilligen | |
Beiträgen aufgelegt werden, aus dem dann bei erneuten Ausbrüchen | |
gefährlicher Erreger unbürokratisch Sofortmaßnahmen finanziert und | |
Fachleute in die Krisengebiete geschickt werden könnten, sagte Chan. | |
Die deutsche Regierung machte sich in Genf unterdessen für einen globalen | |
Katastrophenschutzplan und mehr internationale Kooperation zur Bekämpfung | |
tödlicher Epidemien stark. Neben der WHO müssten auch die Vereinten | |
Nationen und die Weltbank ihren Teil beitragen, forderte Merkel und | |
versprach, dass Deutschland seine diesjährige G-7-Präsidentschaft dazu | |
nutzen werde, ein „Menschenrecht auf Gesundheit“ möglichst international zu | |
verankern: „Die Gesundheit des einen ist auch die Gesundheit des anderen.“ | |
Für den Auf- und Ausbau von Gesundheitssystemen in armen Ländern werde die | |
Bundesrepublik 200 Millionen Euro bereitstellen, davon allein 70 Millionen | |
für Liberia. | |
## Merkel will einen Antibiotika-Verzicht in der Tiermast | |
Den bevorstehenden G-7-Gipfel wiederum will die Kanzlerin einerseits für | |
verbindliche – auch finanzielle – Zusagen zur Bekämpfung der | |
Tropenkrankheiten nutzen und andererseits für die Verabschiedung eines | |
internationalen Aktionsplans gegen Antibiotikaresistenzen. Bereits im | |
Vorfeld hatte sie den weltweiten Verzicht auf Antibiotika in der Tiermast | |
gefordert sowie eine allgemeine Rezeptpflicht für diese Arzneien. | |
Beides ist – anders als in Deutschland – in vielen Staaten nicht der Fall. | |
Die Resistenzen gegen multiresistente MRSA-Keime liegen deswegen in | |
Portugal inzwischen bei 50 Prozent, in Spanien bei 25 Prozent und in | |
Frankreich bei 22 Prozent. Deutschland liegt mit 20 Prozent | |
MRSA-Resistenzen im Mittelfeld, deutlich hinter den Niederlanden oder | |
Dänemark (1 Prozent). | |
Als Konsequenz hat das Kabinett in Berlin Mitte Mai eine neue „Deutsche | |
Antibiotikaresistenz-Strategie“ (DART 2020) verabschiedet. In Deutschland | |
infizieren sich jährlich 400.000 bis 600.000 Patienten während einer | |
Krankenhausbehandlung mit Keimen, 10.000 bis 15.000 sterben daran. Etwa ein | |
Drittel der Infektionen wäre nach Schätzungen des | |
Bundesgesundheitsministeriums allein durch bessere Hygiene vermeidbar. | |
Mit den Bundesländern diskutiert die Regierung derzeit verschärfte | |
Meldepflichten für besonders gefährliche Keime. Dabei geht es auch darum, | |
ob künftig flächendeckend und verpflichtend alle Patienten bei der Aufnahme | |
ins Krankenhaus auf multiresistente Keime getestet werden sollen | |
(Screening). Daneben wird gefordert, dass Besucher beim Betreten und | |
Verlassen einer Klinik Desinfektionsmittel benutzen. | |
## Neu forschen, schneller testen, anders therapieren | |
Die Regierung will des Weiteren die Forschung und Entwicklung neuer | |
Antibiotika vorantreiben. Alternative Therapiemöglichkeiten und Tests zur | |
Schnelldiagnostik von Bakterien sollen entwickelt werden. Mit dem | |
detaillierteren Wissen über die Art der Keime könnte, so die Hoffnung, | |
zielgerichteter therapiert und in vielen Fällen auf den Einsatz von | |
Breitbandantibiotika verzichtet werden – die Resistenzen würden sinken. | |
Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller gab derweil bekannt, seine | |
Mitgliedsunternehmen hätten ihre Forschungsaktivitäten zur Entwicklung | |
neuer Antibiotika längst verstärkt. Bis Ende des Jahrzehnts werde mit | |
insgesamt 14 neuen Antibiotika gerechnet; vier neue Medikamente seien | |
bereits zugelassen worden. Es gehe darum, vor allem Mittel für den | |
Ernstfall zu entwickeln, wenn herkömmliche Antibiotika versagten, teilte | |
der Verband am Mittwoch in Berlin mit. Derzeit sind weltweit etwa 80 | |
Antibiotika in rund 20 Klassen verfügbar. | |
2 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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